»Nichts ist leichter als Schönfilmerei«
StadtRevue: Sie haben im Laufe Ihrer Karriere immer wieder in Schwarzweiß gedreht, am berühmtesten vielleicht bei »Down by Law« von Jim Jarmusch. Warum?
Robby Müller: Farbe ist ein sehr starkes gestalterisches Mittel. Das Auge bekommt einen Überfluss an Informationen, die man für die Geschichte meist nicht braucht. Ich dämpfe das immer ein bisschen. Ich will nicht zu bunt sein, sodass den Leuten die Dinge ins Auge springen. »Down by Law« wäre ein total anderer Film geworden, hätten wir in Farbe gedreht. Farblich gab es an den Drehorten gewaltige Sachen: Der Fluss, den die Helden mit dem Boot hinunterfahren, war vollkommen bedeckt mit grünen Treibpflanzen, so grün wie ein Tennisfeld. Doch der optische Eindruck wäre zu stark gewesen, um das zu benutzen. Das hatte nichts mit der Geschichte zu tun.
Gibt es nicht manchmal auch die Versuchung, jenseits der Anforderungen der Geschichte, einfach nur schöne Bilder zu machen?
Das kommt schon mal vor. Vor allem am Anfang mit Wim Wenders. Da hatten wir Motive, die viel zu schön waren, um zur Geschichte beizutragen. Manchmal habe ich etwas gedreht und gesagt: »Du musst mir versprechen, dass du es nicht benutzt«. Dann haben wir einfach schöne Bilder gemacht – um sie loszuwerden. Und er hat sie tatsächlich nicht benutzt. Es gibt eine ganze Rolle schöner Aufnahmen, die nicht verwendet wurden. Das hätte unsere Integrität angetastet. Schönfilmerei – nichts ist leichter. Ein Kuss bei Sonnenuntergang gelingt immer.
Wenn Sie einen Film drehen, kommen Sie dann schon mit einer fertigen Auflösung ans Set? Wissen Sie also schon, welche Kameraeinstellungen,
-standorte und -bewegungen sie wählen werden?
Nein. Bei Jim nicht, bei Wim auch nicht. Bei fast niemandem. Ich mag es nicht so sehr, mit Storyboards festgelegt zu werden.
Wie war das bei »Leben und Sterben in L.A.« von William Friedkin? Haben Sie da nicht mit vorgefertigten Skizzen der Einstellungen gearbeitet?
Nein, wir hatten kein Storyboard ...
... auch nicht bei den Actionsequenzen?
Nein. Die Kamerapositionen haben Friedkin und ich erst beim Dreh festgelegt. Ein Film, den ich nur mit Storyboard gedreht habe, ist »Sein Name ist Mad Dog« – das war fürchterlich für mich. Da gab es ein dickes Buch voll mit Zeichnungen. Man fühlt sich ziemlich eingeengt, weil man immer denkt, dass man den Zeichnungen folgen muss. Das war eben ein Hollywood-Film, streng geplant: soundsoviele Drehtage, arbeiten von neun bis fünf – alles organisiert wie in der Armee.
Im Gegensatz dazu wurde bei »Breaking the Waves« eine Menge improvisiert. Wie war die Zusammenarbeit mit Lars von Trier?
Der große Unterschied war, dass Lars sich nie an die Abläufe und die Routine einer normalen Produktion gehalten hat. Er war ein Geschenk des Himmels für mich. Wir haben viel spontaner gearbeitet. Ich finde normale Mainstream-Filme eigentlich ziemlich uninteressant. Man verbringt ungeheuer viel Zeit mit der Technik und dem Warten auf die Darsteller – mit Nebensächlichkeiten also. Lars hat all diese Hindernisse am Set aus dem Weg geräumt. Wir hatten ein Drehteam mit nur
ganz wenigen Leuten. Das war völlig ausreichend.
Es gibt in »Breaking the Waves« immer wieder Unschärfen. War das Absicht, um den dokumentarischen Eindruck noch zu verstärken, oder kam das, weil Sie mit der Kamera spontan auf das Geschehen reagieren mussten?
Ich habe die Kameraführung nicht selbst gemacht. Lars und ich haben hinter dem Monitor gesessen und uns das Ganze angeschaut, weil am Motiv kein Platz war. Wir haben in dem Sinne spontan gedreht, dass die Schauspieler nie wussten, wann sie im Bild waren – sie haben wie ein Ensemble gespielt. Der Kameramann hat geschaut, was passiert, und versucht, mit derselben Neugier ranzugehen, die man als Kind hat. Die Unschärfen waren allerdings nicht beabsichtigt. Aber Lars hat den Schwenker selbst mit langen Brennweiten laufen lassen. Er wollte diese Roheit reinbringen. Er hat Sachen verlangt, die man sonst nie gefragt wird.
Wie haben Sie bei »Breaking the Waves« Licht gesetzt? Es gibt ja Kameraleute, die leuchten so ein, dass die Schauspieler genau ihre Positionen treffen müssen, und andere lassen ihnen viel Freiraum.
Ich habe selten Markierungen gemacht. Meistens habe ich so eingeleuchtet, dass wir alle Möglichkeiten hatten. Für viele Szenen wurde nur einmal Licht gesetzt.
Bei »24 Hour Party People« von Michael Winterbottom haben sie ebenfalls sehr flexibel gearbeitet.
Wir haben ohne Klappe gedreht. Mit mehreren kleinen Videokameras, die direkt mit dem Gerät für die Tonaufnahmen verbunden waren. Die Schauspieler hatten alle kabellose Ansteckmikrofone. Ich konnte mich also mit der Kamera überallhin bewegen.
Das ist wohl die größtmögliche Freiheit, die man als Kameramann haben kann.
Im Nachtclub konnte ich zum Beispiel frei improvisieren. Die einzelnen Szenen spielten in ganz unterschiedlichen Ecken, aber wir konnten einfach sagen, lass uns das hier drehen, und wir waren schon fertig. Ich hätte die Kamera praktisch anschalten können, als ich aus dem Auto gestiegen bin.
Zur Person
Robby Müller wurde am 4. April 1940
in Willemstad in den Niederlanden geboren. Nach den Studium an der
Nederlandse Filmacademie in Amsterdam Kamera bei zahlreichen deutschen
Filmen, u.a. von Geißendörfer und
Wenders. Seit Ende der 70er Jahre auch Tätigkeit für internationale Produktionen, darunter für Peter Bogdanovich und William Friedkin und vor allem
Jim Jarmusch und Lars von Trier.