»Nicht nur junge Schöne auf dem Partywagen«
Der demografische Wandel und die schleichende Ausgrenzung alter Menschen ist ein viel diskutiertes Thema. Mit dem diesjährigen CSD-Motto »lebenslang liebens:würdig« wird der Blick auf die schwul-lesbische Facette des Alterns gerichtet.
In Köln leben schätzungsweise 22.000 lesbische und schwule Menschen über sechzig Jahre. Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, die von Diskriminierung und Kriminalisierung homosexuellen Lebens geprägt war: Der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde zwar 1969 entschärft, aber erst 1994 endgültig abgeschafft. Viele der alten Schwulen und Lesben konnten lange Zeit ihres Lebens nicht offen und selbstbewusst zu ihrer Sexualität stehen – und können es auch heute noch nicht.
Wenn diese Menschen pflegebedürftig werden, fürchten viele von ihnen – laut einer Studie von 2004 sind es drei Viertel –, in konventionellen Altenheimen erneut diskriminiert, isoliert und abgelehnt zu werden. Das kann durch gleichaltrige heterosexuelle MitbewohnerInnen geschehen, die ihre alten Vorurteile wieder hervorkramen, aber auch durch das Pflegepersonal, das mit den Erfahrungswelten der schwul-lesbischen Klientel nicht vertraut ist.
Das Kölner Beratungszentrum für Schwule und Lesben Rubicon, das mit den Golden Gays und Golden Girls zwei Altengruppen unterhält und an der Motto-Findung aktiv beteiligt war, fordert deshalb, die Einrichtungen der traditionellen Altenhilfe um Angebote für Schwule und Lesben zu erweitern.
Dazu gehören selbst organisierte Wohnprojekte genauso wie Altenpflegeeinrichtungen oder Stadtteil-Netzwerke, wie es sie für heterosexuelle SeniorInnen schon gibt. Ein entsprechender Antrag für die Schaffung eines Seniorennetzwerks für Lesben und Schwule hat das Rubicon der Verwaltung bereits vorgelegt. Die Kölner Sozialdezernentin Marlis Bredehorst (Grüne) begrüßt und unterstützt den Antrag.
StadtRevue: Die Golden Girls sind eine Gruppe für Lesben ab fünfzig, die die Golden Gays eine Gruppe für Schwule ab vierzig. Warum werden Männer zehn Jahre früher alt als Frauen?
Butz Brand: Der Jugend- und Körperkult ist bei den Schwulen sehr verbreitet. Schon ab dreißig treten deshalb die ersten Krisen auf. In der Szene wird man oft nach dem Aussehen beurteilt, da wird Altern natürlich zum Problem. Die Golden Gays sind normalerweise ab fünfzig, doch mittlerweile haben wir vier Leute, die jünger sind, der Jüngste ist 37.
Wie alt ist die jüngste Frau bei den Golden Girls?
Susi Beckers: Da sind auch einige unter fünfzig dabei, aber die meisten sind älter. Wir wollen die älteren Lesben hinter dem Ofen hervorlocken, die trauen sich nicht heraus. In den Szenekneipen ist ja vor allem die Zahnspangengeneration vertreten (lacht).
Das Motto des diesjährigen CSD will die besonderen Bedürfnisse älterer Schwuler und Lesben öffentlich machen. Wodurch unterscheiden die sich von den Bedürfnissen älterer Heterosexueller?
Brand: Lesben und Schwule haben vor allem andere Lebenserfahrungen gemacht. In meiner Jugend hat man über Homosexualität nicht offen gesprochen das gab es einfach nicht ...
Beckers: ... damals bekam man gesagt, lesbische Frauen sind anormal. Für mich kam eine lesbische Beziehung überhaupt nicht in Frage, obwohl ich eine Frau kennengelernt hatte, die mich verführt hat. Nach dem Krieg hatte ich Angst, man könnte mir das Lesbischsein ansehen, das war gefährlich.
Brand: Ich finde das Thema Schwule und Lesben im Alter gut, weil nicht nur die jungen Schönen auf dem Partywagen im Mittelpunkt stehen. Die älteren Schwulen und Lesben wären in ihrer Jugend auch gerne auf eine Party gegangen oder hätten sich Hand in Hand in der Öffentlichkeit gezeigt. In der Adenauer-Ära war das aber nicht so einfach möglich, es gab den Paragrafen noch, der Homosexualität unter Strafe stellte. Ich finde gut, dass diese Generation heute berücksichtigt wird.
Die Forderungen, die mit dem Motto verbunden sind, betreffen auch die Altenpflegeeinrichtungen: Es müsse Orte geben, an denen sichergestellt ist, dass es keine Diskriminierung gibt, wo gleichgeschlechtliche Paare im selben Zimmer untergebracht werden können und das Personal entsprechend der Zielgruppe geschult wird.
Beckers: Mir wäre es schon recht, wenn es da auch Lesben gäbe. Aber ich würde auch, wenn es sein muss, in ein konventionelles Altersheim gehen, wo die meisten Leute heterosexuell sind.
Haben Sie keine Angst vor Diskriminierung?
Beckers: Nein. Ich habe mir überlegt, dass alles normal ist, was man tut, solange man keine anderen Menschen damit schädigt. Und wenn jemand blöde Sprüche macht, der kriegt eine passende Antwort – so ist mein Leben.
Brand: Ich finde wichtig, dass auch für schwule und lesbische Alteneinrichtungen Geld ausgegeben wird. Denn es gibt doch viele, die nicht so geradeheraus sind. Ich kenne ältere Männer, die es nicht schaffen, so selbstbewusst und offen zu ihrem Schwulsein zu stehen.
Was brauchen die für Einrichtungen?
Brand: Die brauchen einfach einen Ort, an dem sie mit Schwulen zusammen leben können, wo auch das Pflegepersonal schwul ist, wo sie sicher sind, dass sie nicht noch einmal diskriminiert werden.
Was verbindet Ihr persönlich mit dem Motto »lebenslang liebens:würdig«?
Brand: Schon als ich 15 war, habe ich den Männern nachgeguckt und konnte es nicht leben. Heute, wo ich 58 bin, hab ich trotzdem nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Und ich bin froh, dass die Jüngeren es heute einfacher haben. Die Älteren haben mit dem Leben, das sie gelebt haben, etwas dafür getan.
Was sind Eure Forderungen an die Politikerinnen und Politiker?
Brand: Eine Initiative in Köln arbeitet an einem Wohnprojekt, wo ältere Schwule und Lesben zusammen wohnen können. Sie versuchen ein Haus hier in Köln zu bekommen, das sollte unterstützt werden. Insgesamt müsste es ein besseres Netzwerk für die Älteren geben. Die Gesellschaft hat damals nicht zugelassen, dass sie leben können, wie sie wollen. Sie sollen heute zu ihrem Recht kommen.
Hat die Gesellschaft an Ihrer Generation etwas gutzumachen?
Brand: Wieder gutmachen ist schwierig. Man muss die Schwulen und Lesben heute akzeptieren. Wenn das allein gewährleistet wäre, hätten alle viel gewonnen.
Golden Girls und Golden Gays
Die beiden Gruppen für ältere Schwulen und Lesben sind dem Beratungszentrum Rubicon (Rubensstr. 8-10, 50676 Köln) angegliedert. Der Stammtisch der
Golden Girls findet jeden zweiten und vierten
Montag im Monat in wechselnden Kölner Cafés statt.
Kontakt unter Tel. 19446 oder E-Mail: info@rubicon.
koeln.de. Die Golden Gays treffen sich jeden ersten und dritten Montag des Monats um 19 Uhr im
Rubicon. Kontakt über Butz Brand, Tel. 0178-401 63 24 oder E-Mail: butzbrand@hotmail.com
Veranstaltungen zum Thema
Der Verein »Schwul-Lesbisches Wohnen«
informiert über die Möglichkeiten des Kölner Wohnprojekts. 24.6., 18-20 Uhr im Rubicon, Rubensstr. 8-10, 50676 Köln.
»Wir im Alter« – Schwule in den besten Jahren.
Vortrag von Stefan Jüngst vom Schwulen Seniorenbüro NRW mit anschließender Diskussion. 27.6.,
18-20 Uhr im Rubicon, Rubensstr. 8-10, 50676 Köln.
Straßenfest am Rande der Baugrube
Am ersten Juli-Wochenende (1.-3. Juli) findet der Kölner CSD statt, dessen Höhepunkt die sonntägliche Parade ist: Mehr als 100 Wagen und unzählige Fußgruppen werden von der Deutzer Brücke aus durch die Innenstadt zum Dom ziehen. Letztes Jahr zog die Parade rund eine Million ZuschauerInnen an. Am Samstag und Sonntag gibt es ein großes Straßenfest – traditionell auf dem Heumarkt und dem Alter Markt.
Doch der Alter Markt ist derzeit wegen der Arbeiten an der Nord-Süd-U-Bahn eine Baustelle. Also schlug der Kölner Lesben- und Schwulentag (KLuST) als Veranstalter des CSD vor, das Straßenfest teilweise in den Rheingarten zu verlagern. Doch die Verwaltung lehnte kategorisch ab, um nicht einen Präzedenzfall für andere Veranstaltungen am Rheinufer zu schaffen. Trotz Bitten des KLuST um politische Unterstützung zeigte der Rat wenig Interesse, noch nachträglich auf die Entscheidung der Stadtverwaltung Einfluss zu nehmen.
Das verärgert die schwul-lesbische Community. Denn gerne schmückt sich die Stadt mit dem schwul-lesbischen Großereignis – und weist zu gegebener Zeit auch auf die wirtschaftliche Bedeutung für Köln hin. Immerhin bringt der CSD nach offiziellen Schätzungen über 50 Millionen Euro in die Stadt.
»Was uns wirklich ärgert, ist die Äußerung des Ordnungsamtleiters Robert Kilp, dass es dem CSD zumutbar sei, sich während der Baumaßnahmen zu verkleinern«, empört sich Markus Danuser vom KLuST. Eine Haltung, die nur schwer nachvollziehbar sei, zumal über 700.000 Besucher erwartet werden.
Der CSD markiert den Abschluss einer Reihe von Veranstaltungen und Partys, die unter dem Titel »Cologne Pride« schon seit dem 18. Juni stattfinden. (bm/yg)
Alle Termine zu Cologne Pride und CSD im StadtRevue-Tageskalender.