Jonathan Briefs hat die Rednerschule beim Kölner Festkommitee mitbegründet

Stress Alaaf I

»Beim Karneval hört der Spaß auf«

Der Coach und Karnevalist Jonathan Briefs über Stress

im Karneval und warum es Spitzensportler etwas leichter

haben als Spitzenkarnevalisten

Herr Briefs, Sie sind begeisterter Karnevalist und helfen Spitzensportlern beim Stressabbau. Wie anstrengend ist Karneval?

 

Man sagt: »Beim Karneval hört der Spaß auf.« Wenn man beruflich im Karneval unterwegs ist, ist das auch so. Das hat viele Faktoren. Ein Teil ist Veranlagung, man hat Schwierigkeiten, »Nein« zu sagen und sich abzugrenzen. Da gibt es auch eine Nähe zur Depression, was ja ein anderes Wort für Burn-Out ist. Grundsätzlich glaube ich, dass die Rahmenbedingungen im Karneval ziemlich anstrengend sind. 

 


Welche Rahmenbedingungen meinen Sie?

 

Viele Karnevalisten haben den großen Erfolg nicht und stehen zwischen ihrem Beruf und der Herzensangelegenheit Karneval. In ihrer Freizeit arbeiten sie im Grunde genommen weiter, wenn sie als Büttenredner auftreten. Viele von ihnen sind auf geringem finanziellen Niveau unterwegs, auf kleinen Festen oder in Pfarrgemeinden im Umland. Ihr Aufwand ist derselbe wie bei denjenigen, die hier bei den großen Sitzungen in der Stadt auftreten, wenn nicht sogar -größer. Wenn man erfolgreicher wird, steckt man in einem anderen Spagat: dem zwischen den Pfarrsitzungen und den großen Sitzungen im -Gürzenich oder den Sartory-Sälen. Dann traut man sich nicht, die kleinen Sitzungen abzusagen, obwohl man da kaum noch was verdient, weil man nicht weiß, wie lange der Erfolg anhält. 

 


Ist dieser Druck denn geringer, wenn man einmal in der ersten Liga der Karnevalsredner angekommen ist?

 

Ein Redner steht mutterseelenallein vor 800 bis 1000 Leuten, zwanzig Minuten lang, acht- bis neunmal am Tag.  Anstrengend dabei ist, dass man immer von Null auf hundert fahren muss. Man muss jeden Saal kriegen — wehe, wenn nicht. Dann hat man ein Problem. Es geistert diese Zahl von dreißig Leuten herum, die den Kölner Karneval bestimmen: Präsidenten, Literaten, Agenturen, die Presse. Wenn man sich mit einem davon nicht mehr versteht, hat man verloren.

Willibert Pauels, der »bergische Jung«, hat gesagt, dass auch Krankenschwestern im Karneval unter Stress stehen, da aber nicht so sehr drüber geredet wird. Für mich ist die Frage, warum er das vergleichen muss. Sein Schicksal wird dadurch nicht geringer, dass es anderen auch schlecht geht. Für mich ist das eine Aussage, die schon bemerkenswert ist. 

 


In den letzten Jahren haben mehrere Karnevalisten — Willibert Pauels oder Marc Metzger etwa — wegen einer Depression eine Pause vom Karneval gemacht. Gibt es unter den Rednern einen Zusammenhalt, der so etwas verhindern könnte?

 

Wer einen Burn-Out hat, erfährt zwar viel Verständnis, aber er hat auf hohem Niveau versagt. Es gibt untereinander eine Art Solidarität, weil man eine Sitzung für das Publikum und den Karnevalsverein retten will. Die Agenturen der Redner suchen dann gemeinsam nach einem Ersatz. Ich glaube aber nicht, dass es eine gefühlte Solidarität untereinander gibt. Es gäbe auch niemals die Möglichkeit, einen Streik unter Rednern in Köln zu organisieren, um über die Auftrittsbedingungen oder die Honorare zu sprechen. Das gibt es unter den Bands ja auch nicht.

 

 Da unterscheidet sich der Karneval nicht von anderer Kulturarbeit. Wie halten die Karnevalisten das denn durch?

 

Dieses Jahr ist es wegen der kurzen Session besonders anstrengend, selbst an Montagen, die ansonsten immer frei sind, finden Sitzungen statt. Die Redner dürfen also nicht krank werden, sie müssen funktionieren. Also passen sie ihr Verhalten an. Sie geben den Ellbogen anstatt der Hand. Sie trinken keinen Alkohol und nehmen vorbeugende Mittel. Ich kenne Leute, die mit vollen Koffern unterwegs sind und ihre Mittelchen mit den Kollegen austauschen, um sich gegenseitig zu schützen. Der Druck ist hoch. 

 


Ist das bei Spitzensportlern, die sie beraten, ähnlich?

 

Da gibt es Unterschiede. Beide sind Leistungsträger in einer Leistungsgesellschaft. Spitzensportler sind allerdings saisonal unterwegs. Die trainieren im Sommer, damit sie im Winter Erfolg haben. Bei vielen Leuten im Kölner Karneval, Musikern wie Bands, ist es mittlerweile so, dass sich das nicht mehr aufs saisonale Geschäft beschränken. Sie wollen davon leben, also treten sie das ganze Jahr auf. Die Sportler haben es da etwas leichter, weil bei ihrer Saisonvorbereitung niemand zuschaut. Trotzdem ist der Druck dort hoch, auch wenn die manchmal sogar weniger Geld als die Spitzen-Karnevalisten verdienen.

 


Was würden Sie denn Leute raten, die am Burn-Out-Syndrom leiden?

 

Öfter mal abschalten (lacht). Wichtig ist, dass man seinen eigenen Flow hat. Man muss eine Balance finden zwischen den Herausforderungen und seinen Fähigkeiten. Bei den Sportlern ist dafür das Umfeld ganz wichtig: die Familie, der Trainer. Wie kann ich Reisen und Interviews vereinfachen? Gönne ich mir Ruhe? Wie de-finiere ich Erfolg?  So etwas müsste man auch mit den Rednern im Karneval machen. Das sind Hochleistungsredner, die brauchen eine effiziente Organisation und eine Agentur, die darauf achtet, dass es den Rednern gut geht. Umsatz ist nicht alles.

 


Ist eigentlich der Alternativkarneval, etwa für die Stunksitzung, auch so stressig?

 

Die Stunksitzung ist ja ein festes System, das seit 1990 existiert. Die müssen aber auch an 42 Terminen täglich auf die Bühne. Ich glaube, dadurch, dass die das als Gruppe machen, ist das abgefedert. Da gibt es nicht die große Angst, dass man weg vom Fenster ist, wenn man mal ausfällt.

 


Sie sind beim Alternativkarneval als »Depressivche« aufgetreten. Warum haben Sie diese Figur erfunden?

 

Das war ein bewusster Gegenentwurf im Tempo, im Aussehen und auch in den Inhalten. Das »Depressivche« ist eine Anti-Figur. Sie ist sehr langsam, sie redet von ihren Depressionen, von dem Ödipuskomplexen und von Penisneid. Sie war ganz in Grau gekleidet. Ich hatte eine Konfettikanone dabei und habe »Stimmung« gerufen. Die Leute haben dann jedes Mal mit »Oooh« geantwortet und großes Mitleid gehabt. Das Publikum lacht über das defizitäre, tragische Leben der Figur. Vielleicht haben sich die Leute auch ein Stück weit darin wiedergefunden.

 

 

Jonathan Briefs hat die Rednerschule beim Kölner Festkommitee mitbegründet
und arbeitet als Coach für Spitzensportler und Manager