Bald nicht mehr zu sehen: Wald im Hambacher Forst | Foto: Manfred Wegener

Autobahn zum Mond

Der Hambacher Forst ist ein einzigartiges Waldgebiet — und Braunkohle-Tagebau. Ein Sonntagspaziergang der besonderen Art

Michael Zobel ist hocherfreut. 250 Besucher aus Köln, Aachen, Düren und Umgebung sind an einem kalten Sonntag im Januar seiner Einladung gefolgt: ein Spaziergang durch den Hambacher Forst. Auch zwei Fernsehteams sind angereist. Seit mehr als 15 Jahren führt Zobel, Mittfünfziger mit Lederweste und Hut, durch Wald und Wiesen: Es gibt Narzissen- und Orchideen-Wanderungen oder Ausflüge für Kinder. Doch um Natur geht es heute nur am Rande: Hambach liegt im rheinischen Braunkohlerevier, der größten Braunkohle-Lagerstätte Europas. Der Kohleabbau durch die RWE ließ den 5500 Hektar großen Wald auf rund 1000 Hektar schrumpfen, jedes Jahr zwischen Oktober und Februar wird weiter gerodet. 

 

Mit federndem Schritt führt Zobel in den Hambacher Forst. Vom Kohleabbau ist noch keine Spur zu sehen, Hainbuchen und Stieleichen stehen dicht beieinander, dazwischen schlängelt sich ein Trampelpfad. Der Boden ist schlammig, wir kommen nur langsam voran. »Seit der letzten Eiszeit ist hier immer Wald gewesen, und dieser Mischwald ist in Mitteleuropa einmalig«, erklärt Zobel. 

 

Unsere erste Station ist ein Camp von etwa 20 Aktivisten. Sie haben 2012 Stellung bezogen, um eine weitere Rodung zu verhindern. Drei Baumhäuser haben sie in rund 20 Metern Höhe angebracht. Es ist das vierte Camp — die vorherigen wurden von der Polizei geräumt. Doch die Aktivisten geben nicht auf: »Ich will mich nicht in 30 Jahren fragen müssen, warum ich heute nichts unternommen habe«, sagt Aktivist Clumsy, nachdem er sich kamerawirksam von einem Baumhaus abgeseilt hat.

 

»In keiner Region Europas wird so viel klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft geblasen wie im Städtedreieck Aachen, Mönchengladbach und Köln«, sagt Dirk Jansen vom BUND NRW. Hinzu kämen Feinstaub und Quecksilber. Die Grundlage für die Kohleförderung in Hambach stammt von 1991, damals galt Braunkohle als günstigster Energieträger. Die energiewirtschaftlichen Bedingungen haben sich geändert, doch weder der Ausbau der Erneuerbaren Energien noch die EU-Klimaschutzziele hatten Auswirkungen auf den Tagebau.

 

Weiter geht es zum Wiesencamp: Wohnwagen stehen auf einem Acker, es gibt Kompostklos, einen Versammlungsraum, und das »Dürener Küchenkollektiv« verteilt veganen Eintopf. Ein Kerpener hat das Gelände den Aktivisten überlassen. Ansonsten halten sich die Anwohner mit Protesten zurück, kaum einer glaubt, noch etwas ändern zu können. Vier Ortschaften sind bereits abgebaggert, die Orte Manheim und Morschenich sollen ebenfalls weichen, die Umsiedlung der 2100 Einwohner hat schon begonnen. Seit die A4 für den Tagebau verlegt wurde, leben die Einwohner von Buir direkt an der Autobahn, während die Abbruchkante immer näher rückt.

 

Über das Braunkohlerevier, zu dem neben Hambach die Tagebaue Garzweiler II und Inden gehören, wird seit Jahrzehnten gestritten. Ende der 90er Jahre wäre die erste rot-grüne Koalition in NRW wegen des Tagebaus Garzweiler II fast zerbrochen, als Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) die Erweiterung verhindern wollte und die Genehmigung für Garzweiler II 1998 nur auf Druck der SPD erteilte. Heute ringen SPD und Grüne wieder um den Kohleabbau. 2014 verkündete NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) überraschend, man habe sich auf eine Verkleinerung von Garzweiler II verständigt. Den Gesetzesentwurf legte die Koalition im September 2015 vor. 

 

Eine Buirer Initiative fordert auch die Verkleinerung des Hambacher Tagebaus, damit ein Abstand von 400 Metern zu ihrem Ort eingehalten werde. Doch die »Neue Leitentscheidung zur nachhaltigen Perspektive für das Rheinische Revier« der Landesregierung sieht nur die Verkleinerung von Garzweiler II vor. In Hambach und Inden soll weiter gebaggert werden — noch bis 2045. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müsse aber nach fünf Jahren Schluss sein, sagt Dirk Jansen vom BUND NRW. Die Verkleinerung von Garzweiler II sei lediglich ein »Zückerchen der rot-grünen Koalition«.

 

Vom Wiesencamp führt Zobel zur Abbruchkante: Dahinter erstreckt sich eine Mondlandschaft, 85 Quadratkilometer umfasst das Abbaugebiet. Zwischen dem riesigen Loch und dem noch übriggebliebenen Wald erstrecken sich weite Brachflächen, überall liegen gefällte Bäume: das Ergebnis der letzten Rodungssaison. RWE hat die Energiewende verschlafen, der Konzern ist hochverschuldet. Erst im Dezember 2015 gab RWE bekannt, auf Erneuerbare Energien zu setzen: Eine neue Ökostrom-Tochter soll ab April das Kerngeschäft übernehmen. Atomkraft, Gas und Kohle verbleiben beim Mutterkonzern.

 

Über den stillgelegten Abschnitt der alten A4 führt Zobel nun zum Ausgangspunkt zurück: Zwei ausgebrannte Lieferwagen deuten darauf hin, dass der Protest nicht immer gewaltfrei verläuft. Mehrfach kam es zu Zusammenstößen von Aktivisten und der von RWE beauftragten Sicherheitsfirma. Im Januar fuhr ein Jeep der Firma mit hoher Geschwindigkeit in eine Gruppe Aktivisten, einer wurde schwer verletzt. Zobel selbst versteht sich nicht als Aktivist: »Ich bin Waldpädagoge«, sagt er. »Ich möchte Bilder zeigen, die niemand sehen soll. Was man damit macht, ist jedem selbst überlassen.« 

 

Im Frühjahr will die Landesregierung die »Leitentscheidung« verabschieden.