Dort, wo es wehtut
»Kwela« ist die Musik, die in den Kneipen der Makokoba Township 1946 gespielt wird. Die schwarzen Soldaten sind zurück. Sie haben an der Seite Englands am zweiten Weltkrieg teilgenommen, die Bürgersteige betreten dürfen sie deshalb noch lange nicht. Trotz der rigiden Apartheidgesetzgebung herrscht Aufbruchstimmung in dem schwarzen Vorort von Bulawayo, der zweitgrößten Stadt Simbabwes, das damals noch Rhodesien heißt. »Die afrikanische Bevölkerung lernte Straßenpflaster und Straßenlaternen kennen, kurze Röcke und BHs, Reißverschlüsse und Kerzenständer. Es war die Zeit der Musik, der Gitarren, die Zeit des Jazz und des Feierns«, beschreibt Yvonne Vera in einem Interview die Nachkriegsjahre, in denen ihr neuer Roman »Schmetterling in Flammen« spielt.
Die Beschreibungen der illegalen Bars, der kleinen Hütten und des Straßenlebens in der Makokoba Township bilden den Hintergrund für die Liebesgeschichte zwischen der jungen Phephelaphi und dem wesentlich älteren Fumbatha. Eine innige Liebe, die zunächst Fumbathas Bitterkeit und Phephelaphis Trauer über den Tod ihrer Mutter zu heilen scheint. Doch die Beziehung wird Phephelaphi bald zu eng. Sie will auf eine Krankenpflegeschule gehen, an der erstmals auch schwarze Frauen aufgenommen werden sollen, und nimmt deshalb heimlich eigenhändig eine Abtreibung vor. Als Fumbatha das herausfindet, eskaliert die Situation und Phephelaphi, die keinen Ausweg mehr sieht, zündet sich an.
Yvonne Vera, die selber 1964 in Bulawayo geboren wurde und bei ihrer Großmutter in einer Township aufwuchs, zählt zu den aufregendsten jungen Stimmen Afrikas. Die Unabhängigkeit Simbabwes 1980 erlebte sie als Jugendliche. Nach dem Abschluss der Schule ging sie mit einem Stipendium nach Kanada, um Englische Philologie, Kunstgeschichte und Filmwissenschaft zu studieren. Zehn Jahre später kehrte sie zurück, als erste Frau Simbabwes, die im Ausland promoviert hatte. Während des Studiums in Kanada begann sie zu schreiben und nutzte die geografische Distanz, um in einem Erzählband (»Seelen im Exil«, dt. 1997) nationale Mythen um den Befreiungskrieg in Frage zu stellen. Zu einer Zeit, als in Simbabwe Kritik nicht möglich war, schilderte sie erstmals Ambivalenzen, Widersprüche und enttäuschte Hoffungen aus der Perspektive von Frauen.
Ihr zweiter Roman »Die Frau ohne Namen« (dt. 1997) begleitet eine junge Frau auf einer Busfahrt. Auf dem Rücken trägt sie ihr totes Baby. Erst allmählich wird klar, dass sie ihr Kind umgebracht hat, das sie nach der Vergewaltigung durch einen Befreiungskämpfer bekam. Auch in dem noch unübersetzten dritten Roman »Under the Tongue«, für den Yvonne Vera den Commonwealth Writers Prize erhielt, thematisiert sie sexuelle Gewalt. Unbeirrt wählt sie sich schmerzhafte und tabuisierte Themen und versucht, in jedem ihrer mittlerweile fünf Bücher erneut, herauszufinden, wo es wehtut. Doch nicht die Handlung ist zentral in Veras Romanen. In einer sehr dichten, körperlichen Sprache und suggestiven Bildern beschreibt sie vielmehr psychische Prozesse, Gewalterfahrungen von Frauen und Momente zwischen Leben und Tod.
Als Kind habe sie oft mit baumelnden Beinen auf den Mülltonnen vor dem Haus ihrer Großmutter gehockt und den Zauber entdeckt, »den eigenen Leib zum Träger der Schrift zu machen«, schreibt Yvonne Vera in einer autobiografischen Skizze. »Mit den Fingernägeln oder mit Borsten, die ich aus dem Besen meiner Grossmutter zupfte, begann ich, auf meinen Beinen zu schreiben. Ich fing bei den Schenkeln an; dort war das Fleisch weich, die Schrift blieb nicht lange sichtbar, dafür hinterliess sie ein scharfes, prickelndes Gefühl.« Ein Vorgehen, das sich auf ihre Literatur übertragen lässt, denn auch als Autorin will sie Empfindungen hervorrufen, die Grenzen des Erträglichen ausloten. Als Werkzeug benutzt sie eine Sprache, die so gestochen scharf ist wie die Borsten, die sie als Kind so faszinierten.
Trotz seiner sprachlichen Komplexität ist »Schmetterling in Flammen« der leichteste und zugänglichste Roman Yvonne Veras. Während »Nehanda«, ihr erster Roman (dt. 2000) über eine Widerstandskämpferin des 19. Jahrhunderts stilistisch noch etwas gewollt und hermetisch wirkt, hat sie mittlerweile eine Meisterschaft entwickelt, mit wenigen Worten Bilder zu schaffen, die an expressionistische Malerei erinnern, wie zum Beispiel in der Beschreibung einer Barszene: »Sie sitzt mit angezogenen Knien auf dem Fußboden, die dicken Arme um die Knie geschlungen. Neben ihr fällt, von hoch oben, ein schwarzer Hut ohne Krempe zu Boden. Der Mann, der über ihr steht, lehnt sich weit nach hinten und schüttet eine ganze Flasche frische Milch in sich hinein.«
»Wir müssen mutig schreiben, glühend«, fordert Yvonne Vera im Vorwort einer von ihr herausgegebenen Anthologie mit Erzählungen afrikanischer Autorinnen, die ebenfalls jetzt auf Deutsch erschienen ist. Neben Ama Ata Aidoo aus Ghana, der Grand Dame der afrikanischen Literatur, sind in dem Erzählungsband zahlreiche junge bzw. bislang noch unübersetzte Autorinnen aus Simbabwe, Mauritius, Südafrika, Sudan, Nigeria, Mosambik, Sambia, Namibia, Mali und der Elfenbeinküste versammelt.
Was die 16 von Yvonne Vera ausgewählten Autorinnen verbindet, ist die subtile Radikalität, mit der sie neue Wege gehen. »Opening Spaces« lautet der programmatische Titel der Anthologie im Original, woraus im Deutschen leider ein völlig belangloses »Black Women« wurde. Während Norma Kitson eine Frau porträtiert, die sich im hohen Alter scheiden lassen will, weil sie die notorische Untreue ihres Gatten satt hat, schildert Lilia Momplé das dekadente Leben der Geliebten des Majors. Bei Ifeoma Okoye setzt sich eine Lehrerin mit ungewöhnlichen Methoden gegen die Schikanen ihres Direktors zur Wehr, während Sindiwe Magona in »Empörung« die Enttabuisierung des Themas Aids fordert. Zu den stärksten Geschichten zählt zweifellos »Der Kugelschreiber« von Gugu Ndlovu, in der drei Mädchen versuchen, in einem Stundenhotel eine Abtreibung vorzunehmen. Eindrücklich auch »Das rote Samtkleid« von Farida Karodia, das den Stoff einer südafrikanischen Familiensaga auf die Länge einer Erzählung verdichtet: Eine Frau, die ihren Vater erschossen hat, tritt nach einem langen Gefängnisaufenthalt an das Bett ihrer sterbenden Mutter und erfährt, dass sie das Kind einer Verbindung ihrer weißen Mutter mit einem schwarzen Angestellten ist.
Wie jede gute Anthologie weckt »Black Women« das Bedürfnis, längere Texte der Autorinnen kennen zu lernen. Zu den wenigen, deren Romane auf Deutsch übersetzt wurden, zählt die ebenfalls 1964 geborene Leila Aboulela. Ihre preisgekrönte Erzählung »Das Museum« variiert ein Thema, das sie auch in ihrem vor kurzem auf Deutsch erschienenen Roman »Die Übersetzerin« behandelt: Die Begegnung einer muslimischen Studentin aus dem Sudan mit einem christlichen Mann an einer schottischen Universität. Während die beiden Welten in der Erzählung jedoch unvermittelt aufeinander prallen, löst Aboulela diese Konstellation in ihrem äußerst feinfühligen Roman in einer überraschenden Wendung auf: Der schottische Dozent konvertiert zum Islam.
»Ich weiß um das enorme Risiko, das eine Frau eingeht durch die bloße Anstrengung des Schreibens«, schreibt Vera im Vorwort der Anthologie. »Dass sie schreibt und diese existenziellen Geheimnisse preisgibt, ist ein mutiger Akt.« Sie weist aber auch darauf hin, dass das Schreiben afrikanischen Frauen häufig mehr Freiraum bietet als das Reden. »Es gibt weniger unmittelbare und schockierte Reaktionen. Dem geschriebenen Text lässt man seine Intimität, seine Privatheit, seine Schaffung einer Welt, seine Vorschläge, seine individuellen Charaktere, seinen Unglauben. Schreiben ermöglicht einen Moment der Intervention.«