Foto: Manfred Wegener

Was bleibt von der Kunst I

Der große Kölner Kunstmarkt feiert vom 14. bis 17. April seine Jubi­läumsausgabe. Aber warum ist eine Spezialmesse, die nur einen ­kleinen Kreis von Interessenten anspricht, seit Jahr und Tag Stadt­gespräch? Wir nehmen dieses eigentümliche Verhältnis zum Anlass, über die Rolle der Kunst in unserer ­Markt-­Gesellschaft zu reflektieren. ­Felix Klopotek schreibt über Kunst als ­heilige Ware, Stefan Ripplinger geht in seinem großen Essay ­»Vergebliche Kunst« der Frage nach ihrem utopischen ­Charakter nach, Manfred Wegener fotografierte den Messe-Aufbau. Die besten Tipps und Termine rund um die Art Cologne hat Melanie Weidemüller ausgesucht.

 

Profane Heiligtümer

 

Warum uns ein nachgemaltes Gerhard-Richter-Bild fasziniert

 


Zu Besuch bei einem betuchten Mann. An der Wand hängt ein abstraktes Wischbild. »Gerhard Richter«, schießt es einem sofort durch den Kopf. Noch ein Wischbild hängt an der Wand, und als wir im Wohnzimmer sitzen, hängen da zwei weitere. Klar, denkt man sich, der Mann hat Geld, da kann er sich auch ein paar Richter-Arbeiten leisten. Aber Moment, Richter? Da kostet doch auch ein aktuelles, noch nicht kanonisiertes Bild schon einen Millionenbetrag. Und der hat gleich vier davon an den Wänden? Als Journalist kann man nicht anders und muss nachfragen.

 

Tatsächlich wird unser Mann, wie er lachend gesteht, so gut wie nie direkt auf die Bilder angesprochen. Zu einschüchternd wirkt ihre Präsenz, wirkt das Signal GERHARD RICHTER. Die Bilder seien aber gar nicht von Richter. Die seien von einem Künstler, der streng konstruktiv male, rote Quadrate und schwarze Kreise. Er sei in Fachkreisen gar nicht mal unbekannt (Name wird nicht verraten!), aber er verkaufe sich einfach nicht. Also habe der Künstler angefangen, in Absprache mit einem Galeristen in der Art des Gerhard Richter zu malen. Die Bilder seien korrekt signiert, aber sie werden nicht in das Werkverzeichnis aufgenommen und von der Galerie nur als Bückware verkauft. Und billig sind sie nicht, ihr Verkaufspreis liegt im mittleren vierstelligen Bereich. Nicht wenigen ist es das wert, um bei sich zu Hause oder in den Büro- und Praxisräumen den Richter-Effekt zu erzeugen. Es sind de facto Ersatzprodukte, aber sie haben die Weihen eines echten Kunstwerks: Produziert und signiert von einem renommierten Maler, vertrieben über eine Galerie, geadelt mit einem stattlichen Preisschild.

 

Das ist nur eine Anekdote, allen Beteiligten ist daran gelegen, dass diese Kunst aus zweiter Hand keine Schule macht, auf der Art Cologne spielt sie keine Rolle. Aber trotzdem ist sie bezeichnend. Befriedigt der Pseudo-Richter doch offensichtlich ein doppeltes Bedürfnis: einerseits geht es um den Effekt — eine gewisse Einschüchterung, der Nachweis des hohen sozialen und kulturellen Status des Besitzers; andererseits muss dieser Effekt durch einen  Gegenwert gedeckt sein — es ist ja ein authentifiziertes Kunstwerk. Was da noch durchschimmert, ist ein emphatischer Begriff von Markt, eine Erinnerung, was der Markt — nicht nur der Kunstmarkt, sondern überhaupt jeder Markt — für die Gesellschaft einst leisten sollte. Auf dem Markt geht es laut und trubelig zu, es wird gebrüllt und angepriesen, auf dem Markt können sich alle beweisen — die Schnäppchenjäger und diejenigen, die mit ihren Einkäufen Überlegenheit demonstrieren wollen. Gleichzeitig sprengt der Markt Zunft- und Standesgrenzen, er steht prinzipiell jedem offen, er kennt keine Dünkel, er macht Waren auch von hoher Qualität jedem zugänglich — zumindest kann sie jeder sehen und mal kosten. Der Markt profanisiert die Güter zu beliebigen Waren, aber er ermöglicht auch einen Mindeststandard: Wenn ich mir schon nur einen Ersatz-Richter leisten kann, dann soll es doch ein »richtiger« Ersatz-Richter sein. Kein Wunder, dass die politischen Bestrebungen des einst revolutionären Bürgertums sich auf den freien Markt fokussierten: Er versprach den kommerziellen Erfolg (weil die Beschränkungen von Zünften und Ständen wegfielen) und zugleich soziale Egalität (weil Adelsprivilegien auf dem Markt keine Rolle spielen). Auf dem Markt kann es jeder schaffen: vom Tellerwäscher zum Millionär, vom Hinterzimmer-Maler zum verschmitzten Richter-Double.

 

Der Markt ist kaputt. Seine Versprechungen blieben unerfüllt. Das 20. Jahrhundert erlebte den Untergang des freien Marktes, und den Aufstieg der Monopolmacht und der Staatsintervention. Zwar spricht man seit dreißig Jahren von einer Wiederkehr des Neoliberalismus, aber die Freiheit, die er versprach, gilt nur für Monopolisten und Oligarchen, sich noch mehr Gemeingüter noch schamloser anzueignen. Im Neoliberalismus ist nichts transparenter geworden. Das Bewusstsein, von fast allen wichtigen Entscheidungen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen zu sein, hat in der Bevölkerung zugenommen.

 

Einer der letzten Märkte, die beides versprechen — nämlich Glanz und Gloria und Zugang für alle —, ist der Kunstmarkt. Zumindest will das Publikum, dass es so ist, der Kunstmarkt ist eine überdimensionale Projektionsfläche. Das trifft natürlich auch auf die Art Cologne zu. Die Anzahl derjenigen, die sich tatsächlich ein auf der Messe angebotenes Kunstwerk leisten können, steht in keinem Verhältnis zu denen, die sich für die Art Cologne interessieren, die über sie lesen und mit Freunden fachsimpeln, die die Messe besuchen und das Spektakel aus moderner Kunst und nervöser Verkaufsatmosphäre genießen. Die Art Cologne ist noch jedes Jahr Stadtgespräch gewesen, und sie ist es, weil sie eine Wunderwelt ist: Es gibt einfach keinen rationalen Grund, warum Bilder von Gerhard Richter märchenhafte Preise erzielen, während kaum jemand von Rolf-Gunter Dienst spricht. Wer dessen Farbfelder-Bilder kennt, die er vor den entsprechenden Arbeiten Gerhard Richters malte, kann auf die Idee kommen, seinerseits Richter als »Ersatz-Dienst« zu verstehen.

 

Das ist nur ein Beispiel, es gibt unzählige: Die Witwe von Cezanne soll Bilder ihres Gatten zerschnitten haben, um die Leinwände als Putzlappen zu verwenden. Wer hätte nicht dafür augenzwinkerndes Verständnis (ein Doofmann-Spruch der letzten Jahre lautete bekanntlich: Ist das Kunst oder kann das weg?), und gleichzeitig schütteln wir über so viel Borniertheit den Kopf. Kunst ist beides: profane Angelegenheit und heiliger Gegenstand. Auf dem Kunstmarkt stehen das Profane und das Heilige in einem verrückten Verhältnis zueinander, alles kann vertauscht werden. Der Kunstmarkt ist ein Tummelplatz der Protzer und Pfeffersäcke — und gleichzeitig anarchisch: launisch, unberechenbar, wild. Eine Art Casino, in dem aber mit dem edelsten der Gesellschaft spekuliert wird — ihrem ästhetischen Selbstverständnis.

 

Zumindest stellen wir uns das so vor. Wir lassen uns gerne täuschen. Eine Zeitlang hat der Kunstmarkt dieses Image selbst offensiv gepflegt. Zwischen 1967 und 1972 erschienen zum Kölner Kunstmarkt — dem Vorgänger der Art Cologne — opulente Mappenwerke: Ausstellende Galerien hatten ihre Künstler aufgefordert, jeweils eine Originalgrafik beizusteuern, die in höherer Auflage vervielfältigt wurden. Die Mappe des ersten Kunstmarktes von 1967 erhält Drucke von Georg Baselitz, Heinz Mack und Rupprecht Geiger, die heute sehr hoch gehandelt werden, aber auch Arbeiten von Hans-Joachim Dietrich, Eduard Micus oder Harry Kramer: Da nimmt das Interesse schon deutlich ab, obwohl künstlerisch nichts gegen sie spricht. Die Zeit zwischen 1965 und 1975 war die goldene Ära der Druckgrafik, nicht wenige Künstler — man denke an K.R.H. Sonderborg, Bernard Schultze, Winfred Gaul oder Thomas Lenk — wurden über diese Arbeiten, die sich an ein großes Publikum richteten, erst eigentlich bekannt. Dahinter stand der Anspruch: »Kunst für alle«, die Demokratisierung des Kunstmarktes.

 

Nachwievor finden Kunstmessen statt, die sich diesem Anspruch verpflichtet sehen — parallel zur Art Cologne sind es »Far Off« und die Kölner Liste. Das Schicksal der kaputten, weil von Monopolisten okkupierten und manipulierten Märkte hat aber die großen Kunstmessen längst ereilt. Das Event »Art Miami« ist nicht mehr anarchisch, sondern nur noch obszön: Mitleidlos wird Kunst zum Anlageobjekt panischer Milliardäre degradiert — wobei Künstler wie Jeff Koons und Damien Hirst ihre Degradierung lustvoll befördern —, weil für sie andere Märkte bereits ausgelaugt sind. Aber was deckt diese Spekulationen? Es sind keine Arbeitswerte, keine Aussichten auf die Erschließung neuer Märkte. Es sind nachwievor die Sehnsüchte des Publikums, die sich an die Kunst als etwas Ungezügeltem, Transzendierendem, Wildem heften. Es sind unsere Sehnsüchte.