Foto: Manfred Wegener

Was bleibt von der Kunst II

Der große Kölner Kunstmarkt feiert vom 14. bis 17. April seine Jubi­läumsausgabe. Aber warum ist eine Spezialmesse, die nur einen ­kleinen Kreis von Interessenten anspricht, seit Jahr und Tag Stadt­gespräch? Wir nehmen dieses eigentümliche Verhältnis zum Anlass, über die Rolle der Kunst in unserer ­Markt-­Gesellschaft zu reflektieren. ­Felix Klopotek schreibt über Kunst als ­heilige Ware, Stefan Ripplinger geht in seinem großen Essay ­»Vergebliche Kunst« der Frage nach ihrem utopischen ­Charakter nach, Manfred Wegener fotografierte den Messe-Aufbau. Die besten Tipps und Termine rund um die Art Cologne hat Melanie Weidemüller ausgesucht.

 

Vergebliche Kunst

 

Die Kunst, an der wir hängen, muss nicht die der Großmeister, es kann gerade die sein, die auf den Müll geworfen wird.

 

 

»Ars longa, vita brevis« ist nicht nur ein Spruch der Alten. Es ist ein veralteter Spruch. Gemeint war mit der Kunst, die lange währt, ohnehin nicht die, die wir meinen, sondern die ärztliche. Aber wie immer aufgefasst, hat der Satz seine Gültigkeit verloren. Denn das Leben währt nicht mehr kurz und die Kunst nicht mehr lang. Im Gegenteil verliert sie sich vor uns und vor dem, der sie entwickelt, ausgeübt und geschätzt hat. Das gilt für die ärztliche Methode wie für die künstlerische Praxis. 

 

Das von vielen für flatterhaft gehaltene Publikum ist, was die Kunst betrifft, noch eine vergleichsweise beharrliche Macht. Der Flur des Seniorenheims sieht sich mit Van Goghs Sonnenblumen geschmückt, vielleicht ein trauriges Ende für diese Bilder, und doch ist es, als ob selbst in diesem Halbdunkel noch etwas von der Leidenschaft glimmte, von der Artaud so unnachahmlich geschrieben hat. Dagegen haben die Professionellen bald genug von den Werken, denen sie gestern noch Laudationes hielten. Die Professionellen sind die Ersten, denen Kunst nicht mehr passt, ja im Wege ist. Der neue Museumsdirektor lässt eine altgediente Außenskulptur kurzerhand zum Schrott werfen. Die Kunsthistorikerin regt an, öffentliche Kunst alle zehn Jahre daraufhin »fachgerecht prüfen« zu lassen, ob sie abgeräumt werden kann. Niemand spricht abfälliger über Kunst als der Kunstprofessor, der Kunstjournalist, der Kunsthändler, der Kurator und der Künstler. 

 

Lange währt das Leben, kurz die Kunst. Ausnahmen von dieser Regel gibt es; selbst in den Industrieländern verkürzt Armut die Lebenszeit empfindlich, hier und da sind Künstler noch im Gespräch, von denen wir schon zu Kindertagen gehört haben. Wesentlich häufiger aber sind das erst preisgekrönte, dann vergessene Genie, das erst beliebte, dann verspottete Genre, das aus der Mode gekommene Medium, der Paradigmenwechsel, der Turn und der Twist. Die Anzahl derer, die sich selbst überlebt haben, übersteigt die derjenigen, die leben, bei Weitem. 

 

Die Mode sorgt für Abwechslung, und dass nichts lange gültig ist, schärft das Denken. Doch sieht es danach aus, als ob die Entwertung immer schneller vor sich ginge, die Wertschätzung immer kürzer bestünde und die gesamte Praxis, die Kunst, ebenso unterginge wie vor ihr Religion, Lyrik und Spitzenklöppelei. 

 

Aber wenn es so ist, weshalb berührt uns das so schmerzhaft? Weshalb schwingt das unangenehme Empfinden mit, die Herabwürdigung von Kunst, ja schon die Gleichgültigkeit ihr gegenüber könnten Frevel sein? Weshalb regt es uns auf, wenn Kunst fachgerecht überprüft und dann fachgerecht abgeräumt wird, wenn Kunstwerke zerstört werden oder sich selbst zerstören, wenn sie meistbietend versteigert oder unseren Blicken auf andere Weise entzogen werden? Sind es am Ende nicht bloß Artefakte und Prozeduren, anders gesagt Dinge und Routinen? Gibt es von diesen Dingen und Routinen nicht ohnehin viel zu viele? Waren die Aufführungskünste nicht von jeher vergänglich? Ließe sich der Gehalt der Kunst, wenn es einen gibt, nicht ebenso gut einer Reproduktion oder einer Beschreibung entnehmen? Steht nicht alles unverlierbar im Netz?

 

Dass wir die Dinge der Kunst mit aus der Religion entlehnten Begriffen benennen, ist an der Sache selbst nicht zu begründen. Im heiligen Respekt vor den Produkten der Kunst, im Eindruck, wer sie beschmutzt oder schmäht oder zerstört, schändete sie, gibt sich eine numinose Kraftübertragung von der Religion auf die Kunst zu erkennen. Der Glaube an ein Überdauern der Kunst ist religiöser Provenienz. Wie Diderot, Chesterton, Sartre und vermutlich viele andere gesagt haben, ist die Nachwelt das Jenseits der Kunst. Um die Kunst fürchten wir auch deshalb, weil sich in ihr ein letzter Rest Hoffnung auf die Auferstehung verschanzt hat. 

 

Die Nähe von Kunst und Religion verweist auf beider Ursprung in einer frühen Formation von menschlicher Gesellschaft. Mehr noch, diese Nähe verweist darauf, dass sie vor gar nicht so langer Zeit in einer, wenn auch nicht widerspruchslosen Verbindung miteinander standen. Das, was wir als »Kunst« ansehen, ist jüngeren Datums, auch wenn wir die — wie immer gefasste — Vorstellung von ihr weit in die Vorzeit projizieren und sogar die Höhle von Lascaux für Kunst halten, obwohl sie keine mit Ölschinken dekorierte gute Stube war.

 

Auch einer historisch-kritischen Betrachtung herzlich abgeneigte Beobachter räumen ein, dass Kunst einst in andere Funktionen verstrickt gewesen ist — wie wir annehmen dürfen, in kollektive, kultische, kommunikative, koordinierende. Dass wir etwas als Kunst und ausschließlich als Kunst ansehen, beweist nicht nur eine Ausdifferenzierung von Funktionen, sondern auch ein Zerreißen jener alten Zusammenhänge, eben der kollektiven, kultischen, kommunikativen, koordinierenden. 

 

Im Kölner Dom benehmen wir uns, als stünden wir im Wallraf-Richartz-Museum und umgekehrt in diesem wie in jenem. Die Altäre, die in einen kultischen Dienst gestellt waren, gehorchen nun einem ästhetischen, umgekehrt erscheinen uns profane Gemälde und Skulpturen wie Ikonen und Devotionalien. Aber hier wie da empfinden wir, wie fragwürdig sowohl der kultische als auch der ästhetische Dienst geworden ist. Denn wir folgen im ersten Fall einer unglaubwürdig gewordenen, im zweiten einer unbeglaubigten Liturgie.

 

Die Gemeinde ist verschwunden, der Zusammenhang ist zerrissen, und ganz im Individuellen scheint Kunst nicht aufgehen zu wollen. Sie entsteht nicht mehr zur höheren Ehre von Kirche, Hof oder Partei. Das hat nichts mit etwa geringen Leistungen der so eingespannten Kunst zu tun, die im Gegenteil das Erwartete oft weit übertraf und uns noch immer tief beeindruckt, sondern schlicht damit, dass diese Institutionen ihre Macht eingebüßt haben. Gibt es überhaupt eine Institution, in deren Dienst sich eine Künstlerin, ein Künstler heute stellen könnte? In den der Banken? — Vielleicht, und vielleicht entstehen im Dienst der Banken die typischsten Werke. Sie sind typisch aber gerade darin, dass sie nichts Typisches, nämlich Allgemeingültiges, Kollektives besitzen. Die Deutsche Bank fördert junge Künstler, wenn sie »gesellschaftliche Themen auf individuelle Weise ansprechen«.

 

Aber warum gesellschaftliche Themen individuell und nicht individuelle Themen gesellschaftlich ansprechen? Wenn Kunst, mangels Kollektiv, sich auf den idiosynkratischen Stil von Individualisten eingeschränkt sieht, überrascht es allerdings nicht, dass manche sich von ihr ausgeschlossen fühlen. Kann uns denn der gelungene Ausdruck von Leidenschaften berühren, die wir nicht teilen? Was sagt uns das Pathos der expressionistischen Generation, was der Zynismus der Popkünstler noch? Der Drang zum Ausdruck erklärt sehr gut das Entstehen von Kunst, aber nicht unser Interesse an ihr, nicht unsere Sorge, sie könnte untergehen, nicht unsere Trauer darüber, wenn sie verschwindet. 

 

Wir — und mit diesem »Wir« sind gewiss nicht alle, nicht einmal die meisten Zeitgenossen, aber doch eine wachsende Zahl »Überzähliger« (Marx) gemeint — fürchten keineswegs um die patentiert schöne Kunst, sondern um die aus der Mode gekommene, um die alt, unansehnlich, uninteressant, langweilig, banal, absurd oder überflüssig gewordene. Wir geben dem Gefährdeten einen Wert. Wir halten fest, was verloren gehen kann. Und dabei weichen wir instinktiv dem verfeinerten Geschmacksurteil aus, weil es stets in Begleitung seines finsteren Bruders, des Verdammungsurteils, auftritt. Sagt jenes: »Das ist nicht schön!«, sagt dieses: »Das kann weg!«

 

Unannehmbar wäre es, wenn Klebrigkeit unser Urteil bestimmte, eine Anhänglichkeit an Altes, Verbrauchtes, eine Unfähigkeit, den Wandel zu ertragen, eine Bodenhaftung, die bloß Feststecken, Trotz ist. Vielleicht sogar Konservatismus, Nostalgie, Sentimentalität. Weshalb nicht mit der Zeit gehen, weshalb nicht den Untergang des Alten als Vorteil nehmen, der Ewigkeit Valet sagen und sich auf die nächste temporäre Installation freuen? — Weil wir uns längst selbst wie eine temporäre Installation vorkommen und heute hier, morgen da, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft in einer schalen Gegenwart lavieren. Nicht Klebrigkeit, Trotz oder Sentimentalität, sondern eine verrückte Identifikation mit dem Abgewerteten bestimmt unser Urteil. Wir erkennen in der abgesagten, abgeräumten Kunst uns selbst als Abgesagte, Abgeräumte wieder. Wir sind immer häufiger von gestern, wir sind immer öfter so im Wege wie einst die Kulaken den grandiosen Plänen Stalins. Nur gibt es keine grandiosen Pläne mehr.

 

Wenn wir Kunst betrauern, trauern wir gar nicht einem Objekt, einem Auftritt, einer Leistung nach, auch nicht dem, was ein anderer hat sagen wollen, sondern dem, was wir hätten sagen wollen, hätten wir etwas sagen können. In der Vergeblichkeit der Kunst finden wir unsere eigene.

 

Damit ist mehreres zugleich behauptet. »Vergeblich« bedeutet wörtlich die Gabe, die nicht oder nicht in jedem Fall vergolten wird. Du gibst etwas und erhältst nichts zurück. Wer etwas für vergeblich hält, befindet sich im Bereich einer Ökonomie des Gebens und Nehmens. Wer die Vergeblichkeit gar in die Nähe eines Geschenks, eines Opfers stellt, verleiht ihr etwas Archaisches und rückt sie damit wiederum in einen religiösen Bezirk ein. Thomas von Aquin schreibt, ein Geschenk werde nicht »in der Absicht gegeben, etwas dafür zurückzuerhalten«, sondern aus Liebe und Wohlwollen.

 

An der Liebe mangelt es heute vielleicht weniger als an klar zu benennenden Adressaten, deren Wohl gewünscht werden könnte. Vergeblich sind die Gabe oder die Leistung, die mit Bedauern oder Wehmut gegeben und nicht wiedererstattet werden, nicht wiedererstattet werden können. Doch ist das nur ein Unterschied in der Tonart. Die vergebliche ist mit der liebenden Gabe durchaus vergleichbar. Das zeigt sich schon daran, wie ähnlich beide betrachtet werden. Auch Thomas bestimmt nicht die Art des Geschenks, sondern seinen Zweck. Ebenso erscheint uns die Vergebliche Kunst nicht in ihren Qualitäten, sondern in ihrem ökonomischen Verhalten. Nicht, was für eine Kunst das ist, ist von Interesse, sondern dass sie umsonst geschaffen worden ist und umsonst geschaffen wird.

 

Das darf nicht mit der bürgerlichen Lehre, Kunst werde allein um ihrer selbst willen betrieben und genossen, verwechselt werden. Denn diese Lehre wollte gerade die ökonomische Dimension ausblenden. Sie wollte von Vergeblichkeit nichts wissen. Ihr zufolge hat Kunst keinen andern Zweck als den, Kunst zu sein, und könnte, solange sie nur Kunst ist, niemals einer Vergeblichkeit verfallen. Wenn etwas als vergeblich empfunden wird, dann ist das der bürgerlichen Kunstbetrachtung gerade ein Indiz dafür, dass es sich nicht um Kunst handeln kann. 

 

Die Kunst ist vergeblich, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin etwas geben will, doch niemandem etwas gibt. Sie ist vergeblich, wenn sie eine Mühe vergelten soll, aber nicht vergilt. Der Künstler oder die Künstlerin will etwas zeigen, doch will sich niemand von ihm oder ihr etwas zeigen lassen. Er oder sie will erfreuen, doch erfreut er oder sie niemanden. Er oder sie will belehren, doch belehrt er oder sie niemanden. Er oder sie will erfolgreich sein, doch bleibt er oder sie erfolglos. Deshalb ist die Vergeblichkeit innerhalb einer bloß ästhetischen Lehre, insbesondere innerhalb der Autonomielehre, nicht zu formulieren. Denn diese besagt, die Kunst bedürfte außer der Lust an ihrer Herstellung und Betrachtung keiner Belohnungen, weder materieller noch immaterieller Art. Die autonome Kunst ist so zufrieden wie ein Bourgeois auf seiner Ledergarnitur, der sich um nichts mehr Sorgen machen muss.

 

Wir machen uns aber Sorgen. Wir befinden uns in Gefahr. Wir müssen etwas einsetzen. Und wir fühlen uns um den Einsatz betrogen. Dieselbe Wirtschaftsweise, die unser Leben erhält und es zugleich entwertet, macht aus Dichtern Deppen und aus Kunst Kalauer. Sie tut das nicht aus vandalistischer Absicht, sondern ganz nebenbei, aus interesselosem Nichtgefallen. Darüber hat die bürgerliche Ideologie, die auf ebendieser Wirtschaftsweise beruht, hinwegtäuschen wollen.

 

Die kapitalistische Wirtschaftsweise basiert auf dem Austausch, der sich aber doch anders vollziehen muss als vor der Zeit der Seidenstraße. Geld als neutrales Medium hat diesen revolutioniert, und zwar sowohl die Waren selbst wie die Marktbeteiligten und darüber hinaus die gesamte Kultur. Es hat Tauschhandlung und Gebrauchshandlung zeitlich und kategorial voneinander geschieden und eine »Abstraktheit des Austauschs« (Alfred Sohn-Rethel) ermöglicht. Menschen, zunächst ihre Arbeitskraft, aber im Zuge der weiteren Ökonomisierung auch ihre jeweilige Person, und veräußerliche Gegenstände sind, auch wenn sie völlig unterschiedlich erscheinen mögen, seither miteinander quantifizierbar und formal gleich. Das Brot kostet soviel wie die Zeitung, die Bestattung soviel wie der Kleinwagen. Das bekommt manchen Waren besonders schlecht, darunter den geistigen, darunter den künstlerischen.

 

Vergeblich sind die Kunst und unser Leben als Gabe und Hingabe. Solche Gabe und Hingabe muss komisch, ja idiotisch in einer Epoche wirken, in der nichts umsonst getan sein darf, in der selbst Freundschaften, Kinder und Totenfeiern einen nachweislichen Ertrag zeitigen sollen und Feste zu bloßen Auffrischungen der Arbeitskraft geworden sind. 

 

Das hat all das deformiert, was noch aus der vorkapitalistischen Epoche übrig blieb, etwa das Geschenk. Wer heute schenkt, rechnet mit einem Gegengeschenk. Und selbst noch der Dank, eine so sympathische Geste er ist, zeugt vom Tausch, denn er zählt die Gesten. Undenkbar wäre es, müsste ein Kind der Mutter für jede ihrer Handreichungen danken, es wüsste ja nicht, wo es anfangen, wo es aufhören sollte. Das Verhältnis zwischen Mutter und Kind gehört noch zur ersten Natur, das Danken bereits zur zweiten, die von der alles überfangenden Realabstraktion des Warentauschs bestimmt ist. In der zweiten Natur, in der wir uns als Wirtschaftssubjekte notwendigerweise wiederfinden, fordert jede Gabe eine Gegengabe. Stumpf ist, wer das nicht bedauert, und zu bedauern, wer nicht damit zu leben lernt. Leichter wird das Leben darüber nicht. 

 

Eine Kunst, die sich darauf einstellt, beweist da mehr Schwung. Sie gewinnt der misslichen Situation das Beste ab. Denn aller Vergeblichkeit zum Trotz gibt sie weiterhin etwas, nämlich ihre Vergeblichkeit. Sie handelt von der Vergeblichkeit ihrer eigenen Existenz und von ihrem eigenen Verschwinden. Sie lebt uns vor, wie wir leben und denken könnten, wenn das, was wir geben können, vergeblich ist. Es ist eine Kunst, die die Ewigkeit den andern oder dem Anderen überlässt. Sie hält ihre Existenz für unsicher, ja unerheblich. Sie weiß, dass sie nicht mehr ganz in die Zeit gehört, und bleibt ihr doch verhaftet. Ihr Gepräge gibt dieser Kunst, dass sie auf ihren eigenen Untergang gefasst ist. Sie handelt vom Verlöschen, vom Vergehen, von der eigenen Nichtigkeit. Paradoxerweise gibt sie sich erst dadurch einen Wert. Der Wert einer Sache bemisst sich daran, ob sie verloren gehen kann.

 

Die Vergeblichkeit der Kunst rührt uns an, insofern sie uns, auf welche Weise immer, an die Vergeblichkeit unserer eigenen Existenz erinnert. Auch wir schleppen Altes, Halb-Abgestorbenes mit uns, heilige Großzügigkeit, Gelächter, nicht sachdienliche Gefühle. Auch unser Leben muss uns vergeblich erscheinen, seit es austauschbar und deshalb ersetzbar geworden ist. Der Eindruck, um den Lohn unserer Mühe betrogen zu werden, wird stärker in dem Maße, in dem alles entlohnt wird. Das gilt für die wachsende Zahl der Armen, die erkennen müssen, dass sie heute weniger haben als gestern. Das gilt aber auch für manche Höchstbezahlten, die vom Fett ihres Leibes und ihrer Seele zehren und nichts dafür erhalten als günstige Abrechnungen. 

 

Stefan Ripplinger, Journalist und freier Autor in Berlin. Veröffentlichungen u.a.: »Auch. Aufsätze zur Literatur« (Urs Engeler Editor, 2006), »Bildzweifel« (Textem Verlag, 2011), »Mary Pickfords Locken. Eine Etüde über Bindung« (Verbrecher Verlag, 2014). 

 

Frisch ausgeliefert: »Vergebliche Kunst« (Matthes & Seitz Berlin, 2016). Aus seinem Essay hat Stefan Ripplinger uns einen Auszug zusammengestellt. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.