Im Libanon fast getötet, in Köln wieder bedroht: Ibrahim Mokdad, Foto: Manfred Wegener

Ein Feldbett unterm Regenbogen

Geflohen, aber nicht in Sicherheit: Kölner Initiativen setzen sich für LGBTIQ*-Geflüchtete ein, die in Sammelunterkünften erneut bedroht werden

 

Mit einem lauten Knall landete Ibrahim Mokdad auf dem Dach eines Autos. Die Ärzte sagen, ohne das Auto, das seinen Aufprall etwas abfederte, hätte er den Sturz aus dem dritten Stock eines Wohnhauses nicht überlebt. Eigentlich wollte Ibrahim Mokdad nur einen Mann treffen, mit dem er sich über ein soziales Netzwerk verabredet hatte. Als er dessen Wohnung betrat, sah er Folterwerkzeug herum liegen und schaltete sofort: Sein vermeintliches Date war ein homophober Mann, der Jagd auf LGBTIQ-Menschen macht. Er rannte auf den Balkon, um um Hilfe zu schreien. Der Täter folgte ihm und warf ihn in die Tiefe. Mit Frakturen der Arme, Beine und Wirbelsäule lag Ibrahim Mokdad zwei Monate im Krankenhaus. Zehn Monate später wurde er von Sanitätern mit einer Bahre zur Gerichtsverhandlung getragen. Der Täter wurde wegen versuchten Mordes angeklagt. Ibrahim Mokdad wegen homosexueller Handlungen. Mit Blick auf Mokdads Beine sagte der Richter nur: »So glimpflich wirst du nicht immer davon kommen.« Das war vor zwei Jahren im Libanon. An diesem Tag wusste Ibrahim Mokdad, dass er aus seiner Heimat fliehen musste.

 

Heute lebt der 29-Jährige in Köln. Er ist in der Anfang des Jahres gegründeten Initiative »Rainbow Refugees« engagiert, die sich für die besonderen Belange von LGBTIQ-Geflüchteten einsetzt, und fast schon ein prominenter Mann: Im NRW-Landtag wird er zu Empfängen geladen, bei Diskussionsrunden sitzt er auf dem Podium. Mehrfach täglich bekommt er Anrufe von queeren Geflüchteten aus der ganzen Republik: Er gibt ihnen Tipps, wo sie spezielle Beratung finden und ermuntert sie, trotz der negativen Erfahrungen mit Behörden in ihren Heimatländern ihre sexuelle Orientierung als Asylgrund zu benennen. Ibrahim Mokdad weiß, dass er Glück gehabt hat — und das will er weitergeben an andere Geflüchtete. »Ich war naiv und unfassbar froh, endlich in Sicherheit in Deutschland zu sein«, erinnert er sich, als er Ende November in Köln ankam. Nach einem Krankenhausaufenthalt bekam er einen Platz in der Notunterkunft an der Boltensternstraße. »Dort traf es mich wie ein Schlag: Da waren wieder die homophoben Menschen, vor denen ich geflohen bin.« Nach einer versuchten Vergewaltigung wurde er verlegt — in die Nähe von Königswinter. Erneut in eine Massenunterkunft ohne Privatsphäre, aber diesmal »into the woods«, wie queere Geflüchtete sagen, also weit weg von vorhandenen Beratungsangeboten und der unterstützenden Szene. Ein klassischer Fall, wie Ina Wolf von der Initiative »Rainbow Refugees« weiß: »Wir fordern, LGBTIQ-Geflüchtete ausschließlich größeren Städten zuzuteilen.«

 

Einige Städte wie Berlin und Nürnberg haben Übergriffe in Sammelunterkünften zum Anlass genommen, eigene Einrichtungen für LGBTIQ-Geflüchtete zu schaffen. Ina Wolf setzt sich allerdings für eine dezentrale Unterbringung ein: »Sonst haben wir das gleiche Problem wie mit den Frauenhäusern, dass zum Beispiel Angehörige davor lauern.« In Berlin hat der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) in drei Monaten 95 Fälle von verbaler und körperlicher Gewalt gegenüber LGBTIQ-Geflüchteten protokolliert. Ibrahim Mokdad hat nun ein ähnliches Projekt in Köln gestartet: Gemeinsam mit der Kölner LGBTIQ-Beratungsstelle »Rubicon« und dem dort angesiedelten Treff »Baraka«, dem Flüchtlingsrat und den »Rainbow Refugees« hat er in zwei Monaten 40 Übergriffe in Köln und Umgebung dokumentiert. Die Berichte sind erschütternd: Von psychischer Gewalt und sexuellen Übergriffen in den Sammelunterkünften über homophobes Wachpersonal oder Dolmetscher bis hin zu Morddrohungen aus der eigenen Familie.

 

Die Stadtarbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule und Transgender hat nun zwei Anträge formuliert. Darin wird die Kölner Politik und Verwaltung aufgefordert, 14 dezentrale Wohneinheiten von zwei bis vier Zimmern zu errichten, in denen queere Geflüchtete sicher leben können. Zudem fordern sie eine städtisch finanzierte Beratungsstelle, die sich mindestens fünf Stunden die Woche explizit um den besonderen Schutzbedarf von LGBTIQ-Geflüchteten kümmert. Josef Ludwig, Chef vom Wohnungsamt, hat jetzt signalisiert, stadtweit dezentrale Unterbringungen zu suchen. Dann hätte Köln den Regenbogen vielleicht bald wieder verdient.

 

 

Homophobes Strafrecht

Der weltweite Dachverband der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen ILGA zählte im vergangenen Jahr 76 Staaten mit homophobem Strafrecht. In sieben Staaten — Iran, Jemen, Mauretanien, Saudi-Arabien, Sudan sowie Teilen von Nigeria und Somalia — droht für homosexuelle Handlungen die Todesstrafe. Im Irak, Afghanistan und Pakistan sowie weiten Teilen Mittel- und Südamerikas führen Milizen, Paramilitärs oder Guerillas auf eigene Faust »soziale Säuberungen« durch und ermorden straffrei Zivilisten. Auch in Tunesien, Marokko und Algerien, die die Bundesregierung zu sicheren Herkunftsstaaten erklären möchte, um Asylverfahren aus diesen Staaten zu beschleunigen und Abschiebungen zu erleichtern, werden homosexuelle Handlungen strafrechtlich belangt.

 

*Die englische Abkürzung LGBTIQ steht für verschiedene sexuelle Orientierungen: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersex und Questioning

 

Beratungsstellen:

 

www.rainbow-refugees.cologne

 

www.rubicon.de

 

www.baraka-online.info

 

koeln@queeramnesty.de