Statistisch gesehen unter Tötungsverdacht: Das Heizkraftwerk in Merkenich, Foto: Manfred Wegener

Tod durch Statistik

Eine Bürgerinitiative will berechnet haben, wie sehr das Heizkraftwerk Merkenich das Leben der Kölner verkürzt. Die Rheinenergie ist deshalb vor Gericht gezogen

Auf den ersten Blick ist es eine Geschichte mit klaren Rollen: David kämpft gegen Goliath, St.Pauli gegen den Rest der Welt. Man kennt das. Die Rheinenergie hat mit einer einstweiligen Verfügung erwirkt, dass die Bürgerinitiative »Tschö, Rheinenergie« den Text einer Petition auf dem Online-Portal Campact ändert. In der Petition wird das Unternehmen aufgefordert, das Heizkraftwerk in Merkenich sofort abzuschalten, weil dort hauptsächlich Braunkohle verbrannt werde.  »Im Rahmen der Petition wurde die unwahre Behauptung aufgestellt, die Verbrennung von Braunkohle in unserer kleinen Anlage in Merkenich verursache ca. 20 vorzeitige Todesfälle pro Jahr. Damit verlassen die Aktivisten definitiv den Boden einer sachlichen Diskussion und Auseinandersetzung. Dagegen mussten wir uns wehren«, sagt Unternehmenssprecher Christoph Preuß. Überprüfbar ist der genaue Wortlaut nicht — die alte Fassung der Petition wurde nicht nur von der Campact-Seite, sondern auch aus dem Google Cache entfernt. 

 

Für die Bürgeriniative ist das Vorgehen der Rheinenergie ein Versuch, sie »mundtot« zu machen. »Für eine kleine Initiative sind die Gerichtskosten sehr hoch«, erklärt Alfons Kloeck. Die Rheinenergie habe zudem vorher keinen Kontakt mit der Initiative aufgenommen, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Die Rheinenergie bestreitet das. Sowohl Martin Börschel (SPD) als Vorsitzender des GEW-Aufsichtsrats als auch Gerd Brust, der für die Grünen im Rheinenergie-Aufsichtsrat sitzt, hätten die Initiative schriftlich darauf hingewiesen, dass sie mit der Petition auf dem Irrweg sei, erklärt Christoph Preuß. 

 

Bis hierhin ist der Vorfall der übliche Streit einer kleinen Initiative und eines Konzerns, der die Kölner Politik hinter sich hat. Aber die Bürgerinitiative hat Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt, an ihrer Seite hat sie dabei das Kampagnenportal Campact. »Die Rheinenergie war schlecht beraten, damit vor Gericht zu ziehen«, sagt die Anwältin Rona Verheyen, die »Tschö Rheinenergie« und Campact vertritt. Ihrer Ansicht nach ist die Aussage, dass das Kraftwerk in Merkenich für vorzeitige Todesfälle verantwortlich ist, von der Meinungsfreiheit gedeckt. »Es handelt sich hierbei um eine statistische Annahme«, erläutert sie. Alfons Kloeck von »Tschö Rheinenergie« hatte die Todesfälle aus öffentlich zugänglichen Daten errechnet. Als Vorbild dienten ihm zwei Studien, eine von der Umweltorganisation Health and Environment Alliance (HEAL)und eine andere von Greenpeace. In diesen Studien wird errechnet, wie stark eine bestimmte Menge an Braunkohle-Emissionen die durchschnittliche Lebenszeit verkürzt. Greenpeace spitzte die Ergebnisse zu und rechnete die Ergebnisse auf die einzelnen Kraftwerke um. So entstand eine Top Ten der »gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerke Deutschlands«, bei der das bei Bergheim gelegene Kraftwerk Niederaußem mit statistisch 269 Todesfällen auf Platz zwei liegt. »Gegen beide Studien wurde nie gerichtlich vorgegangen«, sagt Rona Verheyen. 

 

»Selbst die geringste Braunkohle-Emission ist gesundheitsschädlich — es gibt keinen Schwellenwert«, erläutert der Kölner Kinderarzt Christian Döring. Die ultrafeinen Feinstäube würden wie »Gift-Taxis« Dioxin-artige Toxine über die Lunge in den Blutkreislauf einspeisen. In Köln sei die Belastung durch Braunkohleindustrie  höher als im NRW-Durchschnitt. »Eine durchschnittliche Lebenszeitverkürzung von zehn Monaten durch Feinstaub, wie es die WHO behauptet, ist für Köln zu niedrig«, erläutert er. Durch den Westwind würde viel Feinstaub aus dem Tagebau Hambach und den KohleKraftwerken in die Stadt geweht. Um den exakten Anteil des Heizkraftwerks Merkenich am Braunkohle-Feinstaub in Köln zu errechnen, müsse die Rheinenergie ihre Betriebsdaten in kommunaler Veranwortung ganz offenlegen. Das Unternehmen lehnt dies ab. »Wir haben umfassende Daten zur Verfügung gestellt. Die Offenlegung weiterer Daten würde uns im Wettbewerb wirtschaftlich schaden, da es sich um Betriebsgeheimnisse handelt«, sagt Christoph Preuß.   

 

Am 11. Mai treffen Rheinenergie und »Tschö Rheinenergie« im Kölner Landgericht aufeinander. Christoph Preuß ist zuversichtlich, dass die Verfügung Bestand haben wird. »Wir haben hohes Zutrauen in unsere Justiz und wir haben klare und überzeugende Argumente vorgelegt, warum die aufgestellten Behauptungen falsch sind.« Rona Verheyen von der Gegenseite will jedenfalls einen langen Atem beweisen: »Wir gehen bis zur letzten Instanz«.