Die Schlacht ums Grün in der Stadt
Es ist noch nicht lange her, da hatte Köln seine Einwohnerzahl mit Argusaugen im Blick: Darf man sich endlich Millionenstadt nennen oder wird man weiter mit sogenannten Großstädten wie Essen und Dortmund verglichen? Die Hürde hat Köln inzwischen sicher genommen. Dafür hat man sich aber auch die Probleme einer schnell wachsenden Stadt wie Wohnungsmangel, steigende Mietpreise, Verkehrsprobleme oder Luftverschmutzung eingehandelt. Die Reaktion der Politik darauf lässt sich an der Schlagzahl der Entscheidungen zur Wohnungspolitik ablesen. Sie hat sich seit 2008 sukzessive erhöht, zuletzt mit Beschlüssen zur Baulandausweisung, zur Wohnungsbauförderung oder zum kooperativen Baulandmodell. 2014 folgte das erste Stadtentwicklungskonzept Wohnen (STEK), das jetzt fortgeschrieben werden sollte. Zur Vorlage gehört ein Plan, der in zahlreichen Stadtteilen Flächen für Wohnungsbau ausweist. Doch weil die Verwaltung scheinbar vergessen hatte, die Vorlage auch in den betroffenen Bezirksvertretungen beraten zu lassen, vertagten die Ratspolitiker die Abstimmung.
Der Wohnungsbedarf beruht auf Bevölkerungsprognosen, die je nach Berechnung stark variieren. Von Stagnation bis Explosion ist alles zu haben: 2014 ging die städtische Prognose noch von einem Wachstum auf 1,052 Mio. Einwohner bis 2029 aus, sie wurde später auf 1,161 Mio. korrigiert und folgte damit der Politik. Das Statistische Landesamt NRW sagt sogar 1,215 Mio. für 2035 voraus, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung dagegen nur 1,020 Mio. Ob Köln nun wachsen wird oder nicht, es müssen Wohnungen her. Die Mieten steigen, bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware. Der von der Verwaltung ermittelte Bedarf liegt bei 66.000 Wohneinheiten bis 2029, für knapp die Hälfte davon wurden bereits Flächen ausgewiesen; für den Rest stellte die Verwaltung eine neue Recherche an.
Die Suche konzentriert sich auf »Innenentwicklungspotenziale« und »integrierte, gut erschlossene Lagen«, also Flächen mit gesicherter Infrastruktur, ÖPNV-Anschluss, Schulen, Einkaufen etc. Das ist nur über eine Maßnahme zu erreichen: Verdichtung — darüber herrscht offenbar Konsens. »Je mehr ich in die Fläche gehe, desto mehr Verkehr produziere ich«, sagt Grünen-Fraktionschefin Kirsten Jahn. Kurze Wege bedeuteten weniger Umweltbelastung lautet ihre Gleichung. Auch Michael Weisenstein, für die Linke im
Stadtentwicklungsausschuss, spricht sich für Verdichtung aus. Er bemängelt am STEK Wohnen aber, dass es nicht den preiswerten Wohnungsraum ins Zentrum stelle. »Nur durch kommunales Engagement können wir erreichen, dass Wohnungen auch dauerhaft preiswert bleiben.« Jahn und Weisenstein plädieren allerdings unisono dafür, die von der Verwaltung vorgeschlagenen Flächen genau zu prüfen.
Die nicht veröffentlichten Flächenpässe der Verwaltung (sie liegen der StadtRevue vor) wirken wie das letzte Aufgebot, um 66.000 Wohneinheiten zu erreichen. Da wird allem Bahnlärm zum Trotz die Grünfläche Herkulesberg am Media-park für Geschosswohnungsbau vorgeschlagen; oder ein Gelände am Perlengraben/Tel Aviv-Straße samt Abfahrtsschleife. Das größte Tabu, das die Flächenliste bricht, ist das Grün der Stadt. So sieht das STEK Wohnen Bebauung auf einer Grünfläche an der Ströer-Allee in Sürth vor, auf mehrere Ackerlandparzellen in Meschenich, Widdersdorf und Weiden, auf Kleingärten an der Militärringstraße oder an der Rennbahn in Weidenpesch. In Nippes soll sogar im Inneren Grüngürtel eine Gebäudezeile entlang der Inneren Kanalstraße von der Escher bis zur Niehler Straße entstehen. Dafür müssten ein Teil der Kleingartensiedlung Flora e.V., die Kindertagesstätte Zonser Straße und der Verkehrsübungsplatz weichen. Flora e.V. vertritt 322 Kleingärten und hat die Bürgerinitiative »Grüne Lunge Köln« gegründet, um gegen die Pläne zu protestieren. Sprecherin Barbara Burg verweist darauf, dass die Kleingärten wichtig für die grüne Lunge Kölns und seit ihrer Gründung 1921 fester Bestandteil des Grüngürtels seien. »Ich halte es für unverantwortlich, auf Kosten von Grünflächen die Stadt zu verdichten«. In der Politik sind die Meinungen geteilt. »An den Inneren Grüngürtel gehen wir nicht ran«, sagt Kirsten Jahn von den Grünen. Sie verweist auf Frischluftschneisen und fordert, die Grünflächenplanung beim STEK Wohnen stärker mitzudenken. Weisenstein von der Linken will dagegen den Wohnungsbau priorisieren. Kombiniert werden soll das mit einer Aufwertung des öffentlichen Raumes, der für die Bürger zugänglich bleiben müsse. »Und das ist bei den Kleingärten nicht so«, sagt Weisenstein. Private müssten vor öffentlichen Interessen zurückstehen. Er stimmt deshalb auch der vorgesehenen Bebauung des Areals zwischen Krefelder Straße und Innerer Kanalstraße zu, auf dem eine Bauwagensiedlung untergebracht ist.
Die Verwaltungsvorschläge beziehen sich in der Innenstadt auf Ideen des Masterplans von Albert Speer, gehen aber im Fall von Flora e.V. auch darüber hinaus. Doch der Konflikt ist grundsätzlich: Mit der Urbanisierung und der einhergehenden städtebaulichen Verdichtung geraten vor allem die Grünflächen unter Druck. Selbst dann, wenn sie wie das Kleingartenareal an der Inneren Kanalstraße unter Denkmalschutz stehen und als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen sind.
Um die stadtklimatischen Folgen abzuschätzen, lohnt ein Blick in den Abschlussbericht »Klimagerechte Metropole Köln« des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW aus dem, Jahr 2013. Die Innenstadt, aber auch Viertel wie Nippes oder Ehrenfeld werden als »stadtklimatische Belastungsgebiete« ausgewiesen. Laut Klimakarte berühren sich beispielsweise exakt bei den Kleingärten Flora e.V. zwei Hitze-Inseln. Eine großflächige Bebauung einer bislang unversiegelten Freifläche aber habe gravierenden negativen Einfluss auf das Klima, heißt es.
Das Kölner Grün geht auf die Planungen von Fritz Schumacher in den 20er Jahren zurück. Bettina Oppermann, Leiterin des Instituts für Freiflächen an der Universität Hannover, weist darauf hin, dass damals die Freiflächen zeitgleich zum Stadtwachstum geplant wurden. Es reiche nicht, sich heute darauf auszuruhen. »Die Städte wären gut beraten, konzeptionell nachzudenken, ob die ganzen Wohngebiete mit genügend Freiräumen versorgt sind«, so Oppermann. Dafür allerdings braucht es mehr als einen Masterplan, der das Augenmerk allein auf die Innenstadt und den Gedanken der Zentralität richtet. Andreas Hupke (Grüne), Bezirksbürgermeister Innenstadt, glaubt, dass das Bevölkerungswachstum von der Stadt nicht mehr zu steuern sei. An der Peripherie gebe es aber Flächen. Hupke spricht von »kommunaler Neugliederung«. Soweit muss man nicht gehen. Rudolf Schwarz, Kölns Generalplaner nach 1945, hatte von einem »Kölner Städtebund« gesprochen, einem »Sternhaufen« eigenständiger Städte von Porz bis Worringen. Daran wäre anzuschließen und die Bezirke stadtplanerisch und architektonisch weiterzuentwickeln, auch im Sinne einer Verdichtung. Dafür bedürfte es eines städtebaulichen Masterplans und eines Generalplans Grün unter Einschluss bestehender Pläne für das gesamte Stadtgebiet — und nicht einzelne Beschlüsse über unumkehrbare Flächennutzungen, die die Wohnraumbeschaffung als Sachzwang behaupten.