Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs

Balancieren auf einem sehr schmalen Grat – ein Interview mit dem Kölner Regisseur Thomas Durchschlag über sein Kinodebüt »Allein«

KHM-Absolvent Thomas Durchschlag, Jahrgang 1974, erntete mit seinem Spielfilmdebüt »Allein« bei den deutschen Nachwuchsfestivals in Hof und Saarbrücken einhelliges Kritikerlob. Auf einer Gratwanderung zwischen filmischem Minimalismus und tollkühnem Gefühlskarussell porträtiert er eine junge Studentin, die ihre Einsamkeit mit Sex, Alkohol und Drogen zu bekämpfen versucht.

StadtRevue: »Allein« ist dein erster Langfilm nach dem Studium an der Kölner Kunsthochschule für Medien, deren Absolventen in den letzten Jahren immer wieder mit ungewöhnlichen Produktionen aufgefallen sind. Zuletzt Hans Weingartner mit »Die fetten Jahre sind vorbei«. Worin liegt für dich das Erfolgsrezept der Schule?

Thomas Durchschlag: Man kann an der KHM sehr frei und spielerisch arbeiten. Diese Freiheit ist ein sehr wertvolles Gut, das natürlich voraussetzt, dass man genaue Vorstellungen davon haben muss, was und wie man etwas erzählen möchte. Wichtige Impulse kommen auch durch die Arbeiten der anderen Studenten und natürlich durch die praxisnahen Erfahrungen von Professoren wie Gebhard Henke, Frank Döhmann oder Horst Königstein. »Allein« wäre ohne diesen Hintergrund wahrscheinlich nicht entstanden. Über die KHM kam auch der Kontakt zum WDR und dem Kölner Filmproduzenten Joachim Ortmanns von Lichtblick Film zu Stande, der mir bei der Entwicklung des Stoffes sehr geholfen hat.

Im deutschen Nachwuchsfilm wimmelt es zurzeit nur so von jungen vereinsamten Frauen. Ich denke da an Filme wie »Katze im Sack«, »Marseille«, »Milchwald«, »Der Wald vor lauter Bäumen«. Ist Maria eine entfernte Verwandte all dieser Antiheldinnen?

Maria hat zwar keine Probleme damit, Sex mit wildfremden Männern zu haben, wenn es aber darum geht, sich auch gefühlsmäßig zu engagieren und Vertrauen aufzubauen, versagt sie. Ich glaube, dass die Themen von Vereinsamung und Isolierung sehr stark in unserer heutigen Zeit verankert sind.

Du beziehst dich auf ein bestimmtes Krankheitsbild. Was interessiert dich an Menschen mit Borderline?

Den Begriff gibt es schon sehr lange, er kommt aus dem 19. Jahrhundert und ist somit kein neues Phänomen, dennoch war die Krankheit wohl noch nie so verbreitet wie heute. Als ich zum ersten Mal davon gelesen habe, wollte ich wissen, was in Menschen vorgeht, die nicht in der Lage sind sich selbst zu lieben, sich in Exzesse aus Drogen, Sex und Alkohol flüchten und sich selber Verletzungen zufügen. Da die Mehrheit der Betroffenen Frauen sind – Frauen richten ihre Aggressionen meist nach innen, Männer nach außen – war es für mich klar, dass die Geschichte aus der Sicht einer Frau erzählt werden musste. Es war aber nie meine Absicht, das Protokoll einer Krankheit zu verfilmen, deshalb fällt der Begriff auch nie im Film. Ich wollte einen Menschen zeigen, der einen tiefen inneren Konflikt austrägt und durchaus um seine Situation weiß, aber unfähig ist, mit diesem Wissen eine Verhaltensänderung in Gang zu setzen. Die innere Zerrissenheit war eigentlich das, was mich an der Figur interessiert hat.

Wie wichtig ist es dir, das Lebensgefühl der eigenen Generation einzufangen, nah an der Realität zu sein?

Nah an der Realität zu sein und sie gewissermaßen zu spiegeln, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Kinos. Ich glaube aber nicht, dass »Allein« ein Porträt meiner gesamten Generation ist, das wäre doch sehr deprimierend. Aber der Film beschreibt einen Teil davon, zwar einen sehr wichtigen, aber dennoch nicht das Ganze. Beziehungen in großen Städten werden zunehmend schwieriger, Misstrauen und die Angst, verletzt zu werden, bestimmen den Alltag. Menschen wie Maria sind keine Einzelfälle, und sie verdienen es, dass man sich mit ihnen beschäftigt und ihr Anderssein zu verstehen versucht.

»Allein« zeichnet sich durch großen Mut zum Melodram aus, zu heftigen Gefühlen. Ironie fehlt gänzlich.

Mit Ironie hält man doch nur unangenehme Erfahrungen auf Distanz. Mir war von Anfang an klar, dass der Film die ganze Zeit über auf einem sehr schmalen Grat balancieren würde. Die Möglichkeit zu scheitern war immer vorhanden. Mein wichtigstes Ziel dabei war, dass die Zuschauer immer alles glauben, was auf der Leinwand geschieht. Lavinia Wilson hat mit ihrem nuancierten Spiel der Figur der Maria eine tiefe Wahrhaftigkeit verliehen. Sie ist immer extremen Gefühlen ausgesetzt, die zwischen Euphorie, Selbsthass und völliger Leere pendeln. Zudem war es wichtig, dass die gesamte filmische Umsetzung der Geschichte aufs Notwendigste reduziert ist. Weder die Kamera, die Musik noch die Stadt sollten sich in den Vordergrund drängen. Alles musste sich der Geschichte und ihren Figuren unterordnen.

Der Kameramann von »Allein« war Michael Wiesweg, der auch schon die Filme von Rudolf Thome und Thomas Arslan fotografiert hat.

Ich habe vor fünf Jahren »Dealer« von Arslan gesehen und fand den Film sehr gut. Für »Allein« habe ich mir genau diese Art zurückgenommener Bilder gewünscht, die Michael geliefert hat und die der Geschichte eine weitere visuelle Ebene geben. Ich glaube, die große Kraft des Kinos liegt in dem sehr genau überlegten Einsatz der Mittel.


Allein. D 04, R: Thomas Durchschlag,
D: Lavinia Wilson, Maximilian Brückner, Richy Müller, 90 Min. Start: 28.7.