Horror Sprachui

Ulrich Bogislav zeigt in »Der psychische Wels« Mutwillen mit Methode

Seit zwei Dekaden ist Ulrich Bogislav in Köln aktiv, einem größeren Publikum ist er dennoch unbekannt geblieben. Das hat mehr mit der Trägheit der Wahrnehmung zu tun, die einem vielseitigen Künstler – Bogislav ist Autor, Grafiker und Musiker – die Hürde des Spartendenkens in den Weg stellt, als mit der Qualität seiner Arbeit. Umso erfreulicher ist, dass der Klagenfurter Ritter Verlag nun einen zweiten Band mit Texten Bogislavs veröffentlicht hat. Nach »Wo ich bin ist hinten« im Jahr 2002 jetzt »Der psychische Wels«.

Ausflug ins Sexbusiness

Die unter diesem Titel versammelten Geschichten bieten ein Panoptikum an Figuren auf, die ebenso dem Alltag abgeschaut wie einem Alptraum entsprungen sein könnten. Pubertierende Jungen, die Weitrotzen spielen, stehen gleichberechtigt neben einem Wesen ohne Arme und Beine, einer geradezu Beckettschen Figur, die aber hübsch unliterarisch Bernd heißt. In der auch längsten Geschichte des Buches will dieser Bernd seine Arme und Beine zurück und als Pornostar Karriere machen. Ein Arzt, der ihm einen Satz Edelstahl-Prothesen verpasst, ist schnell gefunden. Der Pornodreh erweist sich jedoch als harte Arbeit. Wenn dann der ob besonderer körperlicher Merkmale legendäre John Don Long Daddy im Kreis des Darstellernachwuchses von den Goldenen Zeiten schwärmt, wandelt sich der Ausflug ins Sexbusiness unter der Hand zu einer Parodie auf die 68er-Weltverbesserungsfantasien: »Glaubt mir, wir waren gegen die Verlogenheit der Gesellschaft von Sex und Politik. Wir hatten die Befreiung von Hemmnis vor, alles sollte frei sein, total frei, jeder gegen jeden oder so. Ich weiß nicht mehr genau.«

Ganz normaler Wahnsinn

Nicht nur die Geschichte Bernds kippt ins Monströse. Keinem von Bogislavs Helden ist menschlich Abgründiges fremd. Immer wieder bricht sich dumpfe Gewalt Bahn, laufen Leute Amok oder werden Tiere in Mitleidenschaft gezogen, etwa Hund und Katze des Nackttierdresseurs. Der ganz normale Wahnsinn eben. Oder auch nicht. Die Erschütterungen der Realität gehen tief, sie zeigen sich in Bogislavs Sprache, die auf den ersten Blick vor allem auf eine komische Wirkung ausgerichtet zu sein scheint. In Wahrheit setzt Bogislav in ihr ein ästhetisches Prinzip der Verfremdung, mehr noch, der Beschädigung um. Mutwillig, aber methodisch tut er Wörtern und Satzstrukturen Gewalt an, dass es nicht mehr »schön« ist. Ist es natürlich doch, nur eben anders, als man es gemeinhin erwartet. Wie der Erzähler der ersten Geschichte erklärt: »Ich kann Sätze schreiben, die in ihrer Sinnlosigkeit ein Vakuum erzeugen. Einen Horror Sprachui.«

Ulrich Bogislav: Der psychische Wels. Ritter Verlag, Klagenfurt 2005, 168 S., 13,90 Euro.