»Es gibt kein Italien- oder Türkeizimmer«

Am 1. Oktober beginnt die Abschlussausstellung des »Projekts Migration« in Köln.

Yvonne Greiner sprach mit Aurora Rodonò, die sich um italienische Migration gekümmert hat.

StadtRevue: Welche Überraschungen hat die intensive Spurensuche, die Du speziell für die italienische Migration in Deutschland betrieben hast, zu Tage gefördert?

Aurora Rodonò: Die Überraschung ist zum einen die Geschichte der politischen Partizipation, wie stark gerade die italienischen Migranten sich gewerkschaftlich organisiert haben, oder dass sie in den Frankfurter Häuserkampf Anfang der 70er Jahre involviert waren. Insgesamt waren die Italiener bei den Streiks sehr aktiv, etwa bei BMW. Was mich auch überrascht hat: Die Frauen kamen nicht nur als Anhängsel ihrer Männer, auch wenn man das gemeinhin denkt oder in der Literatur findet. Ich habe Frauen getroffen, die entweder alleine gekommen sind oder für die die Migration ein Befreiungsschlag in ihrem Leben war. Und ich habe Interviews mit deutschen Frauen geführt, die Italiener geheiratet haben – schon vor dem Anwerbeabkommen für »Gastarbeiter« 1955. Meist waren es so genannte Fremdarbeiter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland geblieben waren. Überraschend war auch, dass die deutschen Frauen Sätze sagten wie »Wir waren die ersten Ausländer im Dorf«. Die Frauen wurden Ausländerinnen in dem Moment, als sie einen ausländischen Mann geheiratet hatten. Es scheint also eine Art Ansteckung des Ausländerseins zu geben.

Wie finden solche überraschenden Momente Eingang in die Ausstellung?

Wir lenken die Perspektive auf die Migranten, sie sind das Herzstück der Ausstellung: ihre Stimmen, ihre Fotos, ihre Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung. Es gibt nicht hier die deutsche Mehrheitsgesellschaft und da die Migranten; diese gängige Dichotomie wollen wir aufheben. In der Praxis gibt es die Migrationsgesellschaft längst. Wir zeigen Bilder, Filme, Dokumente und künstlerische Arbeiten, die das untermauern.

Die Ausstellung wird von Institutionen mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen getragen: das kulturanthropologische Institut der Uni Frankfurt, der Kölnische Kunstverein und DOMiT, das sozialhistorisch arbeitet. Hat sich die Zusammenarbeit bewährt?

Es gab viele Diskussionen, und sie waren sehr fruchtbar. Wir haben uns ein Jahr lang darüber auseinandergesetzt, welches Verständnis von Migration wir haben, wie wir die Migrationsgeschichte erzählen wollen. Wir haben sowohl im kleinen Kreis bei DOMiT als auch im größeren Kreis mit den anderen Beteiligten debattiert – und viel voneinander gelernt. DOMiT ist ein Team aus Historikern, Literaturwissenschaftlern, Kunsthistorikern und so weiter. Wenn in einer Diskussion der Begriff »historische Wahrheit« auftaucht, dann sage ich als Literaturwissenschaftlerin »Geschichte ist auch Literatur«, mein Kollege, der Historiker, sagt »nein, was in den Akten steht, ist die Wahrheit«. Das war sehr spannend! So war es auch auf der Ebene des Kuratoriums. Die Begrifflichkeiten, die Erzählweise mussten geklärt werden: Für einen Sozialwissenschaftler bedeutet Migrationsgeschichte etwas anderes als für eine Künstlerin. Auch die Zusammenarbeit mit den Kulturanthropologen aus Frankfurt war eine große Bereicherung. Während die Geschichtswissenschaft häufig noch sehr national denkt, haben sie einen transnationalen Ansatz. Der stellt die Migrationsgesellschaft in den Mittelpunkt und nicht die Nationen. Das hat sich auf die Erzählweise der Ausstellung konkret ausgewirkt. Es gibt eben kein Italien- oder Türkeizimmer, sondern eine thematische Aufstellung, die das gleiche Thema aus drei unterschiedlichen Perspektiven beschreibt: die Politik der Migration, der Bereich Ökonomie und Konsumtion sowie der kulturelle Aspekt.

Was möchtet Ihr bei den Ausstellungsbesuchern auslösen?

Sowohl die Migranten als auch diejenigen,
die keine aktuelle Migrationserfahrung haben, können sich in der Ausstellung der eigenen Geschichte bewusst werden. Migration ist Teil der gesamtdeutschen Sozialgeschichte. Ein wichtiges Anliegen ist auch, Bilder von Migration und Migranten zu zeigen, die so noch nicht gezeigt wurden, zum Beispiel, indem dokumentarisches Material mit künstlerischem kombiniert wird. Ein neues Bild entsteht auch, wenn wir Geschichten erzählen, die weitgehend unbekannt sind. Ein Beispiel ist der Streik bei der Neusser Firma Pierburg 1973. Er wurde von Migrantinnen, also von Frauen, angeführt, und er war erfolgreich. Pierburg war damals der erste Betrieb, der die Leichtlohngruppe zwei abgeschafft und nie wieder eingeführt hat. Wir haben einen Film gefunden, der den Streik dokumentiert. Die Migrantinnen haben die deutschen Kollegen bewegt, mitzustreiken. Wir wollen Verständnis dafür wecken, dass es nicht eine Mehrheit und eine Minderheit gibt, sondern dass alles sehr verwoben ist, dass der nationale Gedanke letztlich überholt ist.

Damit stellt Ihr Euch konträr zur herrschenden politischen Debatte und Gesetzgebung: Auch das aktuelle Zuwanderungsgesetz ist immer noch vom nationalen Gedanken geprägt. Das Projekt Migration ist jedoch eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes. Sind da Querelen zu erwarten?

Nein, das glaube ich nicht. Es wird aber sicherlich einige Bilder geben, die nicht jedem schmecken. Das Projekt beschäftigt sich auch mit den ehemaligen Vertragsarbeitern in der DDR, mit den Verträgen zwischen Angola, Mosambik, Vietnam und der DDR. Es gab nach 1989 Ausweisungen von Vietnamesen, es gab Bleiberechtskämpfe, Leute, die in den Westen geflüchtet sind. Solche Bilder werden wir auch zeigen. Das wird mit Sicherheit Diskussionen auslösen, aber das ist gewollt. Die Anwerbekultur, die ja historisch noch weiter zurückreicht als bis 1955, ist auf Kontrolle ausgelegt. Eine Aussage der Ausstellung ist, dass man Migration nicht kontrollieren kann, dass es eine Autonomie der Migration gibt: Die Menschen kommen trotzdem, und sie bleiben. Obwohl es komplizierte Reglements und diese auf Kontrolle basierende Politik gibt.

Wie sähe denn ein politischer Gegenentwurf zur Kontrolle aus?

Mir gefällt der Entwurf der Philosophin Rosi Braidotti, die Professorin an der Uni Utrecht ist und von der es auch ein Interview im Ausstellungskatalog gibt. Sie entwirft ein Modell, das die Staatsbürgerschaft vom Identitätsdiskurs abkoppelt und stattdessen von einem »nomadischen Subjekt« ausgeht, einem Menschen also, der da zu Hause ist, wo er sich gerade aufhält. Braidotti plädiert für eine mobile Staatsbürgerschaft: Wieso ist es nicht denkbar, dass Menschen für einen begrenzten Zeitraum an dem Ort, an dem sie leben und arbeiten, die vollen Rechte haben, vollwertige Bürger sind, partizipieren und wählen?


Zur Ausstellung:
Mit einer umfangreichen Ausstellung erreicht das »Projekt Migration«, initiiert und finanziert von der Kulturstiftung des Bundes zum 50. Jahrestag des ersten Anwerbeabkommens für »Gastarbeiter« 1955, seinen Höhepunkt. Beteiligt an dem seit zwei Jahren betriebenen Projekt sind das Kölner Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiT), das Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Uni Frankfurt und das Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst an der Hochschule in Zürich. Träger des Projekts ist der Kölnische Kunstverein.
Die Ausstellung läuft vom 1. Oktober 2005 bis zum 15. Januar 2006, Ausstellungsorte sind neben dem Kunstverein zwei ehemalige Bürogebäude am Friesenplatz (Hohenzollernring 67-69) und am Rudolfplatz (Hahnepooz 8). Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 13 bis 19 Uhr, weitere Informationen unter www.projektmigration.de. Ein Katalog begleitet die Ausstellung.

Zur Person:
Aurora Rodonò (34) ist vor zweieinhalb Jahren nach Köln gezogen und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins DOMiT für das »Projekt Migration«. Davor hat sie in Hamburg Italienisch, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und zwischenzeitlich zwei Jahre in Sizilien gelebt, dem Herkunftsort ihrer Eltern. Bei DOMiT ist sie für die Recherche der italienischen Migration in Deutschland zuständig: Sie knüpft seit zwei Jahren Kontakte, sammelt Objekte und Dokumente und führt Interviews mit Zeitzeugen.