Der Neorebell
Würde Camille de Toledo selbst sein Buch lesen, dann würde er »Goodbye Tristesse« vielleicht als besonders perfide Ausgeburt eben des Systems erkennen, das in dem Buch mit viel Wut beschrieben und mit großer Leidenschaft attackiert wird.
Mit »Goodbye Tristesse« gelingt dem Autor ein Generationenporträt, das zugleich eine radikale Kapitalismuskritik zu sein beansprucht. Bedenkt man all die (deutschen) Popliteratur- und Erwachsenwerden-Bücher von »Generation Golf« bis »Generation Schinkenwurst«, dann hat ihnen »Goodbye Tristesse« genau diese Kapitalismuskritik voraus. Es vibriert, es ist nervös, fiebrig und rauschhaft; de Toledo muss einer sein, den, wenn er bekifft ist oder gekokst hat, der auf Partys gefürchtete »Laberflash« ereilt. Die deutsche Generation Popliteratur erscheint dagegen mickrig und öde, als wäre Stuckrad-Barre niemals über einen Kakao im Eiscafé hinausgekommen. De Toledo, 1976 in eine französische Industriellendynastie hineingeboren, blickt voller Ekel auf die 90er Jahre und ihre postmodernen Ideologien zurück. Das zu lesen ist schlicht beeindruckend und, wie gesagt, der entsprechenden deutschen Literatur fundamental überlegen.
»Asthma der Seele«
Der Kapitalismus de Toledos ist ein System, das vor allem auf die totale Nivellierung jeder Rebellion abzielt, das alles, was eigentlich gegen den Kapitalismus sprechen müsste, noch in ein Argument für den Kapitalismus ummünzt. Der Haupteinwand gegen den Kapitalismus ist demnach, dass er die Revolte gegen sich verunmöglicht. Das führt zum »Asthma der Seele«. Und – als Gegenreaktion – zu dem Versuch der Begründung einer neuen, reinen, die ideologische Luftverschmutzung bereinigen wollenden Rebellion: »Der neue Protest unserer Generation (...) hat keinen wirtschaftlichen Grund. Wir wollen wieder atmen können.« Und: »Die Sehnsucht trägt keine Schuld. Im Zustand der Sehnsucht hat die Revolution noch keinen getötet.«
Hier spricht der frustrierte Industriellenspross, dem zum Kapitalismus zuerst Konsumterror und politische Nivellierung einfällt und eben nicht eine spezifische Reichtumsproduktion, die zugleich immer tiefere Armut hervorruft. Es soll Menschen geben, die froh sind, wenn sie wenigstens Konsumterror erleben könnten.
Man kann sagen, de Toledo sieht vieles richtig und begreift das meiste falsch. Sein Drive ist enorm, der Sound des Textes ist so großmäulig wie Bluesrock aus Brooklyn. Aber es fehlt die letzte Selbstreflexion: Dass auch seine Posen der Anklage zur Flachheit neigen (weil sie im Text allzu häufig die reale Analyse ersetzen müssen), und dass sie in ihrer romantischen Schwärmerei am Ende mehr verschleiern als enthüllen.
Camille de Toledo: Goodbye Tristesse. Deutsch von Jana Hensel, Tropen Verlag, Berlin 2005, 191 S., 18,80 €.