Was war gestern?
Thriller mit dem Thema Gedächtnisverlust bilden fast so etwas wie ein eigenes Subgenre. Schon 1945 griff Hitchcock in »Spellbound« auf dieses Sujet zurück und erzeugte Suspense ausnahmsweise einmal nicht dadurch, dem Zuschauer einen Wissensvorsprung zu geben. Durch den Gedächtnisverlust des Protagonisten ist man als Zuschauer immer auf dessen Stand, teilt nicht nur sein ungewisses Schicksal, sondern ist zugleich live bei der Rekonstruktion seiner Vergangenheit dabei. Im Idealfall wird durch diese starke Identifikation mit dem Helden enorme Spannung aufgebaut.
»Lücke im System«, der zweite Film des Schweizer Regisseurs Romed Wyder, ist spannend bis zum Ende: Alex, ein Politaktivist Ende Zwanzig, hat nach einem Autounfall das Kurzzeitgedächtnis verloren, die letzten 24 Stunden vor dem Unfall sind wie ausgelöscht. Deswegen kann er sich partout nicht erinnern, ob es ihm gelungen ist, einen Virus in das Computersystem der Weltbank zu installieren. Der eigentliche Plan von Alex und seinem Hacker-Freund Fred ist, die Absage des Weltwirtschaftsgipfels in Davos zu erzwingen. Im Krankenhaus willigt Alex ein in eine noch unerprobte Elektrotherapie, mit deren Hilfe seine Erinnerung wiederhergestellt werden könnte. Nur so kann er herausfinden, ob sein Vorhaben erfolgreich war.
Wyder kehrt die »Spellbound«-Geschichte um, indem er den Helden nicht dazu verdammt, seine Unschuld zu beweisen, sondern – streng genommen – seine Schuld. Bei der Rekonstruktion der Ereignisse wird es allerdings immer schwieriger für Alex, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Auch die Absichten der forschenden Ärztinnen werden für ihn immer dubioser. Wer steckt mit wem unter einer Decke? Ist er Opfer einer Verschwörung?
Wyder will nicht nur fesseln, er will mit seinem Film auch eine politische Aussage treffen: Es ist richtig, gegen kapitalistische Machtbünde anzukämpfen, zur Not auch mit an Terrorismus grenzenden Mitteln. Kritisiert wird die Vorgehensweise von Alex und Fred an keiner Stelle, im Gegenteil: Als Zuschauer verbrüdert man sich regelrecht mit den beiden. Passend dazu wirkt die Guerilla-Optik des Films, die dominiert wird von einer wackeligen Schulterkamera, häufig aus der Subjektive von Alex: Mit seinen Augen erlebt man eine Welt, in der nichts mehr zusammen zu passen scheint.
Lücke im System. CH/D 04, R: Romed
Wyder; D: Vincent Bonillo, Irene Godel, Delphine Lanza, 94 Min. Start: 8.12.