Professor Drosten gefällt's: Die nahe Zukunft der Gastronomie liegt an der frischen Luft

Auf die Straße

Das Abstandsgebot macht es Gastronomen kaum möglich, wirtschaftlich zu arbeiten. Wenn man den Wirten helfen will, gibt man ihnen künftig mehr Platz in der Stadt

In Zeiten der großen Krise kann sich die Gastronomie über mangelnde Wertschätzung nicht beklagen. Gastronomische Angebote werden als »Kulturgut« mit »großer gesellschaftlicher Bedeutung« bezeichnet, Restaurants, Cafés und Bars »machen Städte erst lebenswert«. Die Branche muss nicht ihre Interessensvertreter vorschicken: Ihre Gäste aus Vor-Corona-Tagen machen ganze PR-Arbeit.

Kaum eine Branche haben die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus so hart getroffen wie die Gastronomie. Mitte März brachen die Geschäfte allerorten ein. Viele Betriebe kamen nur auf knapp zehn Prozent ihres Umsatzes aus dem Vorjahr. Wer die Möglichkeit hatte, stellte auf Take-away-Angebote um, um vielleicht zumindest seine Fixkosten zu decken. Einigen Gastronomen war das schneller und besser möglich als anderen, manchen schlicht gar nicht. Ihre Läden blieben zu, Kosten liefen weiter.

Dennoch konnte sich die Branche ihrer Bedeutung vergewissern — trotz oder gerade wegen geschlossener Gasträume. Vor allem in Großstädten scheint vielen Menschen erst bewusst geworden zu sein, wie wichtig gastronomische Angebote für das Leben und Erscheinungsbild einer Stadt sind, als die Küchen kalt und die Bürgersteige hochgeklappt blieben.

Wer gerne in der Stadt lebt, schätzt ihre Orte der Begegnung. Man nimmt die Mühen und Kosten des Stadtlebens auf sich, den hek­tischen Verkehr, die permanente Lautstärke, die schlechte Luft, die Entfremdung von der Natur, weil Stadt zahlreiche Möglichkeiten des Zusammenkommens schafft. Neben Orten der Kunst und Kultur sind das vor allem gastronomische Angebote — von der Pommesbude bis zum Sterne-Restaurant. Die Dehoga nannte sie jüngst die »öffentlichen Wohnzimmer unserer Gesellschaft«. Der Branchenverband sprach nicht über die Küchen unserer Gesellschaft.

Seit Mitte Mai stehen die Türen der Wohnzimmer wieder offen, u.a. in NRW sind erste Lockerungen im Gastgewerbe in Kraft getreten. Die Bewirtung unter der Maßgabe des Abstandsgebots aber wird für Gastronomen kaum ausreichen, um kurzfristig wieder gesund zu wirtschaften. Betriebe werden die Anzahl ihrer Plätze reduzieren müssen. Je nach Größe der Gasträume und Angebot werden sich die Gästezahlen bei voller Auslastung halbieren — bestenfalls. In der Branche spricht man davon, dass Betriebe nur 30 bis 50 Prozent ihres Umsatzes machen, die Kosten aber laufen nahezu wieder auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen auf sieben Prozent ab Juli kann da kaum helfen.

Eine Lösung des Problems liegt auf der Straße. Gastronomie wird sich in den kommenden Wochen und Monaten, in denen die Temperaturen steigen, häufiger an der frischen Luft abspielen. Aerosole verflüchtigen sich dort schneller, der Raum ist weniger begrenzt als in den teilweise beengten Räumlichkeiten gerade kleiner Gastro­nomien. Außengastronomie hat damit das Potenzial, das Gastgewerbe zumindest durch die nächsten Monate zu tragen und viele Betriebe vor dem Aus zu bewahren. Die Stadt Köln hatte Anfang Mai die Gebühren für Sondernutzungen und »privatwirtschaftlich vermieteten Fiskalflächen«, die für Außengastronomien anfallen, für die diesjährige Hauptsaison erlassen. Man wolle Wirte »sofort spürbar entlasten«, erklärte Stadtdirektor Stephan Keller. Doch Wirte müssen nicht nur schnell ihre Kosten senken, sondern auch ihre Umsätze wieder steigern — etwa indem man ihnen künftig mehr Stadtraum überlässt.

»Warum erlaubt man Gastronomen nicht, die Bürgersteige mitzubenutzen?«, fragte selbst Christian Drosten, Deutschlands Ober-Virologe, im Podcast mit dem NDR. »In diesen Zeiten kann man doch auch mal bei den Kommunen Ausnahmen machen und sagen, dass die Kneipen ihre Tische auf den Bürgersteig stellen — solange sie damit nicht Passanten gefährden.« Botschaft und Adressat könnten auch den 3000 gastronomischen Betrieben in Köln helfen. Drosten verkennt jedoch, dass der Kampf um Flächen in Städten schon seit Jahren mit harten Bandagen ausgetragen wird. Wenn man dem einen Raum gibt, muss man dem anderen Raum wegnehmen. In den vergangenen Jahren drückte sich die Stadt Köln vor der Debatte, ein Zukunftsbild davon zu entwerfen, wer im öffentlichen Raum künftig die Wunschbesetzung ist. Man hätte dann schließlich auch entscheiden müssen, welche Nutzung man zurückdrängt. Erst ein Jahr ist es her, dass der Stadtdirektor Keller den Gastronomen damit drohte, ihnen Außenflächen wegzunehmen. Die Ver­waltung ruderte zurück, als die Gastronomen gegen die Ankündigung Sturm liefen. Ähnliches erleben die Behörden regelmäßig, wenn Autoparkplätze wegfallen sollen.

Auch Wirtinnen und Wirte kommerzialisieren öffentlichen Raum, machen Plätze und Gehwege zu Orten, an denen Konsumzwang herrscht. Doch wenn man es ernst meint mit Hilfen für die Gastronomen, gibt man ihnen nun mehr von der Stadt, in der sie so schmerzlich vermisst werden.