Trübe Aussichten erfreuen Bierkenner: Kölsch-Konkurrent Wieß

Wieß euch gefällt

»Urkölsch« erfährt als Wieß derzeit ein Revival. Das unfiltrierte Bier ist kulinarisch interessant

Das Getränk an der Venloer Straße 535 ist Kaffee. Schamong eröffnete nach dem Zweiten Weltkrieg, mittlerweile ist »Kölns älteste Rösterei« über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Seit neuestem liegen dort aber nicht nur Bohnen in der Auslage, sondern auch Bierflaschen: »Ehrenfelder Wieß«, illustriert mit dem inoffiziellen Veedels-Icon, dem Heliosturm. »Unser Haupt­augenmerk liegt weiter auf dem Kaffee«, sagt Mirko Schamong, der in dritter Generation die Geschäfte führt. »Die Idee mit dem Wieß entstand eher aus einem nostalgischen Gedanken.«Schamong hatte sich privat mit dem ehemaligen Braumeister der »Braustelle« an der Venloer Straße getroffen. »Irgendwann waren wir bei der Frage: Was wurde hier eigentlich vor dem Kölsch ausgeschenkt? Was trank der Ehren­felder Arbeiter, wenn er aus der Fabrik kam? Und das war eben das Unfiltrierte, was im Volksmund nur Wieß hieß.«

Nicht nur in Ehrenfeld wird an der Renaissance eines Kölner Biers gearbeitet, das seit mehr als einem Jahrhundert ein Schattendasein fristete. Mit Gaffel vertreibt eine der großen Kölner Brauereien das Wieß seit diesem Jahr als Fassbier. Vor allem in den hauseigenen Brauhäusern ist die Nachfrage gut, erklärt das Unternehmen. Zudem haben einige kleinere Brauereien in der Umgebung das »Ur­kölsch« im Sortiment — die Brauerei Coltro aus Hürth, Ale-Mania aus Bonn, der Heinenhof aus Pulheim. Schon länger führt Hellers wieder ein Wieß.

Bierhistoriker begrüßen die Neuauflagen des Traditionsgebräus

Ist die Rückbesinnung auf das Kölsch vor dem Kölsch bloß Marketing einer Industrie, die dem Craft-Beer-Hype etwas entgegensetzen will? Jürgen Knoke widerspricht. Er ist Mitglied der Bierhistoriker, eines Kölner Vereins mit großer Bierexpertise, dem auch etliche Biersommeliers mehrerer Genera­tio­nen angehören. »Es ist sehr begrüßenswert, dass das Wieß zurückkommt«, sagt Knoke. »Es erhöht die Vielfalt der Kölner Biere.« Sicherlich sei auch die Erzäh­lung vom ursprünglichen Biertrinken spannend, doch das Wieß sei eben auch kulinarisch interessant. »Der Unterschied zwischen Kölsch und Wieß ist an sich erst mal gering. Die Rezepte sind meist ähnlich. Aber Wieß ist nicht gefiltert, und deshalb trüb«, sagt Knoke. Sein trübes Erscheinungsbild geht aber auch auf seine namensgebende Zutat zurück: Weizen. »Bei der Nomenklatur muss man etwas vorsichtig sein. Wieß kann sowohl ein helles Bier als auch ein Weizenbier meinen«, sagt Bierhistoriker Knoke. Der Weizenanteil — früher auch im Kölsch üblich, heute fast verschwunden — trug dazu bei, dass das Wieß trüb war. Das Filtern wiederum verändert das Bier nicht nur optisch. »Es nimmt Wirkstoffe weg. Kolloide, auch Salze, Mineralien und Vitamine — sehr viele gute Sachen werden entfernt.«

Für Knoke ist ein Wieß eher das klassische, natürliche Kölner Bier. Doch das Wieß hat einen praktischen Nachteil, der es für Brauereien und Handel unattraktiv macht: Ungefiltertes Bier ist kurzlebig. Die Biere werden nicht kurzzeiterhitzt, nicht pasteurisiert. »Ein Wieß hält in der Flasche zwei, drei Monate — das war’s dann aber auch«, sagt Knoke. Er sieht darin einen Grund, warum etwa Gaffel das Bier nur als Fassbier am Hahn vertreibt. »Bier ist unter Verlust einiger Eigenschaften haltbar gemacht worden«, sagt Knoke. Konsumenten haben sich daran gewöhnt, dass sie Flaschenbier über Monate oder gar Jahre im Keller lagern können.

Ein Bier für den schnellen Schluck

Die kurze Haltbarkeit begründet die unstetige Vergangenheit des Wieß im vergangenen Jahrhundert. Wieß als das historische Kölner Bier bekam Anfang des 20. Jahrhunderts Konkurrenz. Um 1900 kamen die ersten filtrierten Kölner Biere auf, die Bezeichnung Kölsch schreibt man der Sünner-Brauerei zu. »Kölsch war anfangs im Prinzip auch ein Wieß, das damals Konkurrenz von zahlreichen Pilsbieren bekommen hat. Dann hat man gesagt: Wir müssen unser Kölsch auch klar machen. Das war das Fanal, aus dem später die Kölsch-Konvention entstanden ist.« Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand Wieß. Später folgten vereinzelte Versuche, es zu vermarkten. In den 70er Jahren gab es Küppers Wieß. »Gilden hat das nächste Mal die Trompete für das Wieß geblasen, das wurde als Kölner Wieß vermarktet«, erinnert sich Knoke. Das war Anfang der 2010er Jahre. Auch das Kölner Wieß ist vom Markt verschwunden.

Knoke glaubt, dass das Wieß durchaus Chancen habe, sich am Markt zu etablieren. »Aber das entscheidet letztlich der Konsument.« Die Nachfrage nach Ehrenfeld Wieß, das Brauer Sebastian Sauer mit seiner Firma Freigeist Bierkultur aus Stolberg braut, sei gut, berichtet Mirko Schamong. Große Pläne für den Massenmarkt hat er nicht. »Wir vertreiben das selbst, als kleine Hommage an unser Veedel und unsere Ursprünge«, sagt Mirko Schamong. »Das ist für uns kein big business.« Aber ein urkölsches.