Der andere Weihnachtsstern

Was haben eigentlich Orangen in der Adventszeit zu suchen?

»Apfel, Nuss und Mandelkern / Essen brave Kinder gern«, heißt’s bei Theodor Storm. Wie viele andere auch, reimt sich der Dichter hier das Ernährungs- und Genussprogramm für den Advent zusammen. Tatsächlich sind ja bis heute Nüsse und Äpfel das, was — neben vielen Süßigkeiten und garniert mit etwas Tannengestrüpp — auf den Tellern an St. Nikolaus und zur Weihnachtszeit zu finden ist. Bloß, wie gelangt eigentlich die Orange darauf? Kein Weihnachtslied besingt sie, und auch der christlichen Exegese fällt zur Südfrucht erst mal gar nichts ein. 

Die heute handelsübliche Orange taucht auch erst im Europa des 16. Jahrhunderts auf. Als exotische Rätselfrucht wird sie zunächst an den Höfen der Machthaber heimisch. Die legen für sie sogar »Orangerien« an. Damals galt die Orange als »chinesischer Apfel«, daher auch der Name: Apfel-sine. Die auftrumpfende Farbe und der betörende Duft sorgten nun dafür, sie aus christlicher Perspektive eher dem sündigen Apfel der Genesis gleichzusetzen. Nichts, was zum Weihnachtsfest passen könnte!

Die weltliche Karriere in Anbau und Verzehr lief auch zögerlich an. Erst im 19. Jahrhundert nahm sie Fahrt auf, um 1900 explodierten die Importzahlen. Dann schuf man auch Platz für sie auf den Weihnachtstellern. Es ist die leuchtende Farbe, die es ermöglichte, sie nun als sinnbildliche Sonne anzusehen, schließlich firmierte sie als »Weihnachtsapfel«. Ein Marketing-Coup!

Trotzdem wissen wir heute nicht recht, was mit der Apfelsine kulinarisch anzufangen ist. Viel mehr denn als rohe Frucht ist sie als Saft beliebt, trotz mäßiger Qualität. Jenseits des Obstsalats wird die Orange kaum in Hobby-Küchen gesichtet. Dabei kann man mit ihr anstellen, was ansonsten der Zitrone vorbehalten bleibt: etwas anregende Frische beigeben. Nur ist die Zitrone sprichwörtlich sauer, die Orange fruchtig-süß. Aber nicht nur: Der Abrieb ihrer Schalen ist vornehmste Bitterkeit! Mit dem süßen Fruchtfleisch aber stellt sich vor allem bei Fisch und Fleisch ein oft karibisch konnotierter Geschmack ein. Derart liegt der kulinarische Wert der Orange vor allem im aromatischen Brückenschlag zu herben Aromen wie beim Chicorée oder dem Sellerie. Das Wichtigste aber ist, sie zu filetieren — mühsame Geduldsprobe! Das ist dann auch ein sinnfälliger Bezug zum Advent. Mehr jedenfalls als eine herbeiphantasierte und vor der Zeit aufgehende Weihnachtssonne.