Blicken in der Krise nach vorn: Alexander Eychmüller und Werner Hinniger, Foto: Eychmüller/Hinniger

»Das ist die Generalprobe!«

Wie kommt die Gastronomie durch die Krise? Ein Gespräch mit Werner Hinniger und Alexander Eychmüller von der Gastro-Beratung »Gekreuzte Möhrchen«

 

Herr Eychmüller, Herr Hinniger, Sie beraten inhabergeführte gastronomische Betriebe. Wie plant man ein Jahr, das man nicht planen kann?

Eychmüller: Das ist ein Blick in die Glaskugel. Wenn wir etwas aus dem letzten Jahr gelernt haben, dann, dass nichts planbar ist.

Hinniger: Man muss ehrlich sagen: Es ist nicht die Zeit für klassische Gastroberatung. Alle haben dieselben knallharten Probleme, die meisten geht man mit dem Steuerberater an. Für uns geht es oft um die Frage: Probiert man, ein anderes Geschäftsmodell zu etablieren? Oder hält man die Füße still?

Take-away, Feinkost oder Online-Tasting. Was ist da der richtige Weg?

Hinniger: Das hängt vom Betrieb, aber vor allem vom Netzwerk ab. Man muss die Leute ja erreichen, an die man Kochboxen oder Take-away liefern will. Inhabergeführte Läden leben oft davon, dass der Inhaber als Gastgeber präsent ist. Das sind Leute, die sagen: »Online? Social Media? Nicht mit mir!« Aber die meisten Gastronomen sind unglaublich kreativ geworden.

Eychmüller: Wer sich vorher so aufgestellt hatte, dass er als Marke erkennbar ist, hat jetzt einen Vorteil. Ein gutes Beispiel in Köln ist die Fette Kuh, die Marke für Burger in Köln.

In welchem Fall sollte man besser warten, bis wieder Normalbetrieb möglich ist?

Hinniger: Wenn man mit dem Alternativ-Konzept Gewinn erzielen kann, ist das sinnvoll. Aber das ist schon ohne Corona für Gastronomen nicht leicht. Normalerweise ist das wie beim Bundeshaushalt: Man strebt die schwarze Null an. Wenn man öffnet, um präsent zu bleiben, sich aber trotz Überbrückungs- und Soforthilfen weiter ins Minus zieht, ist es eine Frage der Zeit, bis es einem das Genick bricht.

Ist es eine Lösung, seinen Betrieb abzustoßen?

Hinniger: Viele Inhaber in der Gastronomie haben sich mit ihrem eigenen Restaurant einen Traum erfüllt. Die halten länger durch, als es aus betriebswirtschaftlicher Sicht vielleicht sinnvoll ist. Wer bis hierhin Leidenstoleranz bewiesen hat, macht weiter. Davon mal ganz abgesehen, ist es auch keine günstige Zeit, seinen Laden zu verkaufen.

Gibt es schon Lehren aus der Krise?

Eychmüller: Böse gesprochen: Das war die Generalprobe! Es kann auch künftig Ausnahmesituationen geben. Wer keine Rücklagen bildet, ist nicht krisensicher aufgestellt. Und Rücklagen zu bilden, ist nicht einfach. Zum Beispiel sind viele Gastronomen den Trend zu regionalen und saisonalen Bio-Produkten zwar mitgegangen, konnten die Preise aber oft nicht an den Gast weitergeben.

Hilft es da, dass Gastronomie viel Aufmerksamkeit bekommen hat?

Hinniger: Das hat die Probleme der Gastronomie sichtbar gemacht. Dass kaum Gastronomen, gerade inhabergeführte Läden, Gewinne machen und teilweise selbstausbeuterisch arbeiten, war vielen nicht klar. Als wir früher einen vollen Laden hatten, haben Gäste gesagt: Ihr tapeziert eure Wände ja bald mit Blattgold. Dabei haben wir uns kaum normale Gehälter auszahlen können. Der Wert von Gastronomie für Städte ist größer, als es im allgemeinen Bewusstsein verankert war. Auf der anderen Seite hat die Gastronomie gelernt, dass alle in einem Boot sitzen. Gastronomen sind nicht nur Konkurrenten, die sich gegenseitig Gäste wegnehmen.

Was wiegt schwerer: Schließungen und Kontaktbeschränkungen oder die Unsicherheit?

Eychmüller: Unter Kontaktbeschränkungen leidet neben der Auslastung die Spontanität. Du möchtest im Brauhaus doch nicht ständig durchzählen, wie viele Haushalte da am Tisch sitzen. Oder jemand will später am Abend dazustoßen, aber du hast dein Kontingent aufgebraucht. Da wird der lustige, feucht-fröhliche Abend zum verkopften Ding.

Hinniger: Natürlich wäre es charmant, wenn man wüsste, dass am 1. April alle geimpft sind und das Wetter gut ist. Aber das ist Wunschdenken. Wir waren alle ein bisschen betriebsblind — nicht nur die Politiker. Viele, auch ich, haben sich von Wünschen leiten lassen. Es haben sich mehr Gastronomen darauf vorbereitet, wie sie ihr Geschäft wieder öffnen können, als darauf, wie sie mit der zweiten Welle im Herbst und Winter umgehen.

Wie wird die Post-Corona-Zeit in der Gastronomie aussehen?

Eychmüller: Gastronomen waren die Ersten und werden die Letzten sein: die Ersten, die zumachen mussten, und die Letzten, die wieder aufmachen dürfen. Wir genießen leider und zu Unrecht einen Superspreader-Ruf. Der bessert sich gerade erst langsam wieder.

Hinniger: Es wird zunächst eine gewisse Angst vor Geselligkeit bleiben. Aber wir glauben, dass die Menschen etwas nachholen wollen. Die Menschen vermissen das — Restaurants, Bars, auch Konzerte. Das Erlebnis Restaurant, bei dem es nicht nur um das Essen geht. Da ist ein Vakuum entstanden.

 

Werner Hinniger und Alexander Eychmüller beraten mit ihrer Agentur »Gekreuzte Möhrchen« inhabergeführte Gastronomiebetriebe. Sie lernten sich im Gasthof Möhrchen in Hamburg ­kennen. Hinniger war Inhaber und Leiter, Eychmüller wurde Küchenchef und Mitinhaber. »Gekreuzte Möhrchen« bietet zudem stationäre Gastro-Konzepte wie Mietküche oder Kochkurse an.