Unabhängig von Lieferketten: Florian Sander im Schrebergarten

»Wir fangen im Kleinen an«

Florian Sander vom Kölner Ernährungsrat über die Erkenntnisse aus der Corona-Krise, vegane Ernährung und Heidelbeeren aus Peru

Herr Sander, was hat uns Corona eigentlich über Ernährung und Nahrungsmittelproduktion gelehrt?

Vietnam hat im März 2020 plötzlich keinen Reis mehr exportiert. Wenn Handy-Akkus oder E-Bikes nicht mehr im Laden stehen, ist das die eine Sache. Wenn aber Grundnahrungsmittel fehlen, ist das eine ganz andere. Der Weltmarkthandel mit seinem System der Lieferketten ist komplex geworden und von Abhängigkeiten bestimmt. Daher benötigen wir eine größere Ernährungs­souveränität.

Ihr Ziel für Köln ist die Stärkung bäuerlicher Betriebe, besserer Zugang zu deren Produkten, mehr Flächen für Landwirtschaft in der Stadt, Ernährungsbildung für alle. Was haben Sie schon erreicht?

Unsere »Ernährungsstrategie« von 2019 hat die Stadt vergangenen Sommer als Leitlinien angenommen. Es soll unter anderem mehr regionale Bio-Lebensmittel in den Versorgungsbetrieben der Stadt geben. Das kann ein großer Hebel sein. Es gibt in Köln viele kleine Initiativen und Betriebe, die sich für bessere und nachhaltige Ernährung engagieren, etwa für Zero Waste, aber auch die Bio-Lieferkisten. Das sind gute Vorbilder.

Sie plädieren für regionale Versorgung aus dem Umland. Aber das wird doch nie reichen, um alle zu versorgen.

Wir können nicht alle in Köln nur mit Lebensmitteln aus der Stadt und dem Umland versorgen. Dafür ist das Rheinland zu dicht besiedelt. Aber es ließe sich sehr viel verbessern, das wollen wir aufzeigen. Wir fangen im Kleinen ein. Es gibt zahlreiche Projekte, etwa in Kitas. Wir sind nur ein kleiner Verein mit wenigen Hauptberuflichen, wir sind auf die ehrenamtliche Unterstützung angewiesen.

Der Fleischkonsum in Deutschland bleibt hoch. Veganismus ist ein Phänomen der urbanen, weißen Mittelschicht. Convenience-Produkte verkaufen sich besser denn je. Wie wollen Sie ohne Verbote eine »Ernährungswende« vollziehen?

Ich bin noch mit der Scheibe Fleischwurst an der Supermarkt-Theke aufgewachsen. Heute wird diese Selbstverständlichkeit, Fleisch zu essen, hinterfragt. Viele junge Menschen haben ein starkes Bewusstsein für Themen der Ernährung entwickelt. Sie hinterfragen die Konsum-Muster ihrer Eltern. Aber über Verbote erreicht man nichts, das haben schon die Grünen erfahren. Es kann nur funktionieren, indem wir positive Beispiele aufzeigen.

In der Kritik steht immer wieder das billige Schweinenackensteak vom Discounter in Chorweiler. Aber geht es nicht auch um Avocados und australischen Rotwein in Ehrenfeld?

Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Es stimmt, es geht auch um die Heidelbeeren aus Peru, Goji-Beeren aus China, Chia aus Südamerika und all das. Wir haben hier genug Superfood in der Region, seien es Walnüsse, Grünkohl oder schwarze Johannisbeeren. Wir brauchen keine weltweiten Lieferketten. Ja, es ist in gewissen Gruppen angesagt, solche Luxus-Importe zu haben, das zu zelebrieren und über Social Media zu zeigen. Es gibt diese Widersprüche. Wir brauchen regionale und saisonale Ernährung. Natürlich werden wir immer noch das Bedürfnis nach Kaffee, Tee oder Pfeffer haben. Aber Grundnahrungsmittel aus fernen Ländern, das ist nicht mehr zeitgemäß. Im Rahmen des Projekts »Setup Foodstrip« wird im Rheinischen Revier etwa nun Quinoa angebaut.

Sind Milch, Eier und Honig noch zeitgemäß? Sollte die Ernährungswende vegan sein?

Man kann schon zeigen, was nicht nur der ungezügelte Konsum von Fleisch, sondern auch von Milch, Käse und Eiern bedeutet. Aber Veganismus ist eine persönliche Entscheidung. Wir wollen Wertschätzung von Lebensmitteln, wir wollen Unterstützung für regionale Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk fördern. Natürlich sollte das nachhaltig und ökologisch sein. Allerdings: Wenn es bald gar keine Landwirte mehr in der Region gibt, brauchen wir auch nicht mehr darüber zu diskutieren, ob das alles noch ökologischer geht.

Manche behaupten, im Corona-Shutdown würden sich viele Menschen besser und bewusster ernähren.

Das weiß ich nicht. Aber viele haben gelernt, sich im Alltag, etwa im Home Office, wieder selbst zu versorgen. Der Umsatz von Convenience ist gestiegen, aber viele haben wieder begonnen, zu kochen. Wie viele haben angefangen, wieder selbst Brot zu backen! Doch dann wird das Mehl knapp, weil die Supermärkte erst gar nicht mehr davon ausgingen, solchen Ur-Produkte ausreichend vorrätig haben zu müssen.

Wir leben in einer Wende-Zeit.

Verkehrswende, Energiewende... Ja, das hängt auch alles zusammen! Wir haben hier vor Köln das Rheinische Braukohlerevier, und es ist die Frage, was dort nach dem Ausstieg aus der Kohle passieren soll. Ein enormer Strukturwandel steht an. Wir sehen auch dort die Chance, Landwirtschaft noch mal ganz neu zu denken.

Weitere Informationen auf www.ernaehrungsrat-koeln.de