Versorgt Köln mit Obst und Gemüse: Michael Rieke in der Großmarkthalle

»Frischer kann Ware nicht sein!«

Michael Rieke von der Interessensgemeinschaft Großmarkt über krumme Zitronen, kulinarische Vielfalt und Lieferungen mit dem Lastenrad

Herr Rieke, seit mehr als zehn Jahren wird über den Umzug des Großmarkts nach Marsdorf debattiert. Im Mai hat der Stadtrat das Vorhaben bekräftigt. Braucht Köln noch einen Großmarkt?

Der Großmarkt versorgt die Kölner mit frischen Lebensmitteln und gehört zur Daseinsvorsorge dieser Stadt — auch wenn uns Politik und Verwaltung in den letzten Jahren nicht immer so behandelt haben.

Es gibt an jeder Ecke Supermärkte. Woran würden Menschen merken, dass es keinen Großmarkt mehr gibt? 

Ein gutes Beispiel: die vielen inhabergeführten Lebensmittellädchen. Wir haben eine große kulturelle Vielfalt in Köln. Viele Menschen kaufen gern Produkte der Regionen, aus denen sie stammen. Spitzpaprika, glatte Petersilie, Melonen, auch spezielle Konserven oder Feinkost — das kriegt man im Supermarkt entweder gar nicht oder nicht in der gewünschten Qualität. Der Großmarkt holt diese Produkte nach Köln, von dort werden sie verteilt. Kein Exporteur aus dem fernen Ausland, etwa aus der Türkei oder dem Iran, fährt mit seinem 40-Tonner nach Köln und durch die Veedel, um dort ein paar Kisten frische Ware oder Konserven beim Ladenbetreiber abzuladen.

Was wird am Großmarkt gehandelt?

Die rund 150 Händler bieten meistens frisches Obst und Gemüse an. Dann gibt es Fleisch- und Fischhändler. Fisch kommt vor allem aus dem Norden oder über Paris. Dazu kommen Feinkost und Spezialitäten aus verschie­denen Ländern.

Kaufen Gastronomen am Großmarkt ein?

Klar! Von der Spitzengastronomie bis zur Imbissbude. Weil Gastwirt, Einkäufer und Händler sich vertrauen. Man bekommt auf dem Großmarkt Top-Qualität. Es gibt Händler, die Edel-Gastronomen beliefern und ihrem Bauer morgens sagen, wie viele Salate er schneiden soll. Frischer kann Ware nicht sein! Aber es wird auch Ware gehandelt, die sehr reif ist und schnell verarbeitet werden muss. Wenn ein Gastwirt Zitronensorbet herstellen will, möchte er gute, preiswerte Ware haben. Der Spezialist weiß, dass er fürs Sorbet auch Zitronen mit Schalenfehler einkaufen kann. Die können krumm und schief sein, aber die müssen Geschmack haben. Solche Ware findet man auf dem Großmarkt.

Landet da nicht viel im Müll?

Nicht in den Größenordnungen wie bei Supermärkten. Aber beim Kampf gegen Lebensmittelverschwendung hat der Großmarkt noch Potenzial. Es drängt massenhaft Ware mit Fehlern in den Großmarkt, die in der Auslage nicht mehr funktioniert, die man aber an Schnibbelbetriebe geben könnte. Kein Händler will wegschmeißen, was noch verzehrt werden könnte.

Köln will die regionale Ernährungswende. Viele verbinden mit einem Großmarkt aber eher Papayas als heimische Kartoffeln.

Das Gegenteil ist der Fall. Für viele regionale Erzeuger ist der Großmarkt die Plattform. Das sind teilweise Erzeuger mit Hofladen! Aber für die meisten ist es nicht realistisch, ihre gesamten Erträge selbst zu vermarkten. Auf der anderen Seiten haben Erzeuger, die Aldi, Lidl & Co. beliefern, enormen Druck. Der Handel hat einen riesigen Katalog mit Forderungen und will alles möglichst billig. Der Großmarkt kann für regionale Erzeuger ein noch stärkerer Partner werden.

Aber es gibt weiterhin exotische Ware.

Natürlich. Viele Produkte werden ja erst über den Großmarkt bekannt. Heute kennt jeder Khakis. Die wurde aber schon an Großmärkten gehandelt, da gab’s die noch in keinem Supermarkt. Derzeit wird die Mispel stark nachgefragt. Sieht aus wie eine Aprikose, hat aber Kerne und einen erfrischenden, säuerlichen Geschmack. Eine Spezialität, die etwa in Spanien in großen Mengen wächst. Ein Gemüse, was die Gastronomie gern verwendet, ist die Cardy, auch spanische Artischocke genannt. Diese Vielfalt würde ohne Großmarkt wegbrechen.

Warum wird kaum biozertifizierte Ware gehandelt?

Viele Kunden wollen Qualität, aber es muss keine Bio-Qualität sein. Trotzdem kommt viel Bio-Ware bei uns an, wird aber als konventionelle Ware vermarktet. Bio-Ware muss getrennt gelagert werden. Das soll verhindern, dass es zu Kreuzkontamination oder Betrug kommt. Die Waren komplett getrennt zu vermarkten, können wir am jetzigen Standort derzeit nicht leisten.

Im geplanten Frischezentrum in Marsdorf schon?

Mit einer baulichen Flexibilität bekommt man eine organisatorische Flexibilität. Wir wollen es für neue Händler attraktiv machen, sich am Großmarkt anzusiedeln. Ich stehe mit dem Kölner Ernährungsrat in Kontakt und bin auf viele engagierte Menschen gestoßen, die auch über alternative Transportmöglichkeiten und Vermeidung von Lebensmittelverschwendung nachdenken. An einem neuen Standort kann man solche Ideen aufgreifen. Warum sollte nicht ein Lasten­rad-Lieferservice von Marsdorf in die Innenstadt fahren?