Lässt nichts übrig vom Tier: Kochbuch-Autor Steffen Kimmig

»Oder einen gebackenen Kalbskopf«

Steffen Kimmig plädiert für bewussten Fleischgenuss — und dafür, das ganze Tier zu verspeisen

Herr Kimmig, ist es zeitgemäß, ein Buch zu schreiben, das Fleisch in den Mittelpunkt stellt?

Wenn das Fleischessen bewusst geschieht, finde ich das gut. Gerade wenn man sich vor Augen hält, dass ein Tier nicht nur aus irgendwelchen Premiumstücken besteht, wie man sie im Supermarkt zu kaufen kriegt. Ich möchte zeigen, dass man das ganze Tier verwerten kann und dazu anregen, Fleisch aus ökologischer oder nachhaltiger Aufzucht zu kaufen.

Wie wichtig sind Bio-Siegel?

Meiner Auffassung nach muss Fleisch nicht unbedingt bio sein. Mir ist es eher wichtig, dass es nachhaltig oder regional ist. Transportwege sind ein Thema. Deshalb ist regional für mich das neue bio.  

Aber der Gedanke, das ganze Tier zu verwenden, ist weder in der Gastronomie noch in privaten Küchen verbreitet, oder?

In der Top-Gastronomie sehen Sie das schon öfter wieder. Das hat auch mit dem Anspruch der Köche zu tun. Denn einfach ein Stück Fleisch braten oder mal eben für den Sous-vide-Garer eintüten, das kriegt, provokant gesagt, jeder hin. Aber eine flache Schulter oder eine kurze Rippe, Rouladen oder Innereien zuzubereiten, und zwar nicht nur die Leber in Scheiben zu braten, sondern auch mal Leber-Nocken, da fängt dann das Handwerk an. Als Hobbykoch muss man sich natürlich einlesen. Gerade, wenn es ums Schmoren geht, ist das aber dankbar, weil man eine wunderschöne Sauce dazu bekommt.

Viele kaufen nach dem Motto ein: »Bitte kein Tier in meinem Fleisch!«

Das war in Deutschland immer ein Problem. Im Süden wird zwar anders gekocht, da hat man den Einfluss von Frankreich und Österreich. Aber die Main-Linie ist eine kulinarische Grenze. Weiter nördlich nimmt man Rücken und Filet, der Rest wird durch den Wolf gedreht und als Hack verkauft. Oder eben: Ab in die Wurst!

»Das ganze Huhn« ist schon Ihr zweites Buch dieser Art. An wen richten sich Ihre Bücher?

An den ambitionierten Hobbykoch. Aber auch an den, der einfach mal was kochen mag. Es sind viele Rezepte dabei, die man gut hinkriegt. Das haben mir bei »Die ganze Kuh« viele zurückgemeldet. Ich habe auch vegetarische Freunde, die die Bücher haben oder verschenken — weil sie schön aufgemacht sind.

Sicher gab es aber auch negative Reaktionen, weil Zutaten wie Bries drin sind.

Eher umgekehrt: Beim Kuh-Buch fragten manche: Und wo sind die Hufe, was ist mit dem Schwanz und den Ohren? Denen war es nicht speziell genug.

Beim Huhn-Buch fehlen Hahnenkämme und Hühnerfüße, warum?

Ich hatte 150 Rezepte ausgewählt und dann mit meinem Verleger abgewägt. Hahnenkämme würden vielleicht Leute abschrecken.

Und wo kriegt man die überhaupt zu kaufen?

Ja, wo kriegt man überhaupt noch diese ganzen Teile, die keine sogenannten Edelteile sind? In der Regel muss man Spezialitäten wie Kalbsbries beim Metzger vorbestellen. Bei einem guten Metzger hat man es am nächsten Tag. Beim Rind finde ich es spannend, über eine Kooperative, etwa in der Eifel, einen Teil vom ganzen Tier zu kaufen. Dann kriegt man eine Kiste mit zehn, zwanzig Kilo Fleisch. Das muss man einfrieren, aber das ist bei Rind nicht tragisch.

Welche Küchen könnten Vorbild sein für Ihre Idee?

In Europa Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. In diesen Ländern wird oft alles verwendet. Wenn ich dort in den Supermarkt gehe, ist die Auswahl an Stücken vom Tier unglaublich.

Sie waren lange Koch. Wie aufgeschlossen ist der Kölner Gast?

Der Kölner hat eher gegessen, was er kennt. Es war schwierig, Kalbsbries auf der Karte anzubieten. Auch Kalbsniere war ganz schwer zu verkaufen, obwohl es ein deutscher Klassiker ist. Ich glaube, da sind viele versaut worden durch sehr urinige Schweinenierchen, die blöd zubereitet und schlecht eingekauft waren. Kalbsbäckchen und Ochsenbäckchen waren am Anfang ein bisschen schwierig, aber dann sind sie sehr in Mode gekommen.

Ihr Lieblingsstück von Huhn oder Rind?

Bei Rind oder Kalb sind es die Innereien. Ein gut gemachtes Beuscherl oder Kalbsbries finde ich super, oder einen gebackenen Kalbs­kopf. Dafür lass ich jedes Filet stehen. Beim Huhn wär’s ein Backhendl aus der Keule. Früher gab es Fleisch nur an Fest­tagen.

Was wünschen Sie sich von Hobbyköchen und Verbrauchern?

Alles in ein ausgewogenes Verhältnis setzen, fände ich sinnvoll. Dass man vielleicht zwei-, dreimal in der Woche Fleisch isst und sonst Gemüse. Oder mal ein Stück Fisch. Da wäre es aber auch besser, Süßwasserfische zu nehmen als Fische aus dem Meer.

Steffen Kimmig hat zehn Jahre das »Kap am Südkai« im Rheinauhafen betrieben und vorher in vielen anderen ­Städten gekocht. Heute führt er seinen Catering-Service »Stivie Cuisine« in der Südstadt. Seine Bücher »Das ganze Huhn — 90 Rezepte rund ums Geflügel« und »Die ganze Kuh« sind im Olivia-Verlag erschienen.