Verkehrsübungsplatz mit Kölsch
Vor dem Rathaus finden wieder Hochzeiten statt, Menschen spazieren über den Alter Markt, und hier und da ist Französisch und Niederländisch zu hören. Am nördlichen Ende des Platzes sitzen ein paar Gäste und trinken ein erstes Kölsch. Tische mit abwaschbaren weißen Decken und jeweils acht roten Klappstühlen stehen unter roten Sonnenschirmen mit der Aufschrift »Peters Brauhaus — Hier ist Köln zu Haus«. Das Peters-Stammhaus an der Mühlengasse ist hingegen geschlossen. Ein Zettel an der Tür erläutert die schwierige Lage aufgrund der Corona-Pandemie. Dass man unter Auflagen zwar aufmachen könnte, wird dort erklärt. »Wir haben uns jedoch entschlossen, vorerst nicht zu öffnen. Wir sehen im Moment bei der Vielzahl der auch von uns für sinnvoll angesehenen Auflagen noch keine Möglichkeit, eine ausreichend gastliche Atmosphäre für unsere Gäste zu schaffen.« Hygiene-Regeln in einer Pandemie und Kölsche Brauhaus-Kultur — das passt offenbar nicht gut zusammen.
1967 beschreibt der Schauspieler Kaspar Brüninghaus im Sammelband »Köln, wie es schreibt und isst« ein damaliges Brauhaus an der Mittelstraße. »In der kölnischen Wirtschaft sucht man die Nähe des Nachbarn und Mitmenschen, mit denen man in heiterer Eintracht und Ungezwungenheit beieinander sitzt«, so Brüninghaus damals, »man braucht ein Gegenüber, seine Freude mitzuteilen. Hier ist ein Boden, der resonanzkräftig genug ist, der Acker, auf dem die urwüchsige kölnische Fröhlichkeit gedeiht.« Ein Brauhaus, das wissen nicht nur die klischeefreudigen Kölnerinnen und Kölner, lebt von der sprichwörtlichen Tuchfühlung. Eng und voll muss es sein, laut und ausgelassen.
Aber was passiert, wenn plötzlich 1,50 Meter Abstand eingehalten werden muss? Seit dem 11. Juni dürfen auch die Brauhäuser der Stadt den Betrieb wieder aufnehmen. Die Auflagen dafür sind in der Anlage »Hygiene- und Infektionsschutzstandards« der Corona-Schutzverordnung NRW beschrieben. Sie bedeuten mehr Aufwand, somit erhöhten Personaleinsatz und letztlich geringere Einnahmen. Ziffer 6 der Anlage stellt das Konzept eines Brauhauses auf den Kopf: Sitzplätze müssen so arrangiert werden, dass »zwischen den Tischen mindestens 1,5 m Abstand (gemessen ab Tischkante bzw. den zwischen zwei Tischen liegenden Sitzplätzen) vorliegt. Ausnahme: bauliche Abtrennung zwischen den Tischen, die eine Übertragung von Viren verhindert.«
Am Haupteingang macht das Brauhaus Gaffel am Dom einen verlassenen Eindruck. Keine Touristen, die auf ihren Koffern vor der Tür auf den Rest der Reisegruppe warten, stattdessen eine Desinfektions-Station zwischen den Türen und blau gekleidete Köbesse mit Gesichtsvisier. Auf den Tischen liegt eine Anleitung für den digitalen Check-in, und die deutlich reduzierte Speisekarte öffnet sich automatisch nach Eingabe der persönlichen Daten. Das Besteck steht nicht mehr in Steinguttöpfen auf dem Tisch, sondern wird, in passender Zahl in eine Serviette gewickelt, auf einem Teller gereicht. Eine Herrengruppe nimmt an einem größeren Tisch Platz. Dem Zungenschlag nach kommen die Gäste aus der Pfalz. »Hey Kölle, du bes e Jeföhl«, singt mehr oder weniger leise einer der Männer, der erkennbar der Anführer ist. »Lasst uns mal ein Foto machen für die Arschlöcher, die nicht mitgefahren sind.« In anderen Zeiten gingen solche Entgleisungen im Lärm unter. »Es geht langsam wieder«, antwortet der Köbes auf die Frage, wie die Geschäfte laufen. »Die Leute sehen, dass hier nix passiert, wenn man aufpasst«, sagt er. »Dafür sind die Regeln ja gemacht.« Da, wo neue Corona-Ausbrüche aufträten, liege das an unvernünftigem Verhalten.
Auch im Brauhaus ohne Namen an der Deutzer Mathildenstraße ist die Kellnerin hinter ihrem Visier zuversichtlich, obwohl der Saal nahezu leer ist. »Sonst wäre es hier voll«, sagt sie zwar, während sie mit einem Einwegtuch Speisekarten, Salzstreuer und Ketchup-Flaschen abwischt. Aber dass jetzt gerade mal drei Tische belegt seien, liege nicht nur an der Pandemie, sondern auch am Regen. »Aber die Leute kommen langsam wieder«, sagt sie.
Im Saal ist ein Tisch von einem Großvater und seinen zwei Enkeln belegt, die in Deutz an der TH Maschinenbau studieren. Auch hier sind nicht wie sonst nur Gesprächsfetzen zu hören, sondern jedes Wort. Auch wenn man eben nicht auf Tuchfühlung gehen darf, kann man den Nachbarn nicht entgehen. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, und in der Tat treffen weitere Gäste ein. Eine ältere Dame hat sich am Eingang die Hände desinfiziert und schreitet hinter ihrem Ehemann in Richtung Biergarten, die Unterarme hat sie angehoben, als würde sie sich in den Operationssaal begeben. Vor den Toiletten ein Schild: »Bitte hier warten, falls jemand anderes im Flur ist.«
»Ein Brauhaus lebt vom Sprechen, vom Erzählen, vom Anstoßen, vom Zuprosten«, sagt Henning Heuser. »Das ist unser Geschäft.« Der 57-Jährige betreibt mit seiner Ehefrau Biggi das Traditionshaus Töller und das gegenüberliegende »Gerhard Fischenich« an der Weyerstraße in der Nähe vom Barbarossaplatz. Derzeit sind beide Lokale geschlossen. Heuser fordert, dass es im September, Oktober mit den Auflagen vorbei sein müsse, denn »die Wirtschaft« werde das sonst nicht überleben. Die Entscheidung, vorerst nicht zu öffnen, habe er aus Überzeugung getroffen, sagt Heuser. Die Corona-Maßnahmen passten nicht zum Haus Töller. »Wir haben hier alte Briefe vom Oberbürgermeister von Anfang der 60er Jahre. Da bedankt der sich, dass es im Töller noch immer so ist, wie es im Töller immer war. Wir werden uns jetzt nicht komplett verbiegen.« Aber für Heuser ist nicht nur die Abstandsregeln hinderlich für ein authentisches Brauhauserlebnis, auch die Atemschutz-Masken seien ein Problem. »Ein Köbes lebt doch auch von der Mimik«, sagt er. »Es gibt momentan Häuser, da ist alles ausgeschildert, die sehen aus wie ein Verkehrsübungsplatz.«
Wie das Haus Töller ist auch Hellers Brauhaus an der Roonstraße noch geschlossen. »Im Sommer ist es für uns immer ein bisschen schwieriger«, sagt die Gastronomin und Braumeisterin Anna Heller. »In der Regel sind das ja doch recht geschlossene Räume.« Weil der Personaleinsatz hoch und die Anzahl der zugelassenen Gäste niedrig sei, habe man beschlossen, nicht zu öffnen. Die Entscheidung sei ihr schwergefallen, sagt Heller. Denn das Haus ist seit der Eröffnung im Jahr 1996 noch nie für längere Zeit geschlossen gewesen. »Im letzten Jahr haben wir aufgrund des guten Wetters sonntags zugemacht, damit sich nicht zu viele Überstunden ansammeln«, erinnert sich die Mitt-dreißigerin. »Das war ein Luxusproblem, im Vergleich zu dem, was wir gerade haben.« Der reguläre Betrieb werde erst im Oktober wieder aufgenommen. »Wenn wir dann weiterhin eine Masken- und Abstandspflicht haben, wird es natürlich irgendwie anders sein. Ein Brauhaus lebt ja davon, dass man sich einfach dazusetzt, dass man irgendwann anfängt, mit den Leuten am Nachbartisch zu palavern.«
Das Kulturgut Brauhaus sieht sie aber trotz der Krise nicht in Gefahr. »Die Touristen werden wiederkommen«, ist sie sich sicher. »Spätestens mit dem etwas schlechteren Wetter werden auch die Kölner im September, Oktober, November wieder ins Brauhaus gehen«, sagt Anna Heller. »Der Kölner bleibt ja seinem Kölsch als solchem treu.«