»Das Chaos schöner gestalten«
Herr Krauthäuser, Sie organisieren mit Humba e.V. seit fast drei Jahrzehnten alternativen Karneval und sitzen am Runden Tisch, der 2017 gegründet wurde, um die »negativen Begleiterscheinungen des Straßenkarnevals« einzuhegen. Am Elften Elften gab es erneut Exzesse. Ist das Format gescheitert?
Ich finde die Idee vom Runden Tisch toll. Man bringt Akteure mit unterschiedlichen Blickwinkeln zusammen, die gute, neue Ideen produzieren. Der Runde Tisch ist nicht gescheitert, die Umsetzung war bisher schwach.
Das Konzept der Stadt Köln für Weiberfastnacht ist, die Zülpicher Straße abzusperren und die Uniwiesen als Ausweichfläche zu nutzen.
Eben das hat sich bislang nicht bewährt. Wir hatten im Dezember eine konstruktive Sitzung mit dem Konsens, mehr auf positive Ansätze zu setzen. Alle standen unter dem Eindruck des Elften Elften. Im Januar war von den konstruktiven Ideen kaum mehr die Rede. Das Ordnungsamt hat sein Sicherheitskonzept vorgestellt, alles Kreative wurde einmal mehr verschoben. Das größte Problem ist, dass Impulse vom Runden Tisch kaum umgesetzt werden. Alles wird ans Ordnungsamt delegiert. Das macht seinen Job so gut es geht, ist aber keine Kultur-Institution. Es fehlt ein Counterpart, der den Karneval gestaltet.
Das größte Problem ist, dass Impulse vom Runden Tisch kaum umgesetzt werden. Alles wird ans Ordnungsamt delegiert Jan Krauthäuser
Es braucht doch Ordnungspolitik.
Es gibt unangenehme Ballermann-Situationen. Ich sage auch nicht: Das Ordnungsamt hat auf der Zülpicher Straße nichts zu suchen. Aber es ist spannend, was dort passiert. So eine Energie und Brodeln! Da muss einem doch mehr zu einfallen als Verbote und Zäune. Wenn man Karneval dort als Negativereignis bewirbt, lockt man die passenden Leute an.
Der Karneval ist nicht nur Problem, sondern auch Lösung?
Karneval ist ein Glücksfall für Köln. Eine kollektive, identitätsbildende Kraft, die Kreativität, Innovation und soziale Zufriedenheit schaffen kann. Ich plädiere für einen positiven Ansatz, ein progressives Brauchtum, das Tradition und urbane Vielfalt zusammenbringt. Es geht nicht darum, das Chaos zu verhindern. Man muss es nur schöner gestalten. Viele originelle Künstler machen zum Beispiel einen Bogen um den Karneval. Auch weil man ihnen keine Spielräume gibt, um dieses Fest mitzugestalten. Man kann mit karnevalistischen Mitteln, die ja überall in der Stadt funktionieren, auch im Kwartier Latäng Lösungen anschieben. Ich bin mir sicher, dass man so einen Großteil der Jugend für eine verträglichere Feierkultur gewinnen kann.
Sie haben bereits 2017 ein Konzept zur »Rekultivierung des Straßenkarnevals« vorgelegt.
Die Gesellschaft hat sich verändert, aber der Karneval bildet das kaum ab. Man sollte mehr kulturelle Vielfalt zulassen. Wenn man etwa im Studentenviertel etwas nach vorn bringen will, geht das nicht ohne die interkulturelle Szene. Musik bietet da ein riesiges Potenzial. Zur kulturellen Vielfalt zählt auch, die Kluft zwischen Hoch- und Tiefkultur zu überwinden. Mehr Kultur in den Karneval, mehr Karneval in die Kultur! Das ist doch ein tolles Experimentierfeld für viele gesellschaftliche Bereiche.
Zuletzt wurden ein Festival, »Jeckenville«, oder ein Zoch am Elften Elften ins Spiel gebracht.
Neue Attraktionen können helfen. Aber es geht nicht darum, entweder eine Großveranstaltung auf den Ringen oder eine im Grüngürtel zu machen. Man braucht smarte Formate an verschiedenen Orten. Hier macht Kölncampus einen DJ-Spot, dort Loss mer singe eine Mitsingbühne, dazu mobile Samba-Batucadas oder Balkan-Brass-Bands. Das wäre gleichzeitig Ordnungs- und Sicherheitspolitik.
Wer soll das organisieren und verantworten?
Stadt Köln und Festkomitee winken ab. Die Oberbürgermeisterin sagt, das Festkomitee sei zuständig. Aber das Festkomitee ist für 140 Karnevalsvereine und wichtige Traditionsveranstaltungen verantwortlich. Es ist keine öffentliche Institution, die den Auftrag hat, den gesamten Kölner Karneval zu organisieren. Man sollte in der Stadtverwaltung eine Koordinierungsstelle für Karneval schaffen, die sich langfristig um die Entwicklung dieser Festkultur kümmert und relevante Akteure zusammenbringt. Die Stadt sollte nicht auf Veranstalter warten, sondern pragmatische Regeln entwickeln, mit denen sich das Potenzial entfaltet. Engagement und Ideen gibt es genug, man muss sie nur zulassen.