Das Weiß im Auge sehen
Laurenz Leky kannte ich schon, bevor ich ihn kennenlernte. Bei einem Pressetermin — zäh, auch ermüdend — erhob er irgendwann seine Stimme und erzählte mit einer Ergriffenheit, die all die schläfrigen Geister weckte, von seiner Vision: die Aachener Straße als »Broadway am Rhein«, mit dem Theater im Bauturm und der Volksbühne am Rudolfplatz. Natürlich war die Idee witzig und natürlich druckten am nächsten Tag alle Zeitungen seine Formulierung. Aber da war noch etwas anderes. »Das Theater ist der seligste Schlupfwinkel für die, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt haben«, sagte der Regisseur Max Reinhardt einmal. Vielleicht taugt dieser Satz am besten, um Laurenz Leky zu beschreiben, diesen Mitreißer, der von Innen zu leuchten beginnt, wenn ihn eine Idee begeistert. Am Ende meinen alle, sie stünden tatsächlich mitten in New York auf dem Broadway — zumindest für einen Moment. Unser Gespräch, eine ganze Weile nach der ersten Begegnung, fand nun am Telefon statt: Reverse, Stopp. Und Play!
Erst einmal Herzlich Glückwunsch, Herr Leky, zu 40 Jahren Theater im Bauturm! Oh, vielen Dank, Sie sind unsere erste Gratulantin. Erstaunlich, diese Worte jetzt zu hören. Man plant so viel und organisiert, aber bislang fand das Jubiläum doch vor allem in unseren Köpfen statt. Immerhin ein Viertel der Zeit sind sie ja selbst Teil des Betriebs. Das stimmt. Vor zehn Jahren hab ich am Bauturm angefangen, damals noch als Assistent von Gerhardt Haag, unserem früheren Leiter. Als 2016 unser Dreiergespann — Bernd Schlenkrich als Geschäftsführung, René Michaelsen als Dramaturg und ich in der Rolle der Leitung — diese Aufgabe übernahmen, fragte ich ihn einmal: »Gerhardt, was würdest du sagen, was ist das Wichtigste bei dem Job?« Er sagte nur: »Den Geist des Bauturms zu bewahren!« Ich könnte Ihnen eine Anekdote erzählen, darüber wie mir dieser Satz kürzlich erst wieder in den Sinn kam.
Gerne. Gut, also für die Inszenierung der Feierlichkeiten haben wir die Regisseurin Susanne Schmelcher beauftragt. Wir haben sie gebeten, in Archive zu gehen, mit Weggefährt*innen zu sprechen — und eines Tages brachte sie die Gründungsakte des Theaters von 1983. Beim Lesen dachte ich, verrückt, die könnte genauso von uns geschrieben worden sein. Im vermeintlichen Glauben, etwas Neues zu erfinden, sind wir vom Geist des Bauturms beseelt worden.
Was steht denn drin, in der Akte? Damals wie heute wollte das Theater im Bauturm die Vierte Wand einreißen, die das Publikum zu bloßen Zuschauer*innen degradiert. Der Plan war, eine lustvolle, fantastische Reise gemeinsam anzutreten, mit möglichst großer künstlerischer Freiheit. Wissen Sie, unser Dramaturg René Michaelsen ist einer meiner längsten Freunde: Im Theaterkeller des Schiller-Gymnasiums in Köln sind wir miteinander groß geworden. Mit dieser Enge und der direkten Nähe zum Publikum sind wir künstlerisch sozialisiert — und auch das Bauturm ist klein, intim. In vielerlei Hinsicht hat man es hier häufig mit Begrenzung zu tun: finanziell, architektonisch, technisch. Aber von Anfang an stand für uns fest: Platz für Fantasie ist in der kleinsten Hütte. Das ist auch eine Nische, die das Stadttheater mit seinen strukturellen Zwängen den Künstler*innen so gar nicht bieten kann.
Gleichzeitig bedeutet die Arbeit in dieser Nische aber auch Abstriche, etwa wenn es um das Honorar geht. Das stimmt. Allerdings ist unser Theater in dieser Hinsicht noch privilegiert: Wir waren mit Förderungen von Stadt und Land auch während des Lockdowns abgesichert und konnten mit Geld aus Notfalltöpfen Ausfallhonorare zahlen. Interessanterweise ist es erst später, als wir den Abendspielplan wieder einführten, zu Fällen von Überlastung im Team gekommen. Wir haben daraufhin begonnen, uns von einer Coachin schulen zu lassen, wie wir nicht nur gut miteinander arbeiten, sondern auch leben können! Die Texte der Wissenschaftlerin Donna Haraway haben uns dabei sehr geholfen. Sie sagt: Wir leben auf einem versehrten Planeten. Wir sind versehrt. Aber unsere Verantwortung besteht nun darin, Spezies-übergreifend in Eintracht zu leben. Ich finde das sehr inspirierend.
Wir weben alle an diesem leichten, so zerbrechlichen Gewebe, das die Stadt ausmacht, wir verbinden Menschen
Laurenz Leky
Das Theater als Ort der Heilung also? Vor einiger Zeit bin ich auf eine neurologische Studie gestoßen, die untersuchte, was es braucht, damit in einem Dialog beide Seiten etwas verstehen, beide Seiten etwas für sich mitnehmen. Das Ergebnis: Beide müssen das Weiß im Auge des Gegenübers sehen können. Für mich bringt das auf den Punkt, was Präsenzkultur ausmacht. Einer meiner schönsten Momente im Bauturm, fällt mir dabei passenderweise ein, war, als ich für das Stück »Automatenbüffet« Laienschauspieler*innen suchte, die den »Bürgerchor« auf der Bühne darstellen. Ich bin an diesem Tag durch Lindenthal spaziert, hatte gerade eine Zusage von einer in Köln prominenten Person bekommen, und dachte: Wir weben alle an diesem leichten, so zerbrechlichen Gewebe, das die Stadt ausmacht, wir verbinden Menschen, die plötzlich miteinander auf der Bühne stehen. Ich war in diesem Moment sehr glücklich.
Ein schönes Bild. Aber Hand aufs Herz, können Sie sich auch noch an eine Situation in den letzten zehn Jahre erinnern, wo sie dachten, puh, gerade nochmal gut gegangen? Man hat diese Momente, wo man nach Hause kommt und denkt, das war’s jetzt, morgen kommt der Anruf, bei dem dir gesagt wird: »Du arbeitest ja wirklich viel, besser du machst mal eine Auszeit.« Nein, wirklich einer meiner schlimmsten Momente war, als ich über eine schlechte Kritik zu meinem dreistündigen Solostück »Kongo« die Nerven verlor. Ich habe mich für dieses Stück nackt gemacht, auch im wahrsten Sinne des Wortes, und bei einem Pressefrühstück habe ich meinen Unmut über den Verriss aufs Peinlichste kund getan. Ich schäme mich bis heute, aber vielleicht habe ich Glück und der betreffende Journalist liest das nun und nimmt Jahre später meine Entschuldigung an.
Dass man bei einer so intensiven Arbeit Kritik persönlich nimmt, ist aber auch nachvollziehbar. Es war trotzdem unprofessionell. Ich finde, da sind wir wieder bei diesem Prozess, eigene Privilegien zu hinterfragen. Wir als Theaterleiter, alle drei weiße, alternde Männer, alle Europäer, müssen uns in unserer Arbeit auch dieser Selbstreflektion stellen. Privilegien dienen dazu, uns gegen andere abzuschotten, uns zu trennen, uns reicher zu machen. Ich möchte das nicht. Ich möchte das Weiß im Auge meines Gegenübers sehen — und dann auf der Bühne davon erzählen und das Weiß im Auge des Publikums sehen und immer so weiter.
Fr 28.9., Theater im Bauturm, Festakt-Inszenierung, 15, 17.30 und 20 Uhr; Eintritt frei, um Anmeldung wird gebeten unter tickets@theaterimbauturm.de