Dicke Luft

Asthma, Diabetes, Krebs: Luftverschmutzung macht krank.

Kinder, chronisch Kranke und ältere Menschen sind besonders ­gefährdet. Dass die derzeit gültigen Grenzwerte für Luftschad­stoffe knapp eingehalten werden, ist kein Grund zum Ausruhen. Denn die EU hat ab 2030 schärfere Limits vorgeschlagen, die ­derzeit noch massiv überschritten werden. Was tun Politik und Verwaltung, um die Schadstoffe zu reduzieren? Und welchen ­Einfluss hat eigentlich die Industrie?

»Eins, zwei, drei, vier – viereinhalb Meter!«, ruft Christian Döring und geht mit großen Schritten vom Gehweg auf die vorbeirauschenden Autos am Clevischen Ring zu. Der Kinderarzt, der seine Praxis am Hansaring hat, muss fast schreien, damit seine Stimme gegen den Verkehr ankommt: Es ist 9.30 Uhr an einem Dienstag Ende November, die Rushhour ist vorbei, aber noch immer schieben sich Schwertransporter, Busse, Automassen im Nieselregen Richtung Wiener Platz. »Ich gehe davon aus, dass wir hier höhere Luftschadstoff­werte haben als offiziell gemessen«, sagt Döring, der in seiner Freizeit mehrere Organisationen berät, die sich für bessere Luft einsetzen. Er zeigt auf einen beigefarbenen Kasten, der neben dem Gehweg steht, Sensoren ragen in die Höhe: Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucher­schutz (LANUV) hat hier eine von vier Messstationen zur »Luftqualitätsüberwachung« aufgestellt. Hinzu kommen 16 »Passivsammler«, das sind kleine, mobile Messgeräte, an anderen Verkehrs-Hotspots stadtweit. An diesem Morgen liegt der Wert für Stickstoff­dioxid — eine Sammelbezeichnung für Sauerstoffverbindungen mit Stickstoff, die bei Verbrennungs­prozessen entstehen — bei 38 Mikrogramm, knapp unterhalb des derzeit verbindlichen EU-Grenzwerts von 40. Zu den Messungen hat sich Deutschland international verpflichtet, weitere Luftschadstoffe wie Feinstaub werden hier täglich aufgezeichnet. Vor allem der Straßenverkehr ist in Städten Hauptverursacher der Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid und Feinstaub. Daneben zählen Industrie und  Landwirtschaft, aber auch Schifffahrt, Flug­häfen, Kaminöfen oder Holzkohlegrills zu den Emittenten.

Laut EU-Vorgabe müssen die Schadstoffe an der Stelle gemessen werden, an der die höchste Konzentration vermutet wird. Der Clevische Ring kurz vorm Wiener Platz war jahrelang einer der Schadstoff-Hotspots in ganz NRW, hier laufen die Bundesstraßen 8 und 51 auf ehemals fünf Spuren zusammen. Wegen Sanierungs­arbeiten ist eine Abbieger-Spur auf die Mülheimer Brücke seit 2019 gesperrt und die vom Norden kommende Fahrbahn mittlerweile zwei- statt dreispurig.

Ein weiteres Mal stapft Christian Döring mit großen Schritten auf die Luftmessstation zu und zählt dabei laut: »Fast fünf Meter! Soweit ist die Messstation wegen der Baumaßnahme jetzt von den Autos entfernt! Früher stand sie direkt daneben«, sagt Döring. Für ihn ist das eine »Verwässerung«. Mit einer wissenschaftlichen Berechnungshilfe der britischen Regierung, die das Abfallen des Stickstoffdioxinwertes durch Distanz berücksichtigt, hat er deshalb nochmal nachgerechnet. »Wenn ich den durchschnittlichen Jahreswert am Clevischen Ring von 35 Mikrogramm als Grundlage nehme, komme ich auf einen korrigierten Wert von 43. Das liegt aber über dem EU-Grenzwert«, sagt Döring und blättert in Tabellen, Rechenmodellen und Entwicklungskurven. »Damit wird zwingend ein effektiver Luftreinhalteplan zum Schutz der Kindergesundheit notwendig.«

In seiner Kinderarztpraxis sehe er auffällig häufig Kinder mit Bronchitis, Lungenentzündung oder Asthma, sagt Döring. »Die schlechte Luft spielt da eine große Rolle«, so der Kinderarzt. »In der Eifel könnte jedes Kind statistisch gesehen mehrere Zigaretten am Tag rauchen und käme auf die gleiche Schadstoffbelastung, die man am Hansaring automatisch abbekommt.« Auch weitere Forschungsarbeiten über Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid hat Döring auf Köln übertragen: »Ich gehe pro Jahr von 400 Asthma-Neuerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren aus, die nur auf  die Stickstoffdioxid-Belastung zurückzuführen sind.« Dafür hat er die Ergebnisse als Grundlage genommen, bei der die renommierte britische Medizinzeitschrift The Lancet Asthma-Neuerkrankungen durch Stickstoffdioxid in Köln errechnet hat. Das Kölner Gesund­heits­amt dagegen konnte auf Anfrage der Stadt­revue keine Zahlen zu umweltinduzierten Atemwegserkrankungen nennen: »Da es um Atemwegs­erkrankun­gen geht, die durch Luftverschmutzung induziert sind, liegen uns keinerlei Erkenntnisse oder Zahlen vor.« Erfasst würden lediglich virenbedingte Atemwegserkrankungen wie RSV und Covid.

Die Stadt muss einen ­effektiven Luftreinhalte­plan zum Schutz der Kinder ­aufstellen Christian Döring, Kinderarzt


Luftverschmutzung macht krank, das bestätigen zahlreiche Studien. Kinder, ältere Menschen und chronisch Erkrankte sind besonders gefährdet. Vor allem Ozon, Feinstaub und Stickstoffdioxid können Erkrankungen am Herzen, Schlaganfälle, chronische Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD, Diabetes und Krebserkrankungen auslösen. Auch Demenz und negative Auswirkungen auf das Wachstum von Föten sind in Studien dokumentiert. Laut einer Studie des Forschungsinstituts International Council on Clean Transportation (ICCT), das Umweltschutzorganisationen nahe steht, aus dem Jahr 2019 sind Feinstaub und Ozon, die auf Verkehr zurückzuführen sind, jährlich für 13.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland verantwortlich. Der Studie zufolge landet Deutschland weltweit auf dem vierten Platz hinter China, Indien und den USA, die Sterberate in Deutschland ist demnach fast doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Stuttgart, Berlin und auch Köln zählen laut der Untersuchung zu den Top-Ten-Städten weltweit mit der höchsten Sterberate.

Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Feinstaub­partikel, desto gefährlicher. Der ultrafeine Fein­staub dringt in Lunge, Blutbahn, Organe und damit auch in die Zellen. »Wenn ein Kind nach einer Schwangerschaft an einer vielbefahrenen Straße geboren wird, dann sehen wir am Nabelschnurblut, dass diese Gifte dort angekommen sind, ohne dass das Kind geatmet hat«, sagt Ernst Rietschel, Leiter der Kinder-Pneumologie und Allergologie an der Kölner Uniklinik. »Wir gehen davon aus, dass der Anteil der Kinder mit geringem Geburtsgewicht und auch das Risiko, später an Asthma zu erkranken, dadurch deutlich erhöht wird.« Im Namen der Kinder fordert Rietschel strengere Grenzwerte: »Kin­dernasen atmen die höchste Konzentration ein, sie sind dem Auspuff viel näher.« Die Sensoren der Luftmessstationen werden jedoch in einer Höhe von rund drei Metern aufgehängt, um die Geräte vor Vandalismus zu schützen. »An einem nebligen Tag wie heute dauert es, bis die Luft­schadstoffe dort ankommen, die Konzentration ist dann verdünnt,« erklärt Rietschel. Studien zufolge sei die Wahrscheinlichkeit, an Asthma zu erkranken, um 58 Prozent erhöht, wenn die Kinder an Straßen mit hoher Feinstaubbelastung aufwachsen, so der Kinder-Pneumologe. »Das ist eine bedeutende Zahl. Gerade in den Städten, wo der Verkehr der Hauptverursacher ist, hat die Politik das Ausmaß der Luftverschmutzung in der Hand«, sagt Rietschel und zählt wirksame Maßnahmen auf: Autofreie oder zumindest autoarme Innenstädte, Zonen nur für E-Autos vergleichbar mit der bisher gültigen Umweltzone, moderne Heizungen und Kamine, Tempobeschränkungen.


Aber auch die Schadstoffe, die von der Industrie ausgestoßen werden, sind nicht zu unterschätzen. Der Stadtrevue liegen Daten über die Industrieemissionen für die Jahre 2007-2021 vor, die das Recherchebüro Correctiv gemeinsam mit dem Europäischen Umweltamt ausgewertet hat. In diesem Zeitraum hat sich etwa der Ausstoß von CO2 auf dem Kölner Stadtgebiet kaum verringert — von 6,8 Mio. Tonnen im Jahr 2007 auf 6,6 Mio. Tonnen im Jahr 2021, ein Minus von etwa drei Prozent. Der Ausstoß von Stickoxiden ist im gleichen Zeitraum um 23 Prozent gesunken, von 5400 auf 4200 Tonnen. Bei Schwefeloxiden ist der Rückgang sogar noch stärker: von 4400 auf 1600 Tonnen, ein Rückgang von fast 77 Prozent. Und die Feinstaub-Emissionen sind im gleichen Zeitraum so stark gesunken, dass sie ab 2010 unterhalb der Schwelle lagen, laut der sie den Behörden gemeldet werden müssen.

Das klingt wie eine Erfolgsgeschichte, aber auch gesunkene Emissionen haben ihren Preis. Die Europäische Umweltagentur hat berechnet, welche Kosten die Luftverschmutzung für die deutsche Wirtschaft verursacht, etwa weil Menschen früher sterben, die Umwelt verschmutzt oder das Gesundheitssystem belastet werden. Insgesamt geht sie für das Jahr 2017 von rund 60 Milliarden Euro Kosten aus, auf die Industrie im Kölner Stadtgebiet entfallen dabei 932,19 Mio. Euro. Den größten Anteil daran hat das Chemie-Unternehmen Ineos, das im Kölner Norden an der Grenze zu Dormagen angesiedelt ist, dann folgen die verschiedenen Standorte der Rheinenergie und die Anlagen von Shell an der südlichen Stadtgrenze.

Je mehr ein Chemiewerk, eine Raffinerie oder ein Kraftwerk produzieren, desto mehr Schadstoffe stoßen sie aus. Das heißt es zumindest zu Beginn unserer Gespräche mit den einzelnen Unternehmen. Aber der Blick in die Daten zeigt, dass dies nur eine grobe Faustregel ist. Der Schadstoffausstoß der Industrie auf dem Stadtgebiet hat sich sehr unterschiedlich entwickelt. Shell etwa hat es geschafft, den Ausstoß von CO2, Schwefeloxiden und Stickoxiden über den gesamten Zeitraum von 2007 bis 2021 zu senken. Nach Auskunft des Unternehmens liegt dies an verschiedenen technischen Umrüstungen, wie der Umstellung von Brennstoffen auf Gas. 2012 betreibt Shell in Wesseling ein Kraftwerk mit Entstickungs- und Entschwefelungsanlage, was sich in einer deutlichen Reduzierung der Schwefeloxid-Emissionen zeigt. Betrugen diese 2007 noch 2830 Tonnen, machten sie 2021 nur noch 354 Tonnen aus. Die Emissionen von Stickoxiden sanken im gleichen Zeitraum von 1630 Tonnen auf 960 Tonnen jährlich, die CO2-Emissionen von 1,76 Mio. auf 1,41 Mio. Tonnen — eine weitaus geringere Reduktion. 

Es ist leicht festzustellen, wo die Industrie ­Schadstoffe ausstößt, aber schwer heraus­zufinden, wo diese wieder eingeatmet werden

Bei der Rheinenergie zeigt sich ein ähn­liches Bild. So sanken im Untersuchungszeitraum die Stickoxidemissionen von 1106 Tonnen im Jahr 2007 auf 621 Tonnen, die CO2-Emissionen sind jedoch nahezu gleich ge­blieben. Dahinter steckt laut Aussage der Rheinenergie die Verlagerung der Stromerzeugung vom Heizkraftwerk in der Südstadt ins Heizkraftwerk Niehl, wo ab dem Jahr 2016 eine neue Anlage in Betrieb genommen wurde. Sie wird mit Gas anstelle von Kohle betrieben, laut Rheinenergie führt dies zu weniger Emissionen, was sich allerdings nicht beim CO2-Ausstoß des Unternehmens bemerkbar macht.

Das klingt nach guten Nachrichten, aber sie sind es nur bedingt. Die EU hat gerade eine Ratifizierung der Industrieemissionsrichtlinie auf den Weg gebracht, die scharf kritisiert wird, weil sie den Bürger:innen wenig Klagemöglichkeiten gegen illegalen Schadstoff-Ausstoß an die Hand gibt und die Regeln für den Schadstoff-Ausstoß in der Landwirtschaft stark verwässert hat. Christian Schaible vom Europäischen Umweltbüro spricht deshalb bereits von einer »verlorenen Dekade« für die Reduzierung von Luftverschmutzung.

Generell hat die EU ihre Mitgliedsstaaten bereits angewiesen, die Emissionen deutlich zu reduzieren. Doch wie wenig dort passieren wird, wird im Gespräch mit der Rheinenergie deutlich. Ein Sprecher erklärt gegenüber der Stadtrevue, die Anlagen genössen juristischen Bestandsschutz, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Genehmigungsdatums der Anlage seien weiterhin gültig. Neue Grenzwerte werden also nicht automatisch dazu führen, dass bestehende Anlagen nachgerüstet werden müssen.

Hinzu kommt, dass es schwer ist, genau nachzuweisen, wie groß der Anteil von Emissionen einer einzelnen Industrieanlage an der Schadstoffbelastung ist. Es ist leicht festzustellen, wo die Schadstoffe der Industrie ausgestoßen werden, aber schwer herauszufinden, wo sie wieder eingeatmet werden. Das NRW-Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucher­schutz (LANUV) nutzt ein Berechnungsverfahren, um dies zu modellieren. Dennoch sind viele Unbekannte im Spiel, wie an den Messdaten für den Clevischen Ring in Mülheim deutlich wird. 2019 hat das LANUV analysiert, welcher Art die dort gemessenen Schadstoffe sind. Nur drei Prozent können dabei direkt der Industrie zugeordnet werden. Ein weitaus größerer Posten ist die sogenannte Hintergrundbelastung, die 21 Prozent der Schadstoffe ausmacht. »Diese Schad­stoffe lassen sich nur schwer direkt einer Quelle zuordnen«, sagt Dr. Ute Bellahn. Die promovierte Chemikerin ist bei der Bezirks­regierung Köln für Immissionsschutz und anlagenbezogenen Umweltschutz zuständig. »Sie werden etwa in England oder Belgien emittiert und ziehen über den Ärmelkanal über Köln hinweg. Aber auch Schadstoffe aus dem Braunkohlekraftwerk Weisweiler würde man darunter subsumieren.« Laut LANUV herrscht in Köln vorwiegend Westwind, was bedeutet, dass die Schadstoffe, die in Köln gemessen werden, westlich der Stadt ausgestoßen werden.

Westlich des Stadtgebiets — das meint vor allem die Standorte der RWE-Kraftwerke in Bergheim und Grevenbroich. In Bergheim liegt das Kraftwerk Niederaußem, das laut Euro­päi­schem Umweltamt 2017 3,61 Mrd. Euro an Gesundheitskosten verursacht hat. In Grevenbroich haben im gleichen Jahr das Kraftwerk  Neurath 3,78 Mrd. Euro und das mittlerweile abgeschaltete Kraftwerk Frimmersdorf 455,01 Mio. Euro an Kosten verursacht.

Auch bei RWE sind die Emissionen der Anlagen zwischen 2007 und 2021 tendenziell rückläufig, egal, ob es sich um Stickoxide, Feinstaub oder Schwefeloxide handelt. Als Grund nennt das Unternehmen auf Anfrage eine Reihe von technischen Maßnahmen — Elektrofilter für Feinstaub, niedrige Verbrennungstemperaturen für die Senkung der Stickoxide und die nasse Rauchgas-Entschwefelung für Schwefeldioxid.

Auch die CO2-Emissionen sinken tendenziell, allerdings mit einigen Unregelmäßigkeiten. So fallen an allen Standorten die Emissionen im Jahr 2019 auffällig stark, im Folgejahr ebenfalls, 2021 steigen sie aber wieder. In Grevenbroich ist zudem noch ein anderer Effekt auffällig. Seit 1926 nutzt RWE hier Kohle zur Stromerzeugung. In den späten 50er Jahren ging das Kraftwerk Frimmersdorf ans Netz, 1972 die ersten Blöcke des Kraftwerks Neurath. Beide Anlagen wurden lange parallel betrieben, ab 2011 wurde Frimmersdorf dann abgeschaltet, bis es ab 2017 nur noch als »Sicherheitsbereitschaft« diente. 2011 lagen die kombinierten CO2-Emissionen beider Anlagen bei 34,8 Mio. Tonnen, im Folgejahr sanken sie in Frimmersdorf, stiegen aber überproportional in Neurath an, als dort neue Blöcke ans Netz genommen wurden. Das Resultat: die kombinierten CO2-Emissionen steigen auf 40,2 Mio. Tonnen. Erst 2017, als Frimmersdorf endgültig vom Netz genommen wird, sinken sie unter den Wert von 2011. Als der menschengemachte Klimawandel längst wissenschaftlicher Konsens ist, hat RWE  seine CO2-Emissionen also noch einmal gesteigert. Auf unsere Anfrage, wie es zu diesen Schwankungen kam, antwortet RWE: Der »flexible Einsatz« der Kraftwerksblöcke sei dafür verantwortlich.

»Die einzige Stellschraube der Politik, um die Luft in Köln zu verbessern, ist der Verkehr«, sagt Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Saar weiß, wovon sie spricht. 2015 hat die DUH Klage gegen die Bezirksregierung eingereicht, um die Luftqualität in Köln zu sichern. Es ist ein Instrument, das allen Bürger:innen offensteht. Denn sie alle können beim LANUV eine Prüfung der Luftqualität und damit das Aufstellen einer Messstation beantragen. Aufgestellt werden aber nur ein paar, und zu Maßnahmen führen nur die wenigsten — die Grenzwerte sind zu hoch, sagen Expert:innen. »Unter 20.000 Autos am Tag ist das eher nicht der Fall«, sagt Ute Bellahn von der Bezirksregierung Köln. »Und auch dann müssen die Straßen sehr eng und geschlossen bebaut sein.« Ansonsten ver­wehen die Schadstoffe, und die Konzentration sinkt schnell.

Bellahn war mittendrin im Streit zwischen Land, Stadt Köln und DUH. Sobald bestimmte Messwerte überschritten sind, wendet sich das LANUV an das Umweltministerium und dieses beauftragt die Bezirksregierung, damit sie einen Luftreinhalteplan aufstellt. Dafür muss die Behörde die Akteur:innen an einen Tisch bringen, neben dem Landesamt ist das noch die Stadt Köln, manchmal auch die Polizei. In dieser Runde wird dann über Maßnahmen zur Luftreinhaltung verhandelt. »Umsetzen können die Maßnahmen nur die Kommunen selbst«, sagt Ute Bellahn, »wir kontrollieren dann, was sie gebracht haben.« Dabei gibt es viele Hindernisse: Verkehrsplaner:innen, die geeignete Maßnahmen wie Einbahnstraßen, Tempolimits oder die Verringerung von Fahrspuren mit Verweis auf den Verkehrsfluss ablehnen. Aber auch das Straßenrecht, das Kommunen nicht immer viel Spielraum einräumt. Erst Ende November wurde ein Gesetzesentwurf im Bundesrat abgelehnt, der Kommunen mehr Möglichkeiten geben sollte, damit sie leichter Spielstraßen, Busspuren oder Tempo-30-Zonen einrichten können. Zwei bis drei Jahre habe daher das Aufstellen des Luftreinhalteplans für das Jahr 2019 gedauert, sagt Bellahn.

Aber auch solche Pläne stoßen an ihre Grenzen. Nachdem 2012 bereits ein Luftreinhalteplan verabschiedet wurde und die ersten Maßnahmen daraus umgesetzt waren, sanken die Schadstoffwerte kaum. »Der Grund waren die Dieselfahrzeuge«, sagt Bellahn und zeigt eine Powerpoint-Folie, auf der die Stickstoff­dioxid-Emissionen der verschiedenen Dieselklassen verzeichnet sind. In allen Klassen außer 6D liegen sie höher als die Grenz­werte. Und tatsächlich stand Köln wegen der Klage der DUH lange kurz vor einem Dieselfahr­verbot für Teile der Innenstadt. Erst die Umstiegsprämien der Autohersteller und die damit verbundene Erneuerung der Autoflotte haben Besserung gebracht: Seit 2020 liegen laut LANUV die Stickstoffdioxidwerte im gesamten Stadtgebiet unter den Grenzwerten. Im gleichen Jahr einig­ten sich auch DUH, Bezirksregierung und Stadt Köln auf einen Kompromiss: So sollen etwa alle Stadtteile Radverkehrskonzepte bekommen, die Nord-Süd-Fahrt, die Ringe und die Hauptrouten in allen Stadtteilen sollen Radwege erhalten, Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet geprüft werden. Andere Maßnahmen waren zum Zeitpunkt des Vergleichs bereits eingeführt, etwa ein Durchfahrverbot für LKW, die nicht der Abgasstufe Euro VI entsprechen, oder die Umwandlung von Autoparkplätzen zu Fahrradstellplätzen. »Ohne die Klagen der DUH wäre das so schnell nicht gekommen«, sagt Ute Bel­lahn heute.

Aber bald könnte all das wieder von vorne losgehen. Denn die Grenzwerte der Luftschadstoffe werden herabgesetzt. Weil die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftschadstoffe deutlich größer sind als angenommen, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits 2021 neue Schadstoff-Grenzwerte verabschiedet, die mindestens eine Halbierung der Werte für Feinstaub und Stickstoffdioxid vorsehen. Der WHO-Grenzwert — allerdings nur eine Leit­linie und kein gültiges Recht — bei Feinstaub PM 2,5 wurde auf 5 Mikrogramm halbiert, bei Stickstoffdioxid von 40 auf 10 Mikrogramm abgesenkt. Die rechtlich bindenden EU-Werte sind jedoch um ein Vielfaches höher als medizinisch empfohlen: Der Grenzwert für Stickstoffdioxid liegt derzeit mit 40 Mikrogramm viermal höher, bei PM 2,5 mit 25 Mikrogramm sogar fünfmal höher.

Es hat eine Klage gebraucht, damit die Stadt schwungvoller agiertRalF Unna (Grüne)

Kürzlich beschloss die EU, die Grenzwerte ab 2030 ebenfalls zu reduzieren: Von 40 auf 20 Mikrogramm bei Stickstoffdioxiden, von 25 auf 10 bei Feinstaub — auch diese zukünftigen Werte sind noch immer doppelt so hoch wie die Grenzwerte der WHO. »Wenn die EU sich auf Grenzwerte ­einigt, sitzen Politiker mit am Tisch. Da geht es auch darum, was politisch umsetzbar ist«, sagt Kinder-Pneumologie Ernst Rietschel. »Medizinisch und wissenschaftlich angezeigt sind die WHO-Werte.«

»Nur weil man haarscharf unter dem viel zu hohen EU-Grenzwert liegt, braucht man sich wahrlich nicht zurückzulehnen«, sagt Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe. Den aktuellen Status Quo und auch den zukünftigen EU-Grenzwert hält sie für einen »Zwischenschritt«: »Wir wissen, dass auch Konzentrationen unterhalb dieser Grenzwerte krank machen können. Daher fordern wir, dass die WHO-Werte als Maßstab gelten. Da müssen Köln und auch alle anderen Städte noch einiges tun.«

In der Kölner Politik scheint das jedoch kein großes Thema zu sein. Im Gesundheitsausschuss seien andere Themen beherrschend, vor allem Corona, die Situation der Kölner Kliniken, oder die medi­zinische Versorgung von Geflüchteten, sagt der Ausschutzvorsitzende Ralf Unna (Grüne). »Man kann sich nicht nur auf den technischen Fortschritt verlassen und hoffen, dass die Time­line es richten wird«, mahnt Unna, der selbst Asthmatiker ist. Die einzige Mög­lichkeit sei, den Verkehr dauerhaft zu reduzieren, denn auch E-Autos produzierten Schad­stoffe durch Abrieb. »Wir brauchen eine richtige Verkehrswende und das müssen endlich alle verstehen«, sagt der Veterinärmediziner. Natürlich sei es positiv, dass die Luftqualität besser geworden sei, aber: »Es hat eine Klage gebraucht, damit die Stadt schwungvoller agiert.« Aus gesundheitspolitischer Sicht müsse es noch schneller besser werden, vor allem, um die sozialen Unterschiede abzufedern und die Menschen in benachteiligten Stadtteilen zu schützen. »Die Emissionen in Marienburg und Lindenthal sind deutlich geringer als in den dicht bebauten Stadtteilen mit wenig Grün und wenig Luftschneisen.« Unna erwartet, dass die Verwaltung bei dem Thema von sich aus aktiv werde: »Immerhin hat der neue Verkehrsdezernent ein offenes Ohr.«

Neben Bund und Land fällt das Thema »Luftverschmutzung« in den Zuständigkeitsbereich von drei Kölner Dezernaten: Gesundheit, Umwelt und Verkehr. Bei Nachfragen wird oft auf das jeweils andere Dezernat verwiesen — oder gleich auf die übergeordnete Behörde: »Die Luftreinhalteplanung liegt in der Zuständigkeit des Landes. Die Stadt Köln wird bei fest­gestellten oder absehbar erkennbaren Überschreitungen in die Maßnahmenplanung im Rahmen der Fortschreibung der bestehenden Luftreinhaltepläne einbezogen. Seit 2020 werden die gültigen Grenzwerte an allen Mess­stellen in Köln eingehalten«, sagt ein Stadtsprecher auf Anfrage. Die Stadt verweist auf laufende Projekte wie »Green City Masterplan«  und den »Nachhaltigen Mobilitätsplan«, um verkehrliche Emissionen zu verringern.

In Frankfurt am Main wurde dagegen Anfang November in den Nebenstraßen der Innenstadt Tempo 20 eingeführt. In Köln sieht die Stadt in den Nebenstraßen kaum noch Potenzial für eine Ausweitung von Tempobeschränkungen: »Die streckenbezogene Anordnung von Tempo 30 ist derzeit nur in besonderen Fällen möglich, beispielsweise rund um schützenswerte Einrichtungen, etwa Kitas, Schulen, Seniorenheime, oder zum Schutz vor Lärm und Abgasen bei nachgewiesener Überschreitung von Grenzwerten.« Schon jetzt gäbe es mehr als 400 Tempo-30-Zonen in Wohngebieten. Ein Tempolimit reduziere zudem die Attraktivität des Busverkehrs, auch müssten Ampelanlagen umgestellt werden, um keine zusätzlichen Emissionen durch Anhalten und Abfahren zu produzieren. Aber sollte das nicht recht einfach zu lösen sein?

Seit 2019 gilt in Köln eine erweiterte, 137 Quadratkilometer große Umweltzone. In fast allen Stadtteile zwischen Militärring und A3 dürfen nur Fahrzeuge mit einer grünen Plakette fahren. Welche Auswirkungen werden die die halbierten EU-Grenzwerte haben? »Die Umweltzonenregelung für Köln wäre bei drohender Grenzwertüberschrei­tung mit verschärfter Regelung und gegebenen­falls modifizierter Abgrenzung zu diskutieren«, sagt ein Stadtsprecher.

Aber schon heute dürfte sicher sein, dass die neuen Grenzwerte überschritten werden. ­Warum, das steht auf einer anderen Folie von Ute Bellahn, die die Jahreswerte aller Kölner Messstationen zeigt. Nur eine davon, in Chor­weiler, lag 2022 unter den zukünftigen EU-Grenz­werten.

Neue Maßnahmen, um Schadstoffe zu reduzieren, werden nicht so schnell kommen. Es braucht Zeit, sie zu entwickeln und rechtssicher zu machen. Und dann wird es noch weitere Zeit dauern, bis ihre Auswirkungen spürbar werden. Ab 2030 sollen die neuen Grenzwerte gelten. Das LANUV rechne damit, dass spätestens ab 2026 eine neue Luftreinhalteplanung fällig sei, sagt Ute Bellahn von der Bezirksregierung. »Man muss sofort loslegen, sonst bleibt das Ziel in weiter Ferne«, sagt Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe. »Wenn es soweit ist, werden wir die Einhaltung der Grenzwerte sehr genau beobachten und uns auch vor einer erneuten Klage nicht scheuen.« Spätestens dann dürfte in Köln noch mehr dicke Luft herrschen.

 

Die Schadstoffe:

Feinstaub (PM10, PM2,5, UFP)

Unter Feinstaub, auf Englisch »Particulate Matter« (PM), versteht man Schweb­stoffe, die nicht sofort zu Boden sinken, sondern eine bestimmte Zeit in der Luft bleiben. Feinstaub wird nach Größe eingeteilt: PM10 sind Partikel, die kleiner als 10 μm (Mikrogramm) sind, PM2,5 kleiner als 2,5 μm. Ultrafeinstaub (UFP) sind Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 μm. Wegen der geringen Größe können die UFPs bis in die Lunge und in die  Zellen vordringen. Sie stehen im Verdacht, die Gesundheit stärker zu gefährden als die größeren Partikel. Die wichtigste Quelle in der Stadt ist der Verkehr (Verbrennungsmotoren, Reifen-, Straßen- und Bremsabrieb). Weitere Verursacher sind Indus­trie, Landwirtschaft, Kraft- und Fernheizwerke, Abfall­verbrennungsanlagen. Die WHO fordert ein Limit von 5 μm, der aktuell verbindliche EU-Grenzwert liegt dagegen bei 25 μm. 2030 soll er auf 10 μm verschärft werden.

Kohlendioxid CO2
CO2 ist eine Verbindung aus Kohlenstoff und Sauer­stoff. Es ist Teil des natürlichen Kohlenstoffzyklus, aber durch die menschliche Verbrennung fossiler Brennstoffe weit darüber hinaus in der Atmosphäre vertreten. Auf die Gesundheit wirken CO2-Emissionen mittelbarer als andere Stoffe: Sie beschleunigen den Klimawandel. Damit gehen direkte erhöhte Belastungen wegen Hitze einher. Die gestiegene UV-Strahlung wiederum steigert das Risiko von Hautkrebs. Aber auch der Pollenflug nimmt zu und somit auch die Belastung für Allergiker:innen. Die CO2-induzierte Klimaerwärmung ist zudem mit­ver­ant­wort­­lich für eine höhere Belastung mit Luftschadstoffen wie Feinstaub, Stickoxiden oder Schwefeloxiden, die zu einer Steigerung von Atemwegs­erkrankungen führen können. Kohlendioxid wird nicht von den Messstationen im ­Kölner Raum erfasst, da es sich in der Atmosphäre befindet.

Stickoxide NOX
Stickoxide (NOX) ist ein Sammelbegriff für gasförmige Verbindungen, die bei Verbrennungsprozessen aus Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) entstehen. Die beiden wichtigsten Verbindungen sind Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Stickoxide sind für die sommerliche Ozonbildung mit verantwortlich und tragen auch zur sekundären Feinstaubbildung bei. In Städten ist der Straßenverkehr die Hauptquelle, hinzu kommen Feuerungsanlagen für Kohle, Öl, Gas, Holz, Abfälle. Hohe NO2-Werte werden an viel­befahrenen Straßen gemessen, vor allem rund um Ampelanlagen. NO2 gilt auch als Indikator für weitere verkehrsabhängige Schadstoffe wie Ultra­feinstaub oder Ruß. Derzeit liegt die Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei 10 μm, der aktuell verbindliche EU-Grenzwert ist viermal so hoch. 2030 soll der EU-Grenzwert auf 20 μm halbiert werden.

Ozon
Ozon (O3) ist ein giftiges Gas, das in der Atmosphäre in einer Höhe von 20 bis 30 Kilometern eine natürliche Ozonschicht bildet und die Erde vor der schädlichen Ultraviolettstrahlung der Sonne schützt. In Bodennähe entsteht Ozon in den Sommermonaten bei Sonne durch chemische Prozesse aus anderen Schadstoffen,
vor allem aus Stickoxiden. Ozon ist damit ein »sekundärer« Luftschadstoff. Für die Ozonkonzentration gibt es eine »Informationsschwelle« von 180 µg/m3 (1-Stunden-Wert), bei der die Bevölkerung über die Medien informiert werden muss, und eine »Alarmschwelle« von 240 µg/m3 (1-Stunden-Wert). 120 Mikrogramm pro Kubikmeter als 8-Stunden-Mittel darf höchstens 25 Mal pro Jahr überschritten werden (gemittelt auf drei Jahre). Der Wert wird in Chorweiler und in Rodenkirchen überwacht. In Chorweiler ist 2022 dreimal die Informationsschwelle überschritten worden, in Rodenkirchen viermal. Der 8-Stunden­wert wurde in Chorweiler an 23 Tagen überschritten (an 19 Tagen im 3-Jahres-Mittel), in Roden­kirchen an 19 Tagen (an 15 Tagen im 3-Jahres-Mittel).