»Ich bin auf dem richtigen Weg«
Fünfunddreißig Jahre lang war Hans Mörtter evangelischer Pfarrer in der Südstadt. Seine Gottesdienste in der Lutherkirche waren immer gut besucht, seine unkonventionelle Art begeistert auch Menschen, die mit Kirche nichts zu tun haben. Auch Mörtters soziales Engagement ist erfolgreich. Er engagiert sich für Geflüchtete und Obdachlose, unterstützt aber auch die Anliegen von Künstlerinnen oder Gastwirten, etwa während der Corona-Pandemie.
Zum Gespräch bittet Mörtter mittags in seine Lieblingskneipe in der Südstadt. Am Eingang steht lustlos rauchend ein bekannter Kabarettist und lässt sich von einem Passanten, der von der anderen Straßenseite herüberruft, zu einer Tirade über den FC hinreißen. Drinnen sitzen Gäste vor ihrem Kaffee, einer hat das ergraute Haar zum Zopf gebunden. Auf eine Deckenverstrebung sind Porträts von Prominenten des Veedels gemalt, auch Hans Mörtter ist darunter. Es scheint, die Wirklichkeit übertreibt es hier etwas mit dem Südstadt-Klischee.
Draußen schließt Hans Mörtter gerade sein Fahrrad an. Er hat sich verspätet. Zur Begrüßung sagt er im typischen sonoren Bariton: »Nicht ganz pünktlich ... eine Schwäche von mir«. Man kann das auch so verstehen: Man muss mich nehmen, wie ich bin. Das wird deutlich, wenn man mit ihm zweieinhalb Stunden zusammensitzt. Aber: Er nimmt auch andere so, wie sie sind. Nur so gelingt es ihm, die unterschiedlichsten Menschen zusammenzubringen, Gemeinschaft zu bilden, soziale und karitative Projekte anzustoßen.
Man kann sich Mörtter gar nicht anders als unter Leuten vorstellen. Wenn er von sich erzählt, fließen immer persönliche Geschichten von anderen Menschen ein. Dass man alle Namen kennt, scheint er vorauszusetzen, manchmal nennt er nur Vornamen. Mörtter kennt im wahrsten Sinne Gott und die Welt. Natürlich ist er, 1955 in Bonn geboren, auch Karnevalist. Und so beginnt auch die Geschichte, um die es hier geht, im Karneval. Bei seiner diesjährigen Rede zur Nubbelverbrennung ließ Mörtter durchblicken, er werde sich auf das Amt des Oberbürgermeisters bewerben. Dass er nach seiner Entpflichtung als Pfarrer im September 2022 wirklich »im Ruhestand« sein würde, hat niemand erwartet. Dass er Oberbürgermeister von Köln werden will, auch nicht. »Ich selbst schon mal gar nicht«, sagt er und lacht. Darüber nachgedacht habe er zwar, rund zwei Jahre, »aber eher ablehnend.«
Nun aber fühlt er sich in seiner Entscheidung bestätigt: »Jeder haut mich an, egal, wo ich bin.« Ist das ein gutes Gefühl? »Ja, denn ich merke, ich bin auf dem richtigen Weg. Und das nehmen auch die Leute in den oberen Politiketagen ernst.« Tatsächlich hat seine Entscheidung dort für Aufsehen gesorgt. Einen charismatischen Kandidaten wie ihn suchen alle. Mit einer Partei im Rücken stünden seine Chancen gut. Mörtter wäre ein Zugpferd. Er aber lasse sich vor keinen Wagen spannen, sagt Mörtter. Stattdessen bildet er ein Team, das ihn unterstützt. Ein Programm hat er noch nicht, das kommt im Herbst. Aber für viele scheint allein schon seine Person Programm zu sein.
Das Handy hat er auf den Tisch gelegt, aber von sich weggeschoben. Es bimmelt einige Male, aber nur einmal geht er ran, weil man ihn darum bittet. Mörtter hat seine Lederjacke abgelegt, er trägt Pullover mit weißem Hemd darunter. Die Arme hat er oft verschränkt, und doch ist er zugewandt. Er sagt dann: »Ich möchte noch mal auf Ihre vorherige Frage zurückkommen«, oder: »Sie hatten da eben noch einen Punkt, den wir nicht besprochen haben.« Wenn es um sozialpolitische Fragen geht, lässt er auch mal eine Hand auf die Tischplatte fallen, seine Stimme aber bleibt selbst beim engagierten Reden ruhig. Man kann ihm gut zuhören, nie hat man das Gefühl, er habe sich die Antwort auf naheliegende Fragen zurechtgelegt.
Sein Ziel, die Lage benachteiligter Menschen zu verbessern, dürfte nicht bloß im linksalternativen Millieu Zustimmung finden, denn die sozialen Probleme werden in Köln immer drängender, etwa die Wohnungsnot. »Die paar Sozialwohnungen, die Köln schafft, sind lächerlich. Wir müssen auch wieder Hochhäuser bauen.« Kritisch blickt er auch auf den geplanten neuen Stadtteil Kreuzfeld im Kölner Norden. »Das liest sich alles wie eine grüne Utopie, aber die Mieten, die da gezahlt werden müssen, kann sich eine Verkäuferin nicht leisten.« Auch solle Köln mehr Lebensqualität bieten, was für Mörtter bedeutet: weniger Autoverkehr, mehr Plätze für Gemeinschaft, die Kölner Ringe sonntags autofrei — aber auch eine neue U-Bahn auf der Ost-West-Achse, eine verkehrspolitisch höchst umstrittene Idee. Mörtter aber sagt, er habe seine Meinung nach vielen Gesprächen geändert. Oberirdisch könnten neue Plätze für Menschen entstehen, der Tunnel führe zur Entsiegelung der oberirdischen Flächen.
Ein Programm hat Hans Mörtter noch nicht, das kommt im Herbst. Aber für viele scheint schon seine Person Programm zu sein
Ein wichtiges Thema ist für ihn auch die Stadtverwaltung. Deren Reform — mehr Effizienz, mehr Bürgernähe — war das große Projekt von OB Henriette Reker, es gilt vielen als gescheitert. Wie will Mörtter, der kein Verwaltungsfachmann ist, es schaffen? »Ich kenne Verwaltung«, erwidert er. »Ob Kirchenverwaltung oder Kommune — Verwaltung tickt immer gleich: Bedenken haben und sagen, was nicht geht. Das gehört auch zum Job. Aber es wird zu schnell etwas in Frage gestellt. Dann heißt es: Das haben wir noch nie so gemacht.« Mörtter will das ändern. »Niemand darf mehr Angst haben, einen Fehler zu machen.« Er blickt auch hier nicht nur auf Strukturen, sondern auf den Menschen. Bei seinen Einsätzen als Notfall-Seelsorger bei der Feuerwehr habe er etwas bemerkt: dass er oft gar nichts sagen oder tun brauche. »Ich war im Raum, und die Menschen merkten: Jetzt kommt einer, der hilft. Das spüren die Leute, ohne dass ich etwas sage.« Zum Auftakt würde er gern die gesamte Verwaltung in die Lanxess-Arena einladen.
Dass Mörtter Menschen begeistern kann, steht außer Frage. Doch gibt es Stimmen, dass er sich mit der Kandidatur überschätze — sowohl, was seine Fähigkeiten als auch seine Chancen betrifft. Man zollt ihm Respekt für sein soziales Engagement, sagt aber, er sei »politisch naiv« oder gar »selbstbesoffen« und kein Teamplayer. Mörtter kennt solche Einschätzungen. Ohne dass man fragt, kommt er darauf zu sprechen: »Wenn man sich für etwas einsetzt, kann man als Selbstdarsteller wahrgenommen werden«, sagt er. »Ich muss aber Rampensau sein, sonst weiß ja keiner, wofür ich mich einsetze. Und wenn ich nach vorne trete, stehe ich auch für etwas ein und verteidige etwas.« Dass er nicht im Team arbeiten könne, streitet er ab. Gerade hat er einen Verein gegründet, der sich für Armutsbekämpfung, Geflüchtete und Klimaschutz einsetzt: »Hans sucht das Glück e.V.« Im Februar kursierten E-Mails, in denen einflussreiche Vertreter der Stadtgesellschaft vom Verein um Fürsprache in Form eines Testimonials gebeten werden. Sie sollten darlegen, »warum Sie davon überzeugt sind, dass Hans Mörtter die richtige Person für die wichtigen Aufgaben des Vereins ist.« Auf der Homepage sprechen sich für Mörtter unter anderem die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, der Dokumentarfilmer Valentin Thurn, der Publizist Navid Kermani sowie der Galerist und Millionär Michael Horbach aus. »Wenn Hans Mörtter anruft, wird es immer teuer«, liest man von Horbach auf der Homepage. »Ich spende immer gern, da ich weiß, dass dieses Geld gut investiert ist.« Mörtter betont, der Verein habe nichts mit seiner OB-Kandidatur zu tun. Sein soziales Engagement laufe ja weiter, ob als Oberbürgermeister oder nicht. »Selbst wenn ich nicht gewinne, habe ich nichts verloren«, sagt Mörtter zum Schluss noch. »Aber die Stadt würde etwas verlieren.«