Was Crack mit Köln macht

Crack ist Kokain, das man raucht. Es ­verschafft einen intensiven, aber nur sehr kurzen Rausch. Weil der Suchtdruck so hoch ist, sprechen Crack-Abhängige auf die übliche Drogenhilfe kaum an. Seit ­wenigen Monaten breitet sich Crack in Köln rasant aus. Steht Köln vor einer Crack-Welle wie in Frankfurt oder Hamburg?

Tim Fahnenbruck läuft die Gegend rund um den Neumarkt ab, er geht an der Zentralbibliothek vorbei zum Cäcilien­hof und zurück zum Neumarkt, wo ihn ein junger Mann mit Bierflasche in der Hand anspricht. »Wie geht’s dir? Ich ruf dich an, sobald ich was vom Amt gehört habe«, gibt Fahnenbruck zurück, dann muss er weiter, zum Appellhofplatz. Es ist ein Freitagvormittag, und Tim Fahnenbruck macht seine tägliche Runde durch die Innen­stadt. Er ist Streetworker beim Aufsuchenden Suchtclearing (ASC), das für die illegale, offene Drogenszene im Stadtgebiet zuständig ist; der Zusammenschluss besteht aus Mitarbeitern des Gesundheitsamts und drei Trägern der Suchthilfe.

Fahnenbruck ist 27 Jahre alt, groß und wirkt nicht wie jemand, der sich schnell einschüchtern lässt. Der Mann mit der Bierflasche sei ein sehr netter Kerl, sagt Fahnenbruck. »Er will in die Substitution, aber er hat keine Krankenversicherung.« Fahnenbruck will ihm einen Anonymen Krankenschein besorgen, aber das ist kompliziert. Erst seit dem vergangenen Jahr gibt es das Modell, mit dem auch Unversicherte medizinisch behandelt werden können, das Verfahren muss sich erst einspielen.

Fahnenbruck ist seit einem Jahr beim ASC, vorher hat er in einer Notschlafstelle gearbeitet. »Wir haben hier in Köln ein sehr gutes, niedrigschwelliges Hilfesystem«, findet er. Aber seit ein paar Monaten ändert sich etwas in der Drogenszene, das Fahnenbruck Sorgen macht. Crack breitet sich aus, also Kokain, das geraucht wird. Das ­Kokain wird mit Natron und Wasser aufgekocht, die Steine, die dabei entstehen sind Cracksteine. Die Wirkung setzt direkt nach dem Konsum ein, hält aber nur wenige Minuten, dann braucht es Nachschub. Während Heroin sedierend wirkt, putscht Crack auf. Es gibt derzeit kein Medika­ment, um es zu substituieren.

Lange Zeit gab es in Köln keine gebrauchsfertigen Cracksteine zu kaufen. Wer Crack rauchen wollte, musste es sich selbst aufkochen. Doch das hat sich Ende des vergangenen Jahres geändert. »Cracksteine werden den ­Leuten an jeder Ecke vor die Nase gehalten. Das ist eine riesen­große Scheiße«, sagt Fahnenbruck. Bei kaum einer anderen Droge ist die berauschende Wirkung so stark, aber auch so kurz. Je höher die Diskrepanz zwischen Wirkungs­peak und darauffolgendem Tief, umso höher ist der Suchtdruck, so schildern es Suchtmediziner.

Tim Fahnenbruck sagt, die Droge mache die Leute krank und aggressiv. »Innerhalb weniger ­Monate verlieren manche ihre Zähne, sie werden krank und landen auf der Straße.« Ihnen zu helfen, sei schwierig: »Es erfordert eine minimale Aufmerksamkeitsspanne, Hilfe anzunehmen. Wer aber auf Crack ist, denkt nur noch an den nächsten Stein.«

Gehandelt und geraucht wird Crack vor allem auf dem Neumarkt, aber auch am Appellhofplatz. Man sieht nur wenige Passanten in dem langen Gang zur ­U-Bahn, dafür Menschen, die Drogengeschäfte ab­wickeln oder unten am Bahnsteig auf den Bänken liegen und schlafen.

»Um mich abzuschalten von der Welt. Ich hatte Suchtdruck, und es war verfügbar.«
»Euphorisch. Man will immer mehr, sobald die Wirkung weg ist.«
»Es gibt nichts, was so gierig macht.«

Diese Sätze über die Wirkung von Crack fielen, als Studierende der Katholischen Hochschule Aachen im vergangenen Sommer am Neumarkt unterwegs waren. Es war die erste Befragung der offenen Drogenszene in Köln. Geleitet hat sie Daniel Deimel, der inzwischen Professor für Gesundheitsförderung und Prävention an der TH Nürnberg ist. Im August stellte er die Studie »Open Drug Scene ­Cologne — Survey« (ODSC) vor, zu einem Zeitpunkt also, als mit Cracksteinen noch gar nicht gehandelt wurde. Dennoch gaben 105 der 119 Befragten an, bereits Crack genommen zu haben, ein Fünftel von ihnen sogar am Tag der Befragung. 26 Prozent der Heroinabhängigen war ­obdachlos, von den Crack-Konsumenten mit 56 Prozent sogar mehr als die Hälfte. 73 Prozent der Befragten gaben an, Konsumräume zu kennen — doch nur 48 Prozent besuchten bis dahin die Räume.  »Unsere Studie hat gezeigt: Crack ist in Köln angekommen, und die Lebensbedingungen dieser Personengruppe haben sich durch die Droge deutlich verschlechtert«, sagt Deimel. Seit Cracksteine verkauft werden, habe der Konsum rund um den Neumarkt zugenommen — und Deimel rechnet mit einem weiteren Anstieg, weil die Droge so leicht verfügbar ist. Dann könnte es auch in Köln zum Bild gehören, dass Menschen die Droge bis zu dreißigmal pro Tag konsumieren, wie es in Hamburg und Frankfurt bereits länger der Fall ist. Diese Menschen ­kämen dann nicht mehr in die Konsumräume. »Dann meldet man sich nicht an und wartet, bis ein Platz frei ist. Die Menschen wollen das Bedürfnis sofort gestillt haben«, so Deimel. Die Menschen rutschen aus dem Hilfe­system, und das zeigt sich auch im Straßenbild. »Der Konsum und das Elend werden sichtbarer«, sagt Deimel. »Viele er­leiden Verbrennungen im Mund und Ascheab­lagerungen auf der Lunge. Die Leute sind körperlich und psychisch in einem miserablen Zustand.«

Was bedeutet das für die Suchthilfe? »Es muss nachjustiert werden«, sagt Deimel und zählt auf: Es brauche Tagesruhestätten, damit die Menschen sich in einer siche­ren Umgebung ausruhen können. Außerdem habe die Studie gezeigt, dass die Konsumenten bis in die späten Abendstunden die Droge nehmen: »Die Öffnungszeiten des Konsumraums müssen deutlich ausgeweitet werden. Auch das Konzept der Notschlafstellen sollte anders geregelt sein.« Denn wenn man wegen des Konsums zu spät an der Notschlafstelle ankomme, seien die ohnehin knappen Plätze belegt. »In Zürich wird der Substanz­konsum in den Notschlafstellen toleriert.«

Crack wird den Leuten an jeder Ecke vor die Nase gehalten. Das ist eine riesengroße ScheißeTim Fahnenbruck, Streetworker

Auch der sogenannte Ameisenhandel ist in Notschlaf­stellen und Drogenkonsumräumen in Zürich erlaubt, also das Dealen mit Kleinstmengen. Dieser Schritt müsse auch in Deutschland erfolgen, findet Deimel: »Damit bekommt man Zugang zu den Menschen, und es würde ­weniger auf der Straße gedealt.« Dafür müssten jedoch zunächst Bundesgesetze geändert oder Modellprojekte genehmigt werden.

Zur medikamentösen Therapie von Kokainabhängigkeit wurde bislang kaum geforscht; Deimel geht auch nicht davon aus, dass in nächster Zeit ein Substitut auf den Markt kommt. Er plädiert dafür, Kokain in einem Modell­projekt auszugeben — ähnlich, wie es bei Schwerst­abhängigen bereits mit Heroin getan wird. »Es geht um Schadensminderung, Überlebens­sicherung, darum, bestehende Hilfen, etwa beim Wohnen und in Konsum­räumen, weiterzuentwickeln.« Auch Frankfurt, dessen Drogenreferat bundesweit als Vorbild gilt, nennt vornehmlich »Harm Reduction« als Ziel. Crack verbreitet sich dort seit rund zwanzig Jahren und ist im Bahnhofsviertel zur vorherrschende Droge geworden. Mit Tagesruhestätten und einem Nachtcafe hat Frankfurt seine Hilfen angepasst; weitere »alternative Aufenthaltsplätze mit niedrigschwelligen Konsumgelegenheiten« sind in Planung.

Im Jahr 2021 erfasste die Kölner Polizei etwa 630 Straftaten im Zusammenhang mit Kokain oder Crack; meist ging es dabei um Erwerb, Besitz oder Handel. Zwei Jahre später waren es bereits 870 Straftaten, wobei ein Polizeisprecher zu bedenken gibt, dass es sich bei Rauschgift­kriminalität um ein »Kontrolldelikt« handle, das »durch polizeiliche Maßnahmen ins Hellfeld gerückt« werde.

Hinweise auf die Verfügbarkeit des Kokains können Zahlen des Kölner Zolls geben, der Paketsendungen am Flughafen, auf der Straße und auf der Schiene kontrolliert. Während der Zoll 2021 insgesamt 25,1 Kilogramm Kokain sicherstellte, waren es 2022 mit mehr als 238 Kilogramm fast zehnmal so viel. Die Zahlen für 2023 waren bei Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. »Als einer der größten Luftfracht-Umschlagplätze Europas ist der Flughafen Köln-Bonn beim Drogenschmuggel weit vorne«, so ein Sprecher vom Kölner Zoll.

»Crack war in Köln lange eine Randerscheinung«, sagt Stefan Lehmann, er ist Leiter des Aufsuchenden Suchtclearings und auch für den Drogenkonsumraum verantwortlich, der 2022 im Gesundheitsamt am Neumarkt eingerichtet wurde. Neben ihm sitzt Eva Dorgeloh, sie leitet die Substitutionsambulanz, in der Menschen Methadon oder andere Heroin-Ersatzstoffe bekommen. Etwa siebzig Schwerstabhängige erhalten auch Diamorphin, also reines, hochkonzentriertes Heroin. Die Ambulanz liegt gegenüber vom Drogenkonsumraum. »Seit einigen Mona­ten steigt der Crack-Konsum rasant«, sagt Lehmann. Wurden dort im November noch 358 Crack-Pfeifen geraucht, waren es zwei Monate später schon 887. Hatten sich die Menschen ihr Crack bis vor kurzem noch selbst im Konsumraum zubereitet, bringen sie heute meist die fertigen Steine mit; auch das zeigen die Zahlen des Drogen­konsumraums, wo jeder Konsumvorgang dokumentiert werden muss. Es gibt dort sechs Plätze für den intravenösen Konsum und sechs Raucherplätze.

»Opiate waren bei uns immer die meistkonsumierte Droge und der intravenöse Konsum die vorherrschende Konsumart«, so Lehmann. Doch nun beobachtet er, wie seine Klienten, die sich seit Jahren Heroin spritzen, in den Raucherraum wechseln. Auch Lehmann sieht den Grund dafür in der leichten Verfügbarkeit und dem Preisverfall des Kokains. »In der Szene wird alles konsumiert, was der Markt hergibt. Wenn den Menschen Crack angeboten wird, dann konsumieren sie das eben auch.«

Eva Dorgeloh ist Psychiaterin, sie leitet die Substitutionsambulanz seit zehn Jahren. Heroin, sagt sie, habe eine beruhi­gende Wirkung auf ihre Patienten. »Sie sind sozial angepasster, kommen oft gut in der Gruppe zurecht.« Dorgeloh schätzt, dass inzwischen zehn bis fünfzehn Prozent ihrer Patienten in der Substitutionsambulanz Crack nehmen. »Noch ist es eine kleine Gruppe, aber wenn nur einer zu uns kommt, der auf Crack ist oder auf der Suche nach dem nächsten Stein, kann die Stimmung in der Ambulanz komplett kippen.« Die Menschen seien angespannt, unter Druck, aggressiv, die Bedürfnisse ande­rer seien ihnen völlig egal. Sie entwickelten öfter Psychosen und Wahnvorstellungen, spürten Insekten auf der Haut, wo keine seien und fügten sich Wunden zu beim Versuch, sie loszuwerden. Die psychischen Veränderungen, schildert Dorgeloh, gingen mit einer starken körper­lichen Belastung einher. »Der Herzschlag geht schneller, die Schwelle für Krampfanfälle sinkt — das ­haben wir auch in der Ambulanz schon häufiger erlebt.«

Bei diesen Schilderungen nickt Lehmann zustimmend; nirgendwo schlägt sich die veränderte Stimmung so ungefiltert nieder wie im Drogenkonsumraum, die zunehmende Aggression, das Getrie­ben­sein, die Gier. Mehr als fünfzig Hausverbote pro Monat haben die Mitarbeiter seit Dezember ausgesprochen, meist wegen verbal oder körperlich aggres­siven Verhaltens oder versuchten Drogenhandels. »Mir hat ein Klient gesagt, der schon lange Heroin konsumiert und jetzt auf Crack umgestiegen ist: ›Diese Gier — das kannst du dir nicht vor­stellen. Ich kann nur noch an diese Steine denken.‹« Lehmann sagt: »Man sieht innerhalb von Tagen einen körperli­chen Verfall.« Er kennt die Hand­lungsempfehlun­gen der Deutschen Aidshilfe, den Hinweis, hochkalorische Nahrung zu geben oder die Menschen beson­ders niedrigschwellig an­zuspre­chen. »Aber das löst das Problem nicht«, sagt Lehmann. »Gegen diese Gier gibt es kein Patentrezept.«

Als einer der größten Luftfracht-Umschlag­plätze Europas ist der Flughafen Köln-Bonn beim Drogen­schmuggel weit vorneKölner Zoll

Manchmal sind es aber auch die Gesetze, die Lehmann daran hindern, noch niedrigschwelliger arbeiten zu können. Gesetze, die dafür sorgen, dass viele den Dro­gen­­konsumraum gar nicht erst betreten und somit auch keine Beratung oder weiterführenden Hilfen erhalten. Wenn zum Beispiel Paare vor der Tür stehen, um gemeinsam Crack zu nehmen, muss Lehmann sie abweisen: Denn das Teilen einer illegalen Substanz gilt als Drogenhandel und ist verboten, so schreibt es das Bundes­betäubungsmittelgesetz vor. »Die müssen dann irgendwo draußen die Droge teilen.« Crack sei eine Droge, die besonders häufig geteilt werde. »Das sehen Sie am Appell­hofplatz: Man sitzt in einer Gruppe zusammen und lässt die Pfeife herumgehen. In den Konsumraum aber muss man die Droge alleine mitbringen und alleine konsu­mieren.«

Wenn Lehmann mit seinen Klienten ins Gespräch kommt, wenn er sie fragt, ob sie eigentlich wissen, was sie da konsumieren, bekomme er häufig zur Antwort: »Ich nehme doch kein Crack! Ich rauche doch bloß Kokain!« — Dieses Leugnen sei wohl ein Mix aus Unwissenheit und Scham, glaubt Lehmann. »Man will es nicht wahrhaben.«

»Ich hatte immer Angst, Crack zu konsumieren, weil ich wusste, dann ist es vielleicht vorbei«, habe ein Patient einmal zu ihr gesagt, erzählt Eva Dorgeloh. Da versuche sie anzusetzen: über die Risiken zu sprechen. Trotzdem sei es nur sehr schwer möglich, gegen Crack anzukommen. Dorgeloh erzählt von Patienten mit langer Drogenerfahrung, die gelernt hätten, besser für sich zu sorgen, die dann mühsam an eine Wohnung und einen Job gekommen seien. Aber dann habe deren Dealer Crack angeboten. »Dadurch ist eine jahrelange Stabilisierung zunichte gemacht worden«, sagt Dorgeloh. »Die Menschen nehmen alles in Kauf. Ob sie ihre Wohnung verlieren, ob sie noch etwas zu essen haben, ob sie ihre Freunde verlieren — das ist dann alles egal.«

Auch wenn Crack sich in Köln rasant verbreitet, herrschen noch keine Verhältnisse wie in Frankfurt oder Hamburg, wo die Crack-Szene noch größer und das Straßenbild noch stärker geprägt ist von Konsumenten, die kaum noch Schlaf finden. Der Suchtdruck treibt sie immer ­weiter, bis sie erschöpft auf der Straße einschlafen. »Diese hochfrequenten Konsummuster sehen wir hier in Köln noch nicht«, sagt Stefan Lehmann, der Leiter des Drogenkonsumraums. Noch konzentriert sich die Crack-Szene überwiegend am Neumarkt und am Appellhofplatz. Am Hauptbahnhof, wo der Sozialdienst katholischer Männer (SKM) einen Drogenkonsumraum betreibt, oder auch in Kalk beobachten Sozialarbeiter und Polizei noch keine so ­große Zunahme von Crack. »Wir wissen, dass einige Heroin­­abhängige, die zu uns kommen, auch ab und zu Crack rauchen«, sagt Jane van Well vom SKM. Dass Cracksteine seit einiger Zeit so leicht verfügbar sind, macht ihr Sorgen. »Die Frage ist, wie lange die Menschen es noch durch­halten, nur gelegentlich zu konsumieren.« Seit Anfang März ist der Drogenkonsumraum am Hauptbahnhof für ein halbes Jahr geschlossen; er wird umgebaut und von drei auf sechs Plätze erweitert. Man wolle die Zeit nutzen, um sich bei Fachleuten in Frankfurt speziell nach Crack-Suchthilfe zu erkundigen, sagt van Well. »Wir müssen vorbereitet sein.«

In Kalk betreibt der Verein »Vision« einen sogenannten Kontaktladen an der Neuerburgstraße. Der Container steht auf einer Brache gegenüber den städtischen Ämtern am Ottmar-Pohl-Platz. Menschen aus der Drogenszene bekommen im Kontaktladen Essen, können duschen und Spritzen tauschen. Auch Crack-Pfeifen und das zur Crack-Zubereitung benötigte Natron geben die Mitarbeiter dort aus und, wenn sie Spenden bekommen, auch hochkalorische Nahrung. »Wir haben etwa fünfzig Besucher pro Tag im Kontaktladen. Ein gutes Drittel davon hat mit Crack zu tun«, schätzt Vision-Geschäftsführerin Claudia Schieren. Die Nachfrage nach den Sets für die Zubereitung von Crack steige seit einem Jahr stark an. Dass im großen Stil fertige Cracksteine geraucht würden, beobachtet Schieren in Kalk aber noch nicht. »Viele fertiggekochte Steine werden mit Ammoniak hergestellt, das sehr ätzende Neben­wirkungen hat und ein Grund sein kann, weshalb man sein Crack lieber selbst zubereitet.«

Vision ist eine Selbsthilfeeinrichtung, die einen »akzep­tierenden Ansatz« verfolgt. »Wir versuchen den Menschen da zu helfen, wo sie gerade stehen, und die Situa­tion nicht schlimmer werden zu lassen.«  Gerade Crack-Konsumenten gerieten oft zeitweise aus ihrem Blickfeld, kämen aber immer wieder. »Oft nur dann, weil wir die Utensilien anbieten, und nicht für andere Hilfestellungen«, sagt Schieren. »Das ist schade und das muss man als Mitarbeiter aushalten und mitansehen, aber immer­hin kommen sie wieder.«

Auch die Zukunft des Vereins macht Schieren Sorgen. Die Stadt will ihre Drogenhilfeangebote in Förderprogramme umwandeln: statt für ein Jahr wie bisher laufen die Förderungen dann vier Jahre. Das sei natürlich sinnvoll, sagt Schieren. Jedoch: Für die bisher bekannten Förder­programme — das Streetwork des ASC, an dem auch Vision beteiligt ist, und der geplante Drogen­kon­sum­­raum in Kalk — muss der Träger einen Eigenanteil leisten. »Wir wissen nicht, wie wir diese Eigenmittel zur Verfügung stellen sollen. Und es widerspricht auch jeder Logik, dass ein Träger, der ein Angebot für die Stadt umsetzt, dafür noch zahlen soll.«

Die Szenebefragung zu Crack von Suchtforscher ­Daniel Deimel war Mitte März, acht Monate nach deren Veröffent­lichung, auch Thema im Gesundheitsausschuss. »Wir sind sehr froh, eine erste Datenlage zu haben, um Angebote weiterzuentwickeln«, sagt Mechthild Böll, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, gleichwohl die Studie den Anstieg seit November gar nicht abbildet.

Die Menschen nehmen alles in Kauf. Ob sie ihre Wohnung verlieren, ob sie noch zu essen haben, ob sie ihre Freunde verlieren — das ist dann alles egalEva Dorgeloh, Psychiaterin

Ginge es nach den Grünen, sollte die Befragung der offenen Drogenszene alle zwei Jahre durchgeführt werden, um Veränderungen und Bedarfe früh zu erkennen — wie es in Frankfurt schon seit 2002 geschieht. Auch Schülerinnen und Schüler werden dort zu ihrem Drogenkonsum befragt. Auch dies hätte Böll gerne in Köln, ebenso wie Tages­ruhestätten und weitere Drogenkonsumräume. »Das Problem ist die Finanzierung in der derzeit angespannten Haushaltslage«, sagt sie. Stattdessen werde es künftig eher darum gehen, den Status quo zu halten, und etwa den Anonymen Krankenschein fortzuführen, der bis 2024 bewilligt ist und der vielen Menschen erst ermöglicht, ein Substitutionsprogramm aufzunehmen oder ­einen Entzug zu machen.

Dabei gäbe es, auch ohne Crack-Welle, einiges am ­Kölner Suchthilfesystem zu verbessern: Im vergangenen Jahr monierte eine Beratungsgesellschaft, die das Kölner Drogenhilfekonzept im Auftrag der Stadt Köln evaluierte, die Suchtkoordination in der Verwaltung sei »im Vergleich zu anderen, auch kleineren Städten außerordentlich gering« ausgestattet. Sie ist mit nur einer Vollzeit­stelle besetzt. Außerdem ­fehle eine aussagekräftige Daten­lage, etwa Strukturdaten und Daten zum Sucht­hilfeangebot — tatsächlich kann das Gesundheitsamt auf Anfrage nicht einmal mitteilen, wie viele Menschen in Köln derzeit substituiert werden. Zudem gebe es auch keine validen Zahlen, wie viele Menschen in Köln überhaupt Opioide konsumieren, so Suchtforscher Deimel. Man könne als Grundlage nicht nur die Statistiken der Konsumräume zurate ziehen. »Da ­bildet man ja viele Leute gar nicht ab. Man braucht aber verlässliche ­Daten, wenn man etwas an den Strukturen verändern will.«

Auch Stefan Lehmann, der den Konsumraum leitet, wünscht sich regelmäßige Befragungen. Doch die sind nicht geplant. Auf Anfrage verweist die Stadt auf die Studie von Deimel aus dem vergangen Jahr — ein Projekt der Katholischen Hochschule Aachen und nicht der Stadt Köln.

Seit vielen Jahren schon ist geplant, neben dem Drogen­konsumraum am Neumarkt weitere in Kalk und Mülheim einzurichten. Das städtische Drogenhilfekonzept, das seit 2016 von Gesundheitsamt, weiteren städtischen Ämtern und Trägern der Drogenhilfe entwickelt und 2020 beschlossen wurde, sah den Betriebsbeginn in Kalk für das Jahr 2020, den für Mülheim für 2021 vor. Doch wie schon zuvor am Neumarkt gestaltete sich die Suche nach Immobilien schwierig: In Mülheim wurde kein Standort gefunden, den die Träger als geeignet an­sahen. In Kalk wurden Räume an der Dillenburger Straße 27 angemietet, der Bauantrag für den Umbau soll nun im März eingereicht werden, eröffnet werden soll laut Stadtverwaltung »im 2. Halbjahr 2024«.

Für das Haushaltsjahr 2024 stehen für das gesamte Drogenhilfeangebot 2,4 Mio. Euro zur Verfügung, wobei rund die Hälfte für den Konsumraum am Neumarkt aufgewendet werden muss. Der Konsumraum in Kalk soll zwar kommen — aber »weitere geplante Drogen­hilfe­angebote (Drogenkonsumraum Mülheim, Ausweitung der Suchthilfeangebote Meschenich und Porz) müssen zurückgestellt werden«, heißt es in einer Beschlussvor­lage der Stadt Köln, über die der Rat am 21. März ent­scheiden soll.

Und es fallen weitere Angebote weg: Da der Drogenkonsumraum des SKM am Hauptbahnhof von drei auf sechs Plätze erweitert wird und während des Umbaus für mindestens ein halbes Jahr schließen muss, hatte das Ge­sund­heitsamt zunächst zugesagt, währenddessen ein sogenanntes Drogenkonsum-Mobil zum Hauptbahnhof zu schicken. Doch nun ist der Bus kaputt, der Ersatz fällt aus.

Das macht sich schon jetzt bei der Drogenhilfe bemerkbar, die etwa den Kontaktladen Café Victoria betreibt: »Wir waren vorher schon am Limit. Seit der SKM-Raum umgebaut wird, können wir an vielen Tagen im Café Victoria den Andrang kaum bewältigen«, sagt ­Markus Wirtz, Geschäftsführer der Drogenhilfe. Auch das »Wohntraining Nippes«, das die Drogenhilfe seit 2008 betreibt, schließt Ende Mai, weil der Mietvertrag ausläuft. Zehn schwerstabhängige obdachlose Männer kommen dort bislang unter, bis zu zehn weitere Menschen finden in der dazugehörigen Notschlafstelle einen Schlafplatz, können sich ­waschen und erhalten eine Mahlzeit. Wirtz wollte das Wohntraining in ein anderes Haus umsiedeln. »Wir haben Wohnraum freigehalten und auf eine Zusage der Verwaltung gewartet«, so Wirtz. Weil seit Dezember keine Antwort kam, habe er die Wohnungen letztlich anderweitig vermieten müssen. Wirtz geht davon aus, dass einige der Männer aus dem Wohntraining auf der Straße landen werden. »Sie brauchen Betreuung rund um die Uhr, sonst schaffen sie das nicht. Aber unsere Mitarbeiter tun natürlich alles, um dies irgendwie zu verhindern«,  so Wirtz.


Immerhin wissen wir, was auf uns zukommen kann. Noch hat die Stadt die Chance, Maßnahmen zu ergreifen, die Leben rettenDaniel Deimel, Suchtforscher

Und es ist nicht nur die Crack-Welle, die Suchtforscher derzeit umtreibt. Ausgerechnet das in Afghanistan von den Taliban verhängte Verbot, Schlafmohn anzubauen, könnte die Lage in der Drogenszene weiter verschärfen. Nach UN-Angaben ist die Opium-Produktion seither um 95 Prozent eingebrochen. Bleibt aber der Nachschub aus, könnte das Heroin mit synthetischen Opioiden wie ­Fentanyl gestreckt werden. Es wirkt wesentlich stärker, schon eine geringe Dosis kann tödlich sein. »Das ­Heroin aus Afghanistan braucht zwölf bis 18 Monate, bis es am Neumarkt angekommen ist. Ende des Jahres kann es zu einer Verknappung kommen«, so Suchtforscher Deimel. In Dublin kam es durch Beimischungen von synthetischen Opioiden bereits im November innerhalb von drei Tagen zu mehr als fünfzig Überdosierungen. »Ich rechne auch hier mit Überdosierung und Drogentoten, falls mehr synthetische Opioide im Umlauf sind«, so ­Deimel.

Anfang des Jahres untersuchte die Deutsche Aidshilfe in 17 deutschen Drogenkonsumräumen das Straßen­heroin auf Beimischungen von Fentanyl. In 3,6 Prozent der Proben wurde es nachgewiesen. Im Februar gab auch Interpol eine Warnung heraus: »Fentanyl ist bereits in Euro­pa, ist extrem potent und muss als unmittelbare ­Bedrohung behandelt werden.«

In Köln ist nun geplant, im Drogenkonsumraum »in naher Zukunft« Fentanyl-Schnelltests anzubieten, mit denen mitgebrachtes Heroin auf Beimischungen getestet werden kann, so eine Stadtsprecherin. Auch halte man ein Notfallmedikament vor, das schnell gegen Über­dosierungen hilft. »Momentan verfolgen wir einen präventiven Ansatz und klären die Konsument*innen über Fentanyl und dessen Wirkung und Folgen auf.«
Deimel fordert darüber hinaus, Sicherheitskräfte der KVB und des Ordnungsamts mit dem Notfallmedikament Naloxon auszustatten, das als Nasenspray angewendet wird. Und: »Die Stadt sollte sich überlegen, wie eine Risiko-Kommunikation aussehen könnte, wenn es zu loka­len Überdosierungs-Clustern kommt. In Dublin ­wurde die Warnung auf allen städtischen Flatscreens und dem Parkleitsystem ausgespielt.« So düster die Aussichten auch seien, sagt Suchtforscher Daniel Deimel, »immerhin wissen wir, was auf uns zukommen kann. Noch hat die Stadt die Chance, Maßnahmen zu ergreifen, die Leben retten.«