Einladung an die Eigenwilligen
Seit Anfang des Jahres gibt es in Wuppertal einen neuen Club, nur drei Gehminuten vom Bahnhof entfernt, halb versteckt in einem unterirdischen Bunker. Der kurze Weg vom Gleis zum Club fühlt sich ziemlich iconic an, denn du steigst aus dem Zug, verlässt den Bahnhof über die Vorhalle, in der ein Klavier steht, an dem häufig Passanten spielen. Dann frontal hinein in die slicke Neubaustimmung einer gentrifizierten Komsummeile, um nach wenigen Schritten rechts abzubiegen und durch eine Gasse zu sneaken, von der niemand ahnen würde, dass sich in der Betonwüste dahinter etwas Interessantes befinden könnte.
Der karge Abstieg ist von weiße Lichtern erhellt und verbreitet den Charme eines Parkhauszugangs. Ein Unort, wie er für Techno typischer kaum sein könnte und Erinnerungen an das OMEN oder den Weg durch den Frankfurter Flughafen zum Dorian Gray weckt. Ein Ort, direkt vor den Augen der normativen Gesellschaft, und dennoch vor ihr verborgen, Muggel sehen eben nichts.
Man hört auch nichts. Die spezielle Architektur sorgt dafür, dass kein Ton nach außen dringt. Auch im Eingangsbereich mit Kasse und Garderobe geht es leise zu. Von dort geht es an Sitzmöglichkeiten vorbei auf die erste Bar zu, Musik wird hörbar, die aber nicht mit Gesprächen konkurriert. Links davon führt ein schmaler Durchgang in einen dunklen Flur zum kleineren Floor, dem Annex, rechts davon verläuft eine Glasfront, neben der in einem Innenhof Frischluft und Zigarettenrauch geschnappt wird. An der Bar vorbei geht es rechts um die Ecke, wieder Sitzgelegenheiten, um eine nächste Ecke in einen weiteren Flur. Von dort gehen mehrere Boxen ab, Kajüten zum Rumhängen, überall begleitend die Musik in unaufdringlicher Lautstärke. Die Flurwände sind mit Akustikmaterial bezogen, der Sound ist dry, es dröhnt und scheppert nicht durch den Club, wie man es von vielen Venues kennt. Es geht um eine weitere Ecke in einen weiteren Flur, es wird immer dunkler, Schritt für Schritt kommen Sound und Nebel näher, am Ende eine Sackgasse, eine kleine Bar, noch einmal rechts umdrehen, dann eröffnet sich endlich das Freifeld, der große Floor mit seinen magnetisch anziehenden Bässen, von denen man nur schwerlich wieder loslassen kann.
Das Line-up zeugt von einer intensiven, ernsthaften Beschäftigung mit elektronischer Musik, die voraussetzt, Gutes von sehr Gutem unterscheiden und die Tragfähigkeit und Substanz von Artists einschätzen zu können. Es wird style-übergreifend kuratiert und streng auf musikalische Glaubwürdigkeit und Relevanz geachtet, was ohne ein originär clubkulturelles Selbstverständnis so nicht möglich wäre: Mala, Fadi Mohem, Akua, Nkisi, Skee Mask, just to name a few.
Die Auswahl der Artists denkt das globale Wurzelwerk elektronischer Musik mit, was ganz natürlich mit sich bringt, dass Abende mit weißen DJ-Männern eher die Ausnahme sind, was nicht weiter erwähnt und mit einem Etikett versehen werden muss. Das Programm definiert sich über musikalische Qualitäten des Aufgeschlossen-Seins, nicht über die strukturelle Dominanz der Konvention, weshalb die DJs von eben dieser Qualität sind, die die sehr Guten von den Guten unterscheidet: Jossy Mitsu, Blasha & Allatt, OK Williams, Electric Indigo, Altinbas, Nørbak. Ebenso sachlich wie liebevoll wird bei der Besetzung der Slots mit den vielen Shapes gespielt, die Styles sind von Classic bis Nu-School vertreten. Präzision und Technik, Dreck und Rauschen, Schweiß und Nerdism finden bei viel Bass und Lautstärke zusammen.
Eine Frage der Leidenschaft. Eine Frage der Nähe und Integrität. Denn es hat sich herumgesprochen: das Open Ground ist für richtige Technos!
Das Open Ground macht ein Angebot, das es in NRW so seit fast 20 Jahren nicht mehr gegeben hat. Kein Club bemühte sich um die Etablierung von Erwachsenentechno und anspruchsvolleren Clubsounds, das galt als zu schwierig und würde in der Region keinen Sinn machen. Neugierig sind aber alle, die Eröffnung in Wuppertal ist seit Wochen Thema. Die ersten Abende wurden von Fadi Mohem, Surgeon, Mala, Calibre, Tasha, Appleblim, Elke oder DJ Pete bespielt, für die man sonst nach Berlin pilgern muss. Neben Anerkennung werden Rückmeldungen häufig von Skepsis begleitet: Ob sich so ein Laden hier überhaupt halten könne, dass niemand dafür nach Wuppertal fahren würde, dass sich die hohe Qualität des Line-ups niemals durchziehen lasse. »Ambitioniert!« — Wohl eher eine Frage der Haltung, oder? Eine Frage der Leidenschaft. Eine Frage der Nähe und Integrität. Denn es hat sich herumgesprochen: das Open Ground ist für richtige Technos!
Die finden sich Woche für Woche immer zahlreicher ein — auch wenn es etwas gedauert hat — und Mitte März bei Rifts und Efdemin ist es gut voll, eine Woche später bei JakoJako und Rene Wise wird’s eng auf dem Freifeld. Die Crowd ist eine wunderbare Mischung aus Berghain-Diasporra, Techno-Proleten und Provinz-Kids, eine scheinbar ungleiche Gemeinschaft, die ein wohlwollendes Miteinander pflegt und deren Gemeinsamkeit sich in Anlehnung an eine Arbeit der Künstlerin Julia Bünagel so beschreiben lässt: »We Are Not Shining, We Are Burning«.
Das Team wuselt immer irgendwo herum und ist jederzeit ansprechbar, das Personal an Eingang und Theken ist entspannt und auch noch beim fünften Durchwühlen der Tasche geduldig, bei der dritten Runde erinnert sich der Barkeeper an meine Getränke und als ich Kopfschmerzen erwähne, kann ich zwei Minuten später zwischen Ibu und Paracetamol wählen.
Clubbetreiber Markus Riedel und Menschen aus dem Kernteam tummeln sich die ganze Nacht lang auf den Fluren und Floors des Clubs, wieder und wieder sieht man sie in Gespräche vertieft. Durch eine lange gemeinsame Zeit in Berlin gibt es einen engen Bezug zu Hardwax, ursprünglich kommt Riedel aber aus Wuppertal und lebt mit seiner Familie schon seit einigen Jahren wieder in NRW. Neben regem Austausch mit der Berliner Szene tut das Booking immer mehr lokale und regionale Artists auf. Agnes Stark, MEXEM, Danyon, Colkin, KØKØ, A2iCE & BO3, Gîn Bali — und aus Köln Viola Klein, Gunni, Waltraud Blischke, Maendi, low Ki, Tim Elzer, Phillip Jondo.
Das Open Ground ist ein Club, in den man nicht um des Ausgehen wegen, sondern explizit wegen der Musik geht. Wen das im Kölner Raum verbreitete Whummti-whummti auf Dauer nicht glücklich machen kann, wer sich mehr Kante wünscht, wem Gewummer und Noise in Experimental-Konzerten nicht reicht, für den könnte das Open Ground was sein. Nach vielen Jahren des Schimpfens hat mich der neue Club befriedet. Die begeisterte Fassungslosigkeit über Fadi Mohem bei der Soft Opening bleibt in Erinnerung, das kollektive genießerische Bassduschen bei Mala war legendär, große Freude bedeutet die Entdeckung von Local-DJ Agnes Stark, und Efdemin hat mit seiner letzten Platte »Spiral« von Wata Igarashi für einen soundeuphorischen, synästhetischen Glücksfall gesorgt. Das Line-up, der Sound und die Menschen des Clubs können glücklich machen.
Open Ground, Alte Freiheit 25, 42103 Wuppertal
Das Programm des Clubs ist nachzulesen unter openground.club