Wandernde Geister treffen sich zum Pressefoto: Messer, Foto: Moritz Hagedorn

Rote Zonen

Die Düster-Popper und Experimental-Punker Messer melden sich mit neuem Album zurück

Messer sind: Hendrik Otremba (Gesang, Gitarre), Milek (Gitarre), Pogo McCartney (Bass), Philipp Wulf (Schlagzeug). Sie stammen aus Münster, haben ihr Debüt »Im Schwindel« 2012 veröffentlicht. Gerade ist ihr neues Album erschienen: »Kratermusik« (Trocadero Records). Am 18. März stellten sie es im Kölner Club Subway vor. Nach Konzertschluss nahmen sich Hendrik und Pogo Zeit für ­unsere Fragen.

Ist »Kratermusik« als eine Art Aus-Blick zu neuen »roten Zonen«, wie sie beispielsweise auch nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, zu verstehen?

Hendrik: Das ist interessant. Für uns war der Begriff Kratermusik etwas, was aus einem Gefühl heraus stammt, das man erst bekommen kann, wenn man mit der ­Platte fertig ist. Denn in diesem Fall war es ein sehr langwieriger Prozess von zwei Jahren, in dem Musik und Text zusammengewachsen sind und eine Idee von Sound entstanden ist. Währenddessen überlegt man sich selbstverständlich auch, welchen Namen man dem Kind gibt. Kratermusik war für uns zunächst so eine Art Messer-Wort. Das Gegensätzliche darin hat bei der Namensgebung eine wichtige Rolle gespielt. Für mich persönlich hat ein Krater aber eher etwas Friedvolles und weniger ­etwas von einem Vernichtungsgeschehen. Es geht vielmehr um das Danach, das Post-Zivilisatorische, das Post-Anthropozän.

Du singst in eurem Song »Frieden finden« von einem »Geist, der nicht verschwinden kann / Er sehnt sich nach Erlösung«.

Hendrik: Der Geist ist für mich der Wandernde, derjenige, der nicht loslassen und wegschauen kann, der aber auch nicht mehr so richtig konkret betroffen ist, der sich in einem merkwürdigen Totenzustand befindet. Er ist in die Distanz gedrungen, um zu betrachten, was übrig bleibt. Aber um es etwas pragmatischer zu greifen: Der ­Begriff Kratermusik stellt für uns auf augenzwinkernde Art nicht zuletzt auch eine Genre-Beschreibung dar. Und bei uns ist völlig klar: Wir kommen aus einem Punk-Kontext, gleichzeitig sind wir jedoch bei unserem neuen Album mit einer gewissen Öffnung an die Sache heran gegegangen, die das gar nicht so klar definiert.

Eines eurer Lieder trägt den Titel »Schweinelobby (Der Defätist)«. Würdet ihr ein Konzert an der Front in der Ost-Ukraine spielen?

Hendrik: Ich weiß, dass DJ Paul Kalkbrenner früher unter dem ­Titel »Beats fürs Vaterland« in Afghanistan vor deutschen Soldaten auflegte. Als ich das damals mitbekam, war ich schon ziemlich irritiert. Wir würden definitiv nicht für und vor Soldatinnen und Soldaten an der Front spielen. Zum einen hätten wir einfach Angst, an einen solchen Ort zu gehen und natürlich verstehen wir uns als Gegner solch kriegerischer Aus­einandersetzungen.

Pogo: Man würde sich dadurch mit etwas einverstanden erklären, womit wir partout nicht einverstanden sind. Grundsätzlich ­bestehen dort Herrschaftsverhältnisse, die zu diesem kriegerischen Akt führen, mit denen und mit dem wir uns per se nicht identifizieren. Dieses Geschäft wollen wir nicht mitmachen.

Hendrik: Ich muss unweigerlich an den Film »Apocalypse Now« von Francis Ford Coppola denken, in dem mit einem Hubschrauber irgendwelche Starlets in die Camps hinter die Front eingeflogen werden. Das ist zynisch. An ­einem Ort der konkreten Vernichtung versucht man die Sehnsucht nach Schönheit zu erzeugen.

In irgendeinem Abteil eines Regionalzugs auf dem Weg nach Köln zu einer Techno-Party kam uns die Idee zu unserem Bandnamen
Hendrik Otremba

In Goethes »Faust« hindert das Zeichen des Pentagramms den Teufel Mephistopheles daran, Fausts Studierzimmer zu verlassen. In dem Musikvideo zu »Schweinelobby (Der Defätist)« sieht man unter anderem zwei tanzende Puppen: Die eine ist Faust, die andere Mephisto. Was ist des Pudels Kern eurer Musik?

Hendrik: Spontan würde ich sagen, dass der Kern unserer Musik eine Verknüpfung von Freundschaft und Leidenschaft ist, um es ganz kitschig zu formulieren. Wir mögen uns gegenseitig sehr. Und das schon sehr lange. Wir sind froh, dass die Band einen Rahmen schafft, um als Freunde miteinander altern, reifen und sich in der Freundschaft immer wieder aufs Neue erfinden und entdecken  zu können. Wir haben wirklich große Lust, unserer Freundschaft ein Abenteuer zu schenken und nicht in Routinen zu verfallen. Wenn ich allein überlege, wie wir uns heute Abend auf der Bühne angeguckt haben, wie albern wir heute miteinander waren und wie ernst wir auf anderen Konzerten sein können, dann glaube ich an das Musikalische im Kontext einer Freundschaft. Weil es mich dazu nötigt, mich auf unterschiedlichste Weise zu entdecken. Das empfinde ich als totales Geschenk. Was ich dann noch dazu sagen kann: In Köln sind unsere Auftritte stets etwas Besonderes. Die Zuschauer hier lächeln auffällig doll. Sie sind sehr beweglich. Das hat bestimmt etwas mit der Kölner Techno-Szene zu tun. Apropos: In irgendeinem Abteil eines Regionalzugs auf dem Weg nach Köln zu einer Techno-Party im Stadtgarten kam uns die Idee unseres Bandnamens. Daher hat der Weg nach Köln für uns stets eine witzige Koinzidenz.      

Bleiben wir noch ein bisschen bei Goethe. Ihr habt im Jahr 2014 im Auftrag des Goethe-Instituts Konzerte in China gespielt. Wie war diese Erfahrung für euch?

Pogo: Das war unfassbar prägend für die Band, und die Konzerte dort waren so gänzlich anders als alles, was wir sonst mit Messer ­erlebt haben. Man muss es auch einfach mal klar sagen: Unsere westlichen Gefilde sind übersättigt mit Indierock-Konzerten. In China dagegen finden solche Aufführungen äußerst selten statt.

Hendrik: Das war irre. Vor allem haben wir gemerkt, wie sehr man in Vorurteile und Klischees verfällt, obwohl man meint, total reflektiert zu sein. Natürlich haben wir eine gewisse Strenge in China erwartet, die hintergründig hier und da auch zu spüren war. Aber letztlich war das ein wahnsinnig befreites Spielen und vor allem eine ganz starke ästhetische Erfahrung. Das Schönste aber waren die Konzerte. Ein Bild werde ich nie vergessen: Irgendwann schaute ich zu Pogo herüber und da hingen mindestens drei Fans an ihm, während er spielte. Das war eine unsagbare Euphorie in China. Die Leute waren da wie angezündet. Und das Frühstück — eine sauerscharfe Kohlsuppe mit handgezogenen Weizennudeln — hat so gut geschmeckt.      

Im Song »Im falschen Traum« erzählt ihr davon, wie schön das Erwachen sei, wenn man den Traum begreife. Wann seid ihr das letzte Mal aus einem Traum erwacht, der sich falsch anfühlte?

Hendrik: Ehrlich gesagt ist das bei mir daily business. Ich merke, dass die Welt, die man durch das künstlerische Schaffen kanalisiert und in Schranken weisen kann, sich im Traum schonungslos zu einem kehrt. Meine Träume sind intensiv und heftig. Das spielt für meine Texte eine wesentliche Rolle.