Kein Platz für Rassismus
Aufgeregt drängen sich Mülheimer Drittklässler*innen um farbige Karten, die im Klassenraum verteilt sind: ein Quiz zum Thema Flucht, mit Fragen wie: »Aus welchem Land kommen die meisten Geflüchteten?« Susanna Buttchereyt vom Kölner Flüchtlingsrat besucht als Bildungsreferentin regelmäßig Schulen und leitet Workshops. »Die Kinder bekommen viel mit, zu Hause oder in den Medien. Gemeinsam ordnen wir ihre Informationen in den Kursen ein«, sagt sie. »Wissensvermittlung hat in Zeiten der zunehmend populistischen Diskursverschiebung einen hohen Stellenwert.« Es sei wichtig, Kinder und Jugendliche für Diskriminierung in ihrem Alltag zu sensibilisieren.
Seit vierzig Jahren setzt sich der Kölner Flüchtlingsrat für die Rechte geflüchteter Menschen ein. Neben Beratung zum Asyl- und Aufenthaltsrecht bietet der Verein immer öfter Workshops an. Seit 2017 etwa die »Brückenbauer*«-Projekttage zum Thema Flucht, Asyl und Antirassismus - für Kinder der vierten Klasse bis zur Oberstufe. Zudem gibt es Fortbildungen und Workshops für Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter*innen zurLebenssituation von geflüchteten Kindern, zu Traumatisierung und Rassismuskritischer Pädagogik.
In der Mülheimer Schule strecken die Kinder nun bei einer Fragerunde ihre Finger in die Luft. Die beiden jungen Männer, die Susanna Buttchereyt als Mitreferenten begleiten, haben gerade von ihrer Flucht erzählt — Wahid Mowasaghi aus dem Iran, und Fadhil Kheder aus dem Irak. Sie beteiligen sich am Projekt »We can speak«, das 2022 vom Kölner Flüchtlingsrat initiiert wurde: Junge Erwachsene mit Fluchtbiografie werden ausgebildet, die Workshops zu begleiten. »Wir merken, dass das Projekt einen enorm empowernden Effekt auf die Speaker*innen hat. Sie sind aber auch wichtige Role Models für die Kinder in den Klassen, die ebenfalls Fluchterfahrungen haben«, sagt Susanna Buttchereyt. »Außerdem ist es wichtig, nicht ausschließlich aus unserer nicht-betroffenen Perspektive zu sprechen«.
Kinder bekommen viel mit, zu Hause und in den Medien. Gemeinsam ordnen wir ihre Informationen ein Susanna Buttchereyt
Etwa drei Stunden verbringen sie gemeinsam in der Schule. Um bei den Schüler*innen Empathie für andere Lebensumstände zu wecken, nutzt das Team in den Workshops Rollenspiele oder zeigt Interviews mit gleichaltrigen Kindern. Interaktiv soll der Workshop sein und zum Nachdenken anregen. »Wir wollen den Schüler*innen auf Augenhöhe begegnen und eine vertrauensvolle und sensible Atmosphäre schaffen«, sagt Buttchereyt. »Sie werden sich ihrer eigenen Handlungsspielräume bewusst und erkunden sie dahingehend, wie man betroffene Kinder in der Klasse unterstützen kann.« Nach und nach merke man, wie sich während des Workshops Wissenslücken füllen. Das Interesse am Thema und die Beteiligung wüchsen. Sobald die Kinder sich der Zustände beispielsweise an den europäischen Außengrenzen bewusst würden, rege sich gar Empörung.
Und die sei ein wichtiger Antrieb im Kampf gegen Rechts, sagt Hartmut Gähl, Lehr- und Ausbildungstrainer der Gewaltakademie Villigst und Teamkoordinator der Regionalgruppe Leverkusen/Köln namens »awolon — Das Trainerkollektiv« für Gewaltprävention und Deeskalation. Gähl hat schon viele Trainer*innen gegen Rassismus ausgebildet. Den Anspruch, den sich die Schulen in dieser Sache setzen sollten, formuliert er so: »Eine offene Haltung für neue Impulse und Selbsterfahrungen muss vorgelebt werden. Gleiches gilt auch für demokratische Denkkulturen und deren Meinungsfreiheiten. Diese sollte man im Schulsystem aufzeigen, fördern und neu wertschätzen lernen.« Dass diese Werte durch rechtspopulistische Kräfte zunehmend bedroht sind, sei besorgniserregend. »Die Aufklärungsarbeit und Trainings haben leider durch die gegenwärtigen Entwicklungen an Dringlichkeit gewonnen«, sagt Gähl. Das führe aber dazu, dass man Dinge, die man bisher als selbstverständlich ansah, verstärkt wahrnehme und zu schätzen lerne. »Die Gefahr, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu verlieren, hat zur Folge, diese sensibilisiert und kämpferisch zu verteidigen.«