Gezwungen, politisch zu sein
Kmpfsprt sind: Richard Meyer (Gesang, Gitarre), David Schumann (Gesang, Gitarre), Dennis Müller (Bass), Jan Gruben (Schlagzeug). Die Kölner Band hat 2014 ihr Debüt »Jugend mutiert« veröffentlicht und jetzt ganz frisch: ihr sechstes Album »Aus gegebenem Anlass« (Rookie Records/Cargo). Dass im Bandnamen die Vokale fehlen, ist programmatisch: Ihr Hardcore-Sound ist schnörkellos, was gestrichen werden kann, wird gestrichen. An einem Märzabend verabredeten sich David und Jan mit unserem Autor Jörg Klemenz im Proberaum.
Wie habt ihr um die Jahrtausendwende Köln musikalisch erlebt?
David: Eines Tages habe ich mich mit einem Kumpel einfach in den Zug gesetzt und wir fuhren nach Köln auf ein Punkkonzert ins Bürgerzentrum Ehrenfeld. Das war für mich wie die Reise in ein anderes Land. Einen der ersten Acts, die ich dort gesehen habe, war die US-amerikanische Hardcore-Band Slapshot. Als gebürtiger Bonner war Köln für mich immer dieses subversive Ding am Rhein. Später dann, während meiner langjährigen Arbeit bei Underdog-Records, haben wir viele Konzerte im Punk-, Hardcore- und Emo-Bereich veranstaltet. Was eine Band auf der Bühne sagt, ist das eine, was eine Band Backstage untereinander redet, das andere. Und eigentlich haben alle Bands immer O-Ton gesagt: »Köln ist die beste Show auf der Tour!« Bei den Konzerten im Underground tropfte der Schweiß von der Decke, am Ende sind viele Fans nach Hause gegangen und wollten selber ein Instrument spielen.
Jan: Die Herzensverbindung zu Köln bestand schon immer in mir, denn mein Vater ist Kölner. Bis heute ist es die einzige Großstadt, die mich reizt. Ende der 1990er-Jahre war Köln die Musikhauptstadt Deutschlands. Beinahe die gesamte Musikindustrie befand sich hier, an der Musikhochschule unterrichteten Top-Leute. Für mich persönlich war die Musikmesse Popkomm im Sommer das absolute Highlight im Jahr. Da atmete die ganze Stadt Musik. Als Kind der Eifel waren es für mich vor allem die zwei Kölner Hardcore-Bands Cobretti und Days in Grief, bei denen ich mir dachte: »Was ist das? Wie können Bands aus Deutschland so gut sein?«
Aber deutsche Punk- und Hardcore-Bands kamen doch Anfang der 2000er-Jahre nicht wirklich an den Sound der amerikanischen Bands heran, oder?
David: Das stimmt. Als deutsche Band glaubtest du damals immer, das Beste, was dir passieren könnte, ist Vorband für eine Ami-Band zu sein. Im Idealfall gingen die Zuschauer am Ende deiner Show Heim und sagten über einen: »Die waren ja gar nicht so schlecht.« Höher, so dachten wir, werde es wohl nicht gehen. Es mag Zufall gewesen sein, dass dann ab den 2010er-Jahren, als wir mit Kmpfsprt begannen, eine Art Wandel einsetzte. Auf einmal wurdest du als deutsche Hardcore-Band nicht mehr verglichen mit Bands wie Jimmy Eat World oder Hot Water Music. Wir haben versucht, uns mithilfe der deutschen Sprache selber stärker zu definieren und dadurch eigenständiger zu werden. Mittlerweile schaffen wir es zusammen mit Bands wie Adam Angst aus eigener Kraft, das E-Werk voll zu bekommen. Das hätte es vor noch 15 Jahren so noch nicht gegeben. Es fühlt sich gut an, als eigenständig wahrgenommen zu werden.
Ein Song von euch aus dem Jahr 2020 heißt »I hate Ehrenfeld«. Sind eure Wutgefühle mittlerweile abgeflaut?
David: Man darf das nicht falsch verstehen. Denn es handelt sich ja um ein Liebeslied ans alte Ehrenfeld. Mit »I hate Ehrenfeld« besingen wir das, was aus Ehrenfeld gemacht wurde und gemacht wird. Beispielsweise die Gentrifizierung generell, oder konkret das »Plattmachen« des Underground — der Laden, in dem wir alle erwachsen wurden —, beäugen wir äußerst kritisch. Daher ist der Hass auf das neue, moderne Ehrenfeld nicht abgeklungen, wo Kultur für teuren Wohnraum abgerissen wird.
Jan: Aber eigentlich geht es um viel mehr, als nur um das Underground. Die Werkstatt, die Papierfabrik, der Sensor Club, all diese Abrisse betrafen die gesamte Musikszene Kölns: die HipHop- genauso wie auch die Techno- oder die Punkrock-Szene. Den Subkulturen wurden wichtige Entstehungs- und Entwicklungsflächen genommen, denn gerade in so einer kulturell-musikalischen Gemengenlage gründen sich Bands. Auf kürzester Distanz konnte man von einer Musikwelt in die andere springen. Dass es das nicht mehr gibt, ist äußerst bedauerlich. Jetzt müssen sich Techno-Fans illegal irgendwo zu irgendeinem Brücken-Rave treffen.
Wird euer Proberaum-Komplex hier in Zollstock nicht auch bald abgerissen?
David: Genau. Noch zwei Monate, dann müssen wir hier raus. Das fühlt sich einfach nur schrecklich an. Mehr als zehn Jahre haben wir hier auf dem Gottesweg geprobt. Und nicht nur das. Vier Alben haben wir hier geschrieben, zwei Alben ein paar Meter weiter den Flur entlang in den Gottesweg-Studios aufgenommen. Während der Pandemie haben Jan und ich uns hier getroffen und Songs zusammen zum Leben erweckt. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, woanders zu sein. Aber schon bald werden wieder einmal zig Kölner Bands auf der Straße stehen. Von der Stadt wird keine Alternative angeboten. Damals sind wir alle nach Köln gezogen, weil wir von der vielfältigen Kultur begeistert waren. Und nun wird uns Kulturschaffenden das Wasser abgegraben. Irgendwann, so mein Gefühl, wird es hier nur noch Wohn- und Bürogebäude geben mit Menschen darin, grau, die abends nach Hause gehen, weil es sonst nichts mehr geben wird, wohin sie gehen könnten. Hinzu kommt, dass man schon ordentlich Geld verdienen muss, um sich einen der neuen Proberäume auf der anderen Rheinseite leisten zu können. Aber Hey, endlich ist Kultur wieder nur für Reiche da, so wie sich das gehört. Insgesamt ist es derzeit unerträglich, die städtisch-kulturelle Entwicklung in Köln mitzuerleben.
Eine politische Band zu sein haben wir uns nie ausgesucht. Eigentlich wollten wir früher nur eine Rock’n’Roll-Band seinDavid Schumann
Konservatismus sei eine Frage der Mentalität — und zwar der Liebe zu vergehenden Dingen, behauptete einst der britische Schriftsteller Roger Scruton. Ihr trauert den vergehenden Dingen auch hinterher. Seid ihr also konservativ?
David: Kommt darauf an, wie man den Begriff »Konservatismus« definiert. Erst einmal ist es ein Reizwort, das vor allem eine politische Haltung offenbart. Und zwar eine, die von rechts kommt. Die Republikaner und Donald Trump bezeichnen sich als konservativ, die AfD ebenso. Uns selbst würde ich als progressiv bezeichnen, sowohl politisch als auch lebensstilistisch. Wir gehen auf Demos gegen rechts, ein zentraler Bestandteil unserer Texte ist es, auf gesellschaftspolitische Veränderung aufmerksam zu machen: Weg von Kapitalismus, weg von Rassismus, hin zu einem menschwürdigen Leben für alle auf diesem Planeten. Verstehe ich konservativ aber als »bewahrend«, dann muss ich als alter Rock’n’ Roller zugeben, eben diese Musikrichtung ein Stück weit bewahren zu wollen. Dafür würde ich jedoch nicht das vergiftete Wort des Konservatismus benutzen.
Jan: Bewahren möchte ich die Werte, für die ich einstehe. Das sind vor allem Mitmenschlichkeit und Solidarität. Aber nicht im Sinne einer Solidargemeinschaft, die systemrelevante Banken retten muss, weil sonst alles vor die Hunde ginge. Wenn ich über sowas rede, komme ich mir oft wie ein romantisch-verklärter Volldepp vor. Und wenn jemand am rechten Rand steht, dann soll er gefälligst auch nicht sagen, dass er konservativ sei.
Apropos: »Das Ende aller Tage«, einer eurer Songs, sei ein Aufruf zum Widerstand und zur Solidarität, schreibt ein Magazin. Schließt ihr Gewalt als Mittel des Widerstands aus?
Jan: Platon sagte mal, dass es besser sei, Unrecht zu ertragen, als Unrecht mit Unrecht zu vergelten. Daher bin ich für Friedfertigkeit im Widerstand. Gewaltlos Widerstand zu leisten ist für mich die einzige Option.
David: Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Gewalt lehne ich auf persönlicher Ebene ab. Es gibt allerdings Situationen, in denen Gewalt durchaus ein legitimes Mittel zur politischen Selbstverteidigung ist. Antifaschismus kann nicht nur friedlich sein. Als privilegierter weißer Mann unserer Gesellschaft kann ich entspannt von vollkommener Gewaltlosigkeit sprechen. Aber sag das mal einer schwarzen Person, die von Nazis angegriffen wird, dass sie gewaltlos reagieren muss. Gewaltlosigkeit als Ideal erkenne ich an, aber ohne ein gewisses Maß an Gewalt kann man keine Veränderung durchsetzen. Frei nach der Prämisse der russischen Oktoberrevolution: So wenig Gewalt wie möglich, so viel Gewalt wie nötig. Aber die riesigen Demos hier bei uns in Köln gegen Faschismus waren das stärkste Zeichen, das ich in den letzten 20 Jahren gesehen habe.
Ist daher euer 5. Album »Aus gegebenem Anlass« noch politischer als die Alben davor?
David: Ja, leider. Eine politische Band zu sein haben wir uns nie ausgesucht. Eigentlich wollten wir früher nur eine Rock’n’Roll-Band sein. Wiedergefunden haben wir uns aber in eben der Welt, in der wir zurzeit leben. Und weil wir Songs über die Dinge schreiben wollen, die uns bewegen, kann man im Moment nicht nur über seine Ex-Freundin singen. Sondern eher über Menschen, die bombardiert oder auf den Straßen zusammengeschlagen werden. Das kann und darf uns nicht egal sein. Punkmusik ist und bleibt der Soundtrack zur Rebellion.