Die Kölner Jazz-Blase war viel zu elitär
»All we truly have is antonement song / We gotta keep on fighting« (Alles, was wir wirklich haben, ist ein Sühnelied / Wir müssen weiterkämpfen).
Benjamin Clementines Backgroundsängerinnen singen das am Ende von »Atonement«, bis sie zusammen mit den Streichern und der Hammond-Orgel irgendwann nicht mehr zu hören sind. Lieder kommen, wann sie es wollen. Ahmed Eid, Mitbegründer und Bassist der Band Bukahara dagegen ist an einen strengen Zeitplan gebunden, wenn er sich mit seinem Berliner Projekt ILYF auf Deutschlandtour befindet. Umso erfreulicher, wenn man den in Syrien geborenen und in Ramallah aufgewachsenen Musiker an einem lauen Frühsommerabend im Stadtgarten antreffen kann, um mit ihm ein bisschen zu plaudern. Natürlich über Musik. Aber auch über die aktuell sehr aufgeheizte gesellschafts- und geopolitische Situation und den militärischen Konflikt in Israel, im Gazastreifen und Westjordanland.
Der Elefant also während dieses Spaziergangs ist nicht nur locker-flockig nicht auszublenden, im Gegenteil: Er zieht wie ein zugekokster Wrestler an der Leine und trampelt jedes Gänseblümchen nieder. Noch nie war Fingerspitzengefühl gefragter als heute Abend. Daher wird auch nicht lange herumpalavert. Na klar groovt man sich ein, Ahmed braucht dafür als Auftakt so ein bisschen die »Woher-komme-ich-eigentlich-gerade-her?«-Geschichte, erzählt von seiner kleinen »Musikschule« für junge Talente in Ramallah namens »The Palestine Music Space«, die er mit viel Überzeugung in den letzten Jahren aufgebaut habe. Dieses Projekt habe er in Partnerschaft mit dem örtlichen Edward-Said-Konservatorium aus dem Boden gestampft und es solle insbesondere jungen Menschen aus Geflüchtetenlagern und der Area C im Westjordanland die Gelegenheit geben, ihre eigene Musik zu entwickeln. Dafür erhielten sie Zugang zu einem Proberaum, Instrumenten und Anleitung von Ahmed selbst. In Workshops und Einzelbetreuung sollen die Jugendlichen Songwriting und Band-Management lernen, mit Aufnahme und Produktion, PR und Marketing vertraut werden und auch eigene Konzerte organisieren. Ziel sei es, nachhaltige Strukturen für Bands und Musiker zu schaffen. Dafür lebe er während der ersten Hälfte des Jahres in Ramallah, erzählt Ahmed. Bei seiner Mutter.
Er wolle sein musikalisches Knowhow, das er sich in den Nullerjahren an der Kölner Musikhochschule am Kontrabass angeeignet hat und dessen bisheriger Erfolgshöhepunkt sich seitdem und bis heute in der »World Music«-Band Bukahara niederschlägt, an die »Gestrandeten« weitergeben. Das sei ihm eine Herzensangelegenheit. Das nimmt man dem attraktiven Typen in Hawaiihemd, Doc Martens und Takke ab. Sofort.
Ja, die Kölner Musikhochschule und Bukahara. Auf der zweiten Stadtpark-Runde in Höhe Gilbachstraße wird Ahmed ein bisschen nostalgisch. Wie das damals so gewesen sei mit ihm, Soufian, Max und Daniel Avi, verrät er. So richtig wohl gefühlt in dieser Jazz-Blase der Hochschule hätten die vier sich nie, das sei ihm persönlich alles viel zu elitär gewesen. Und zu wenig musikalische Identität habe er dort finden können. »Wir wollten Abenteuer-Songs spielen«, lacht er verlegen. Die Schweiz sei dann für sie als Straßenmusiker eine geeignete erste Adresse gewesen. »Die haben Geld«, kichert er. Das war dann damals in den Gassen Zürichs, Berns oder Luzerns ein ganz schön buntes Bild: Max aus Münster, Soufian mit tunesischem und Daniel Avi mit jüdisch-schweizerischem Kontext, und dann Ahmed aus Ramallah.
Raus aus dem Modernjazz-Mief habe er mit seinen Freunden gewollt, raus aus diesem auferlegten curricularen Korsett. Mit dieser Entscheidung sei er wahnsinnig glücklich gewesen und ist es heute noch, sinniert Ahmed, wobei: Auf dem Weg sei er permanent, ankommen werde er musikalisch wohl nie. Während er das so sagt, schaue ich gedankenverloren für ein paar Sekunden herüber zu meinem siebenjährigen Junior. Der läuft mit seinem Fußball ein paar Meter neben uns entlang. Ganz schön zufrieden, ganz schön bei sich und ganz schön in diesem Moment wirkt er. Die Halsbandsittiche über uns krächzen im Takt. Was wollen die?
So langsam kehre die Kreativität wieder in ihn zurück. ›Genug Input gibt es ja‹, erklärt Eid. Zynisch und wahr
Ahmed braucht auch die ständige Bewegung, die permanenten »Challenges«, wie er es formuliert, um aus diesem Dunst der Krisen seine Texte und seine Musik heraus entstehen zu lassen. Und er gibt zu: Das meiste, worüber er schreibt und singt, sei politisch oder gesellschaftskritisch. Antikolonial, Antipatriarchal. — Unser herumwütender Stadtpark-Elefant, also der 7. Oktober 2023 und alles, was mittel- und unmittelbar mit diesem Datum zusammenhängt, hat sich nun eigenmächtig der Leine entledigt und rennt trompetend orientierungslos von rechts nach links. Ruhig, Großer, flüstere ich ihm zu. — Zunächst, erzählt Ahmed, habe er nach dem fürchterlichen Angriff der Hamas für einige Zeit seine Instrumente und Tour-Planungen ruhen lassen. Von einer kurzzeitigen künstlerischen Schockstarre kann man da sprechen. Aber so langsam kehre die Kreativität wieder in ihn zurück. »Genug Input gibt es ja«, erklärt er. Zynisch und wahr.
Dass die Meinungsverschiedenheiten zum Nahost-Konflikt auch innerhalb der Musik-Community sowohl quanti- als auch qualitativ in die Höhe geschnellt seien, könne er nicht abstreiten. Inwiefern sich diese komplexe Gemengelage allerdings zukünftig in der Musik widerspiegeln werde, wisse er noch nicht so genau. Wo denn mein Junior nun sei, fragt Ahmed mittendrin. Ahmed ist jemand, der sich Sorgen macht. Generell ist der Mittdreißiger Wahlberliner eine Person, die aufmerksam die Dinge, die um ihn herum passieren, wahrnimmt. Aufsaugt. Genießt. Seine Rhetorik ist klar und ehrlich. Sein Habitus strahlt Verbindung aus. Ein paar seiner Fans sitzen etwas weiter weg auf der Wiese und rufen ihm »Ahmed, wie love you!« zu. Wie nur geht man mit so etwas um? »Ich freue mich euch gleich zu sehen!«, ruft er ihnen zurück. Ganz einfach.
Sonst ist wenig einfach zurzeit. Obwohl: Avi als Jude und er als Muslim kämen hervorragend miteinander klar, sie stünden auf derselben Seite. »Auf Avis Seite?«, muss ich Ahmed fragen. »Auf unserer Seite«, entgegnet er — der Elefant bleibt kurz stehen, schwingt seinen Rüssel hin und her. Das ist beunruhigend — und dann schießen Abstrakta wie »Freiheit«, »Friede« oder »Justice Quality« aus Ahmed heraus, weil er mit ihnen seine grundsätzliche weltpolitische Haltung untermauern möchte. Für all das, für noch viel mehr und für eine glasklare Benennung der Situation in Israel bzw. Palästina stehe er: »Das ist Siedler-Kolonialismus.« Avi, sein Bandkumpel und selbst Teil der jüdischen Gesellschaft, benenne das genauso. In der Ferne hört man die Flaschen der Fans klirren.
Apropos: Etwa 4000 musiksüchtige junge Menschen besuchten am 7. Oktober das Supernova-Festival in der westlichen Negev-Wüste zwischen Re’im und Be’eri. Es wurde zu einem Massaker, bei dem insgesamt 364 Festivalbesucher von rund 50 bewaffneten Hamas-Mitgliedern getötet wurden, kommt mir plötzlich in den Sinn. Ob Ahmed denn wüsste, dass die Hamas-Brigaden in Israel auf dortige Fans der Musik und des Lebens »wie auf Enten bei einer Jagd geschossen« (30.10.23 / Zeit online) hätten, frage ich ihn. Ja, das stimme ihn sehr traurig. Krank sei das. Aber das ganze System in dieser Region sei krank und es sei darauf ausgerichtet gewesen, irgendwann zu »explodieren«. Ahmed ist sichtlich berührt. Seine Stimme zittert ein wenig. Eine Rechtfertigung für solch ein Massaker gebe es nicht, erklärt er. Ebenso wenig wie eine für die jahrzehntelange Slumbildung im Westjordanland und im Gazastreifen.
Hoch emotional geht es weiter. Ahmed erzählt von dem einen Konzert in Bremen Ende Oktober, auf dem Avi sich für die generelle Sinnlosigkeit des Konflikts stark machte — »Es darf nicht sein, dass Juden und Jüdinnen Angst haben, durch die Straßen zu gehen, wenn sie erkennbar sind. Der menschenverachtende Krieg muss aufhören. Man muss den Palästinensern zuhören« — und währenddessen von einigen Zuschauern als Antisemit beschimpft wurde. Nach einem Song des Duos kam es schließlich zu einem Zusammenbruch für Avi und Ahmed. Sie blieben kurz hinter der Bühne. Sänger Soufian spielte weiter. Er sagte: »Es ist so fucking intensiv alles«.
Am Ende hat sich der Elefant erschöpft unter einen großen Ahornbaum gelegt. Und auf dem Weg nach Hause spreche ich mit meinem Junior noch ein bisschen über das schwierige Interview. Spontan fällt ihm dazu ein: »Unser Klassenlehrer sagt immer, wenn wir uns streiten, sollen wir danach miteinander reden.« Gut ist das.