Brontë-Schwestern: Zwei lässige True-Crime-Podcasterinnen. Foto: Laura Thomas

Lifestyle-Banalisierung des Bösen

Regisseur Frederik Werth legt tiefe Schichten von ­Brontës »Wuthering Heights« offen

Emily Brontës Roman »Wuthering Heights«, Sturmhöhen, gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. Wer die Story für eine romantische Fantasy-Liebesgeschichte in den düsteren Hochmooren von Yorkshire hält, als die sie häufig vermarktet wird, liegt aber falsch: Häusliche Gewalt, Rassismus, Missbrauch und Ungleichheit beherrschen die düstere Handlung, die aus der Perspektive von Amme Nelly und Pächter Lockwood erzählt wird.

Regisseur Frederik Werth hat aus den beiden zwei lässige True Crime-Podcasterinnen der Gen-Z gemacht. Oder sind es die Brontë-Schwestern der Gegenwart? In rostbraunen Retro-Outfits vor gleichfarbigem Vorhang sitzen die Schauspielerinnen Anja Kunzmann und Alina Rohde vor ihren Mikros, trinken Spezi und plaudern uns lässig kichernd die Handlung vor. Die eine darf Theorien verkünden, die andere Bilder umdrehen und beschreiben — »Weird Crimes« oder »Mord auf Ex« lassen grüßen, die ganze Lifestyle-Banalisierung des Bösen. Doch immer mehr Störungen, Machtgefälle, Neid und Meinungsverschiedenheiten schleichen sich ein in die glanzvolle Selbstdarstellung der beiden, die übrigens brillant und ziemlich komisch spielen. War die vermeintlich so böse Hauptfigur Heathcliff etwa eine »Person of colour«, der sich für Versklavung und Verschleppung rächt? Und was sagt das über Rassismus aus? Was bedeuten die Klassen- und Standesunterschiede im Roman?

Mal rauscht eine wütend raus, während die andere heimlich deren Notizzettel checkt. Mal winden sie sich in Wiederholungsschleifen auf ihren Sitzen, während hinter ihnen banale Videos mit Scones und Tee laufen — und natürlich der ewige »Wuthering Heights«-Evergreen des britischen Popstars Kate Bush. Und irgendwann haben sie sich in gruseligen Wolfsmasken selbst in jene Geister verwandelt, als die das verlorene Liebespaar Cathy und Heathcliff dann doch noch zusammenfinden, befreit von Regeln und Formen.

Werth macht in seiner Inszenierung den spannenden Versuch, die tieferen Schichten des Romans offenzulegen, ohne sich mit der Handlung aufzuhalten, die allenfalls zu erahnen ist. Er beschäftigt sich mit der verqueren Rezeptionsgeschichte, mit kolonialem Rassismus — selbst Straßenschilder von Köln kommen zur Sprache — und dem Ursprung von Gewalt und vererbtem Trauma. Das ist ambitioniert für 70 Minuten. Aber es ist gut gespielt, ungewöhnlich, witzig und sehenswert. 

27.9., Theater im Bauturm