The Real Pop
Erklären und Schunkeln
Sommer im Rheinland: Auf Marktplätzen und Wiesen lassen sich kölsche Barden und Coverbands gegenseitig den Vortritt. Es wird gefeiert, als wären die Bläck Fööss ewig jung und die 30 Jahre alten Hits immer noch die besten. Zwischendurch geht es sehr ernsthaft um Gehalt und Geschichte der Songs. Was ist das für eine eine eigenwillige Form von Pop?
Felix Klopotek hat Antworten in Siegburg gefunden
Siegburg im Juli 2024: Der Marktplatz ist voll, und Björn Heuser hat das Publikum im Griff. Ein Hit folgt auf den nächsten — das ist die Voraussetzung. Aber die Kunst ist, dass das Publikum bei der Stange bleibt, dass sich wildfremde Menschen unterhaken, schunkeln und mitsingen. Dann wieder muss die Stimmung gebremst werden, es soll ja nicht eskalieren. Die Leute sollen sich nicht zu früh verausgaben, zu viel Überschwang führt zu Kontrollverlust. Heuser spielt eine Ballade. Die Songs gleiten ineinander über, zehn Minuten später wird aus der melancholischen Ballade »Drink doch eine met« der notorische Partykracher, bei dem das Publikum die Pause nach »Du steihs he de janze Zigg eröm« mit dem falschen Schlachtruf »Zigg/Zigg/Zigg eröm« auslöscht.
Wir kennen sie alle: Bläck Fööss und die Höhner, Brings und Willi Ostermann, zwischendurch schmuggelt Heuser ein Stück von sich in den Reigen der kölschen Hits. Beim »Siegburg Sommer Live 2024« erleben wir diese Seite von Björn Heuser. Es ist seine bekanntere. Die andere ist der kölsche Liedermacher, der »Stadtmusikant«, wie er sich selbst sieht, für den seine Songs Tagebucheinträge aus dem Leben zwischen Körnerstraße und Poller Wiesen sind.
»Du kannst aufschreiben, was du willst. Kannst Figuren erfinden, Geschichten… niemand kann sagen: richtig oder falsch. Das ist das Schöne am Songwriting«, sagt Heuser im Gespräch. »Am Anfang das weiße Blatt Papier — großartig. Du kannst es füllen, wie du willst.« Mit diesem persönlichen, freundlichen, bisweilen introspektiven Programm ist er auch unterwegs, aber dann spielt er vor hundert oder zweihundert Leuten. Heuser — der Star, der Rocker, der Publikumsmagnet: Das geht nur mit den »Big Hits«, sagt er, mit seinen Coverversionen.
Aber Cover ist nicht gleich Cover, Marktplatz nicht gleich Marktplatz, jedes Sommerfest ist ein bisschen anders. »Was kennt wer wo? Das ist immer spannend. Bei den Bläck-Fööss-Klassikern sind alle dabei. Aber ein Song wie ›Tommi‹ von Annenmaykantereit — das darf in Köln bei keiner Show fehlen, das ist fast schon auf dem Weg das neue ›En unserem Veedel‹ zu werden. Nur — in der Eifel braucht man damit nicht zu kommen. Dann ist Stille. So was kommt vor. Und ändert sich in zwei Jahren oder so. Dann will man auch in Bad Münstereifel ›Tommi‹ hören«, sagt Björn Heuser. Heuser, 42 Jahre alt, hat die meisten dieser Jahre in der Körnerstraße verbracht und bald sein 30-jähriges Bühnenjubiläum. Er profitiert von dem enormen Boom, den kölsche Tön seit zehn Jahren abseits intellektueller oder medialer Pop-Diskurse erleben. Nicht nur Bläck Fööss und die Höhner sind deutschlandweit bekannt: »Mittlerweile hat Musik aus Köln die aus dem süddeutschen Raum auf der Beliebtheitsskala abgelöst«, beobachtet Heuser. »Kasalla spielen ausverkaufte Deutschlandtourneen, oder nimm Miljö — in Frankfurt ist deren Konzert ausverkauft. Queerbeat spielen auf Festivals vor 70.000 Leuten.« Man kann sagen: Um 1970 herum hielt mit den Bläck Fööss der Pop, genauer: die Beatles-Ästhetik, Einzug in den Karneval; heute ist es andersherum — der Erfolg kölscher Bands steht für eine Karnevalisierung, eine Verschunkelung von Pop- und Konzertkultur. Ein vor Sentimentalität zerfließender Hit wie »Tommi«, den Annenmaykantereit doch gar nicht nötig hätten, steht dafür exemplarisch. Und man darf nicht vergessen: Die kölsche Pop-Schunkel-Kultur gibt sich betont tolerant, sexistische Witzchen und Deutschtümelei, ein Härtekult mit Rammstein-Anleihen: Das verbietet sich eigentlich — auch wenn Stadtrevue-Autor Jörg Klemenz das anders erlebt hat (s. Seite 27). Heuser betont auf jeden Fall, wie wichtig ihm sein Engagement in der »Arsch huh«-AG sei.
»Man muss es wirklich so sagen: Köln als Stadt ist einfach sehr beliebt«, sagt Heuser. Tatsächlich scheint der Lokalpatriotismus für Köln keine Grenzen zu kennen — in Siegburg oder Aachen, in Geldern, Boppard, Pulheim oder Troisdorf. Die Vermutung, dass im Umland die Stimmung generell kölschfreundlicher und aufgekratzter als in Köln sei, möchte Heuser aber nicht teilen. Er verweist auf seine wöchentlichen, bis auf den letzten Platz gefüllten Brauhaus-Konzerte. Nur ist die kölsche Feierfreude in Köln selbst in ein sehr internationales, sehr differenziertes und vielfältiges Musikleben eingebettet, das es hierzulande sonst nur in Berlin gibt. In Siegburg dagegen ist man auf Heuser angewiesen — oder auf Sir Williams.
Sir Williams ist eine Robbie-Williams-Tributeband aus Bonn. Robbie Williams, ehemaliger Boygroup-Star, feierte um die Jahrtausendwende und in den Nuller Jahren große Erfolge. Heute spielt er hinter Taylor Swift und Billie Eilish, Beyoncé und den nie enden wollenden Abschiedstourneen von Depeche Mode in der zweiten Reihe des Konzertbusiness vor 15.000 anstatt vor 50.000 Fans. Aber wenn Sir Williams die alten Songs intonieren, stellt sich schnell das Aha-Erlebnis ein: Ja, das waren wirklich mal Hits, die kennt man doch!
Auch Sir Williams wollen den Marktplatz rocken, der Sänger verspricht für das zweite Set den »Abriss«, also: die ultimativen Party-Kracher. Es geht dann aber so weiter wie zuvor, kein Verantwortlicher der Stadt Siegburg muss Randale befürchten. Der Vergleich beider Konzerte, Heuser und Sir Williams, fällt für Heuser aus. Das soll kein negatives Urteil über die sympathisch unangestrengten Sir Williams sein, die auf der Bühne viel Spaß haben, der sich auch auf das Publikum überträgt. Es ist nur so, dass die Stücke von Williams einer bestimmten Epoche angehören und sie jenseits dieser Zeit an Attraktivität eingebüßt haben. Kölsche Tön zeichneten sich dagegen schon immer durch hemmungsloses Wildern in anderen Genres aus. Ob Shantys oder Ska, Alternative Rock oder (pseudo-)russische Folklore, Beatles-Anleihen oder Country-Arrangements: Alles wurde und wird verwurstet; das macht die Musik so anschlussfähig. Dementsprechend ist das Publikum bei Heuser gemischt, während es bei Sir Williams von 45- bis 55-jährigen Pärchen dominiert wird, deren Jahre der großen Liebe mit den Welthits von Robbie Williams zusammenfallen.
Es mag Unterschiede geben, Konjunkturen (ob in zehn Jahren kölsche Tön immer noch so beliebt sind? Feiert Robbie Williams sein Comeback?) — vielleicht kann man dennoch zu einer These kommen: Auf den Marktplätzen und Sommerfesten im Umland wird Popkultur anders gefeiert, enthusiastischer und zugleich ernsthafter. Was ist damit gemeint? Das lässt sich am besten persönlich erklären. Denn manchmal erlebt man Alltägliches als etwas völlig Überraschendes, als einen Knacks in den Narrativen, die man sich so zurechtgelegt hat, um durchs Leben zu manövrieren.
Das widerfuhr mir vor einigen Jahren in Haan. Haan ist eine recht hübsche Kleinstadt zwischen Düsseldorf und Wuppertal. Die Gegend kenne ich gut. Hier fängt das Bergische Land an, auf einigen Haaner Höhen kann man majestätisch weit in die rheinische Bucht gucken. Bei einem meiner Besuche fand zufällig ein Sommerfest auf dem — Überraschung — Marktplatz statt. Der übliche Rummel, vorne eine Bühne und schon nach wenigen Metern die Wurst- und Altbier-Stände. Auf der Bühne spielte eine Band, die schnell als Genesis-Coverband zu identifizieren war. Der grauhaarige Sänger trug Bundfaltenhose und Freizeithemd mit bizarrem Muster, maximal unglamourös. Aber dann passierte es. Das Lied endete, doch anstatt mit einem bemüht lockeren Animationsspruch zum nächsten überzugehen, hob der Sänger zu einer längeren popmusikalischen Einordnung an: Wann das Stück eingespielt wurde, wie die Band damals harmonierte, ihre Zweifel, das Stück, als Hitsingle zu veröffentlichen, die harte Arbeit im Studio, schließlich der Erfolg — die Single ging auf Nr. 1. Und vor dem nächsten Stück: das gleiche Szenario, der Sänger lieferte eine detaillierte Einordnung des Songs in das Gesamtwerk der Band.
Da habe ich nicht schlecht gestaunt. Pop-Diskurs beim Vorstadtrummel? Dass Cover- und Tribute-Bands mit länglichen Ansagen aufwarten, die Songs erklären, kleine Ratespiele veranstalten, welcher Song wohl als nächstes kommt, und die glorreichen Zeiten der verehrten Vorbilder beschwören, ist die Regel, wie ich später erfuhr. Auch Sir Williams sparen nicht mit Hinweisen auf die Künstlerbiografie ihres Stars.
Coverbands simulieren nicht, behaupten keine Anverwandlung, sondern setzen sich in ein Verhältnis. Ihre Stärke liegt nicht in der Originalität, sondern im Gegenteil: dass sie sich jahrelang mit den Originalen auseinandergesetzt und ihre Musik durchdrungen haben — »ehrliches Handwerk«, wie auch Björn Heuser bestätigt. Bei den Leuten im Publikum, die häufig die Logos der Firmen, für die sie arbeiten — Maschinenbau, Logistik und Elektroindustrie —, auf den Shirts tragen, kommt das gut an. Die Bands wollen mit dem Publikum eine Party feiern, die großen Hits beschwören, eine gute Zeit haben. Gleichzeitig sind sie stolz, dass sie die »Message« der Bands, ihren »Spirit«, was immer das sein mag, verstanden haben und sie sich diesen aneignen konnten. Das wollen sie zeigen.
Dass auf den Sommerfesten und Marktplätzen nur eine Minderheit den Konzerten von Anfang bis Ende zuhört, ist egal und scheint die Bands nicht weiter zu stören. Man hört ihnen für zwei, drei Lieder zu oder merkt auf, wenn der ganz große Hit von früher gespielt wird. Vor allem geht es um Bier, Wurst und den Schnack mit den Nachbarn, man knutscht auch ein bisschen. Popkultur ist hier extrem niederschwellig. Man kann immer einsteigen, man kann immer gehen. Rückwärtsgewandt ist sie auch: Was wir vor 30 Jahren gehört haben, war voll okay. War doch schön damals!
Richtig, das erinnert an die alte WDR-2-Ästhetik, an die ewigen Sendungen von Roger Handt, in denen der Moderator noch die abgedroschensten 70er-Hitsingles mit bescheidwisserischen Anmoderationen und manchmal sogar interessanten Einordnungen adelte. Aber Handt moderiert seit zehn Jahren nicht mehr, und kein Mensch unter 50 wüsste noch, was diese WDR-2-Ästhetik sein soll. Auf den Marktplätzen wird das aber noch praktiziert: Schunkelhits, nostalgischer Pop und große Gefühle — immer mit Erkläransagen.
Die Mischung ist, wie man im Rheinland sagt: »an und für sich« nicht schlecht. Es wirkt wie ein Korrektiv, wie Urlaub von einer überfeinerten Großstadtkultur, man lernt einiges dabei. Dass Genesis zu ihrer Zeit alles richtig gemacht haben, verkraftet man am besten bei einer Bratwurst.
Die Räuber vor den Toren Kölns
Jörg Klemenz besuchte einen kölschen Abend im Aachener Umland und spürte, wie das Unbehagen in ihm hoch kroch
Betritt man morgens gegen 10 Uhr die Florentiner Kaffeemanufaktur »Ditta Artigianale Sant’Ambrogio«, die erst vor kurzem im frisch restaurierten Klosterkomplex Monastero di Sant’Ambrogio auf der Via Giosuè Carducci eröffnete, fällt neben dem unwiderstehlichen Geruch von Kaffeebohnen vor allem eins auf: die gute Musik, die dezent aus den Lautsprechern tönt. »Everywhere« von Fleetwood Mac etwa oder »Jazz Ain’t Nothing But Soul« von esperanza spalding. Am Ende dieses wundervollen Songs singt Spalding »For me, jazz is all the truth to be found / Never mind who’s puttin‘ it down«: »Für mich ist Jazz die einzige Wahrheit, die man finden kann. Egal, wer ihn spielt«.
Zwei Wochen zuvor, auf dem Sommerfestival in Walheim am Stadtrand von Aachen, ist von Jazz keine Spur. An diesem Samstagabend soll die kölsche Band Räuber im Rahmen ihrer »Dreimolelf«-Tour als Hauptact den rund 800 Zuschauern so richtig einheizen. Die fünf Musiker gehören seit 33 Jahren zur »Top-Liga der kölschen Bands«. Lieder wie »Eigelstein«, »Denn wenn et Trömmelche jeht« oder »He am Rhing« kennen wohl nicht nur eingefleischte Fans der Kölner Schunkelfraktion. Bei einem bekannten Musik-Streamingdienst kommen sie auf mitunter mehr als neun Millionen Klicks. Und mit den Singles »Wigga Digga« und auch »Oben Unten« haben sie erst vor kurzem wieder einmal bewiesen: Die vier Jungs um Sänger Sven West verstehen es auch nach so langer Zeit noch immer, sich musikalisch zu transformieren, sich »neu zu erfinden«, gemäß ihrem Motto »Räuber 3.0«.
Aber genug der beschwingenden und kommerziellen Termini! Die letzten Zeilen sind über weite Strecken direkt oder indirekt zitiert; man könnte auch sagen, sie sind geklaut. Und die Band, die Anfang der 1990er-Jahre unter anderem von Keyboarder Kurt Feller (Captain Kurt!) mitbegründet wurde, liest sie mehrmals im Monat in irgendeiner Zeitung. Wahrscheinlich. Unklar ist, ob sie aus der Feder von Michael Brand stammen, dem Manager der Räuber. Aber sein Job wäre es, eben diese und ihre Musik im bestmöglichen Licht darzustellen. Das Bühnenlicht an diesem 13. Juli zumindest scheint kraftvoll über den Kopf des Schlagzeugers Thommy Pieper hinweg und hinein in den Wald, der das Festivalgelände umschließt.
Apropos Festivalgelände: Die Szenerie an einem solch dunklen Ort ist nicht unbedingt etwas für schwache Nerven. Schafft man es irgendwie über abgelegene Pfade zur großen Lichtung des Spektakels, wird man von dumpfen Bässen und Sounds à la »Schöckelpääd« (ein Song von Miljö) herzlich begrüßt: »Ich wääd zum Aap un flippe us / Hey, hey, yippie, yippie yeah, yeah.« Geil. Also für die oder den, die oder der sowas mag. Mit »sowas« ist auch der deutsche Partyschlagersänger und Alleinunterhalter Peter Wackel gemeint, der mit seinen Songs — »Erika (komm mit mir nach Amerika)«, »Scheiß drauf! Mallorca ist nur einmal im Jahr«, »Schwarze Natascha« oder »Bier her« — seit 1999 regelmäßig in den nationalen Charts vertreten ist. Der habe schon am Abend zuvor hier gespielt und die Messlatte für den heutigen Abend ziemlich hoch gelegt, erzählt mir der Mann am Tickethäuschen.
Von weitem erkennt man schon die beiden Sprinter-Tourbusse der Band. »Räuber« steht auf ihnen in weißem Schriftzug auf schwarzem Hintergrund und dem für die Band typischen roten Kreuz . Früher hinterließen Räuber bei ihren Raubzügen oft ein Zeichen, um ihr Gebiet zu markieren und Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Peter Wackel habe hier gestern schon seinen Stempel hinterlassen, sage ich zu Michael Brand. »Wird das heute daher nicht eine Monsteraufgabe für euch?« Michael ist ein lockerer Typ. Und weil das so ist, grinst er nur verlegen in sich hinein. »Meistens haben es die Räuber bisher verstanden, das Publikum zu begeistern«, entgegnet er. Und fügt noch hinzu: »Das wird auch heute so sein.«
Selbstbewusst ist das. Oder einfach nur so ein Gefühl. Wer weiß das schon? Wobei, das mit dem Gefühl kann schon stimmen. Begleitet er die »Für die Iwigkeit«-Truppe doch auch schon eine halbe Ewigkeit. Da erlebe man so einiges, erzählt Michael, der so ein bisschen wie ein Kölscher George Michael aussieht. Und mit jedem seiner Räuber würde er doch glatt in den Urlaub fahren, sprudelt es noch aus ihm heraus. Das ist mal ein Statement. Dazu gibt’s ein frisch gezapftes Kölsch und eine Currywurst im Backstage-Zirkuszelt, das ausschließlich den VIP-Gästen des Festivals vorenthalten ist. Unter ihnen tummeln sich auch Anhänger von Detlef I., dem Stolberger Karnevalsprinzen der kommenden Session 2025, der mit bürgerlichem Namen Detlev Bey heißt und in Stolberg eine kölsche Kneipe, das »Kölsche Eck«, führt. »Los os fiere« lautet sein Motto und das seines Hofstaates. Nicht originell? Vielleicht. Aber passend. Denn: Ehe man sich versieht, stehen die Räuber auch schon auf den Brettern, die in der Provinz das Köln bedeuten. Und dort werden sie von Doris, Silvia und ihren restlichen Fans, die nun schon zum Teil mehrere Stunden bei nicht allzu sommerlichen Temperaturen samt einigen Regenschauern im matschigen Gras vor der Bühne ausgeharrt haben, frenetisch umjubelt. Erstaunlich, wie textsicher die gesamte Waldlichtung »Ming janzes Levve lang«, »He am Dom« oder »Die Vögelein vom Titicacasee« mitzusingen imstande ist: »Ach Mägdelein, ach Mägdelein, wenn ich Dich vor mir seh / wär ich so gern ein Vögelein vom Titicacasee.«
Doris und Silvia sind zwei Mittsechzigerinnen. Sie sind heute Abend nur angereist, um die Räuber zu unterstützen, sagen sie. Schon von Beginn an seien sie Fans der kölschen Kultband gewesen. Während sie das erzählen, leuchten ihre Augen. Zu einem längeren Gespräch kommt es so kurz vor Showtime — natürlich — nicht. Als Andreas Dorn alias Schrader (Gitarre) die ersten Akkorde von »Alle für Kölle« und Sven West (Gesang) zusammen mit dem Rest der Band »Einer für Alle, fest vereint / Keiner bliev allein!« anstimmt, sieht man Doris und Silvia in ihren Räuber-Shirts nur noch von hinten. Ein gutes Stichwort. Auch ich beobachte das Geschehen mit etwas Abstand von weiter hinten.
Überhaupt ist Abstand stets ein guter Ratgeber, auch und vor allem in dieser tollhaus-artigen kölschen Nacht auf dem Freizeitgelände Walheim irgendwo zwischen der Inde und dem Pannekogweg. Wird doch viel herumgegrölt links und rechts des Konzerts, besonders laut und befremdlich wird das männliche Gehabe bei der Art Liedgut, bei dem Frauen zum Objekt stilisiert und überhöhter Alkolkonsum ausschließlich als Kavaliersdelikt verstanden wird. Antiquiert, fernab jeglicher Debatten wirkt das Ganze. Junge Kellnerinnen im Zirkuszelt gehen bei Räuber-Versen wie »Über 7 Liter musst du geh’n, dann wird deine Frau auch wieder schön« oder »Am Eigelstein es Musik, am Eigelstein es Danz / Jo do pack dat decke Rita däm Fridolin am Trallalalalala« noch ein bisschen unbehaglicher durch die Reihen, als sie es sowieso schon tun.
Das alles ist nicht unbedingt typisch für »die Provinz«. Das alles ist nur ein Stückchen weiter weg von allem und jedem. Später, auf dem schmalen Waldweg Richtung Auto höre ich noch Peter Wackels Stimme aus den Festival-Boxen dröhnen, weil die Räuber eine Pause einlegen: »Ja, wenn die Burschen singen und die Klampfen klingen / Und die Mädels fall’n drauf rein, Diese dummen Dinger / Was kann das Leben Schöneres geben?« Ich wüsste da einiges.