Alles eine Frage des Willens: Geordie Greep

Abstoßende Charaktere, herrlicher Kitsch

Geordie Greep, Sänger und Gitarrist von Black Midi, entwirft sich als exzentrischer Solokünstler neu

Als (ehemaliger) Frontmann der experimentellen, ultrasympathischen, schlichtweg großartigen Artrock-Band Black Midi wurde der 25-jährige Londoner Geordie Greep zu einer der spannendsten Figuren am britischen Musikhimmel. Doch jetzt, wo Black Midi Geschichte zu sein scheinen, hat Greep nochmal ein höheres Level erreicht und mit »The New Sound« ein vordergründig bescheiden betiteltes — und extrem großartiges Solodebüt veröffentlicht. Es ist elegant, komplett verrückt und dürfte eines ­der Alben des Jahres werden. Wir trafen Geordie Greep zum Interview und sprachen mit ihm über Gitarren­soli, alte Hollywood-­Filme, musikalische Komplexität und Steely Dan.

Die erste Frage betrifft den Titel deines Soloalbums: »The New Sound«. Spielst du damit auf das gewünschte Ziel an, das du während der Aufnahmen erreichen wolltest?

Definitiv! Aber der Titel ist nicht komplett ernst gemeint; ich will keineswegs sagen, dass solche Musik nie zuvor ge­macht wurde. Doch es war trotzdem meine Mission, einen Sound zu erschaffen, der sich — zumindest für mich — komplett neu und anders anfühlt. Ich war also sehr ambitioniert.

Mich würde der Unterschied zwischen der Entstehung eines Soloalbums und der Arbeiten mit einer Band interessieren …

Der Hauptunterschied ist, dass mir alle Türen offen stehen und ich nur mir selbst gegenüber eine Verantwortung hab. Alles, was falsch läuft und sich als Desaster herausstellt, wäre meine eigene Schuld. Das gefällt mir, denn in einer Band entstehen häufig unausgesprochene Reibungen.

Ist diese Verantwortung nicht auch beängstigend?

Klar — denn wenn etwas schiefgeht, würde das be­­deuten, dass ich schlichtweg nicht gut genug bin. Aber irgendwie fühlt es sich richtig an, entgegen aller Erwartungen und ganz alleine zu versuchen, Erfolg zu haben. Mir gefällt das deutlich besser, als in einer Band zu sein.

Du hast die Musik von Black Midi mal mit Boxen verglichen. Mit welchem Sport würdest du »The New Sound« vergleichen?

Naja, Boxen ist der einzige Sport, der mir gefällt. Ich würde das Album also mit keinem Sport vergleichen, der mir nicht gefällt. Vielleicht ist »The New Sound« einfach besseres, eleganteres Boxen.

Ich dachte an Tanzen …

Vielleicht — oder Eiskunstlauf.

Du singst häufig über unsympathische Figuren, mit denen man im echten Leben nur ungern Zeit verbrächte. Woher kommt deine Faszi­nation für abstoßende Charaktere?

Es sind oberflächliche, angeberische Figuren, die niemals diese Art von eleganter Musik hören oder gar singen würden. Ich fand es immer schon witzig und interessant, diese Charaktere in den Kon­text solcher Songs zu bringen — und ihnen eine stilistische Stim­me zu geben, in der sie sich ei­gent­lich nie ausdrücken würden.

Musikalisch fühlt sich das Album wie ein alter Hollywoodfilm an, doch in diesen Filmen würden niemals solche Charaktere vorkommen …

Allerdings konnte man solche Charaktere immer schon im Hintergrund erahnen — selbst wenn es nur die zwielichtigen Industrieleute sind, die solche Filme gemacht haben. Häufig spürt man einfach eine gewisse Schmierigkeit, selbst in den sex- und ge­walt­freien, scheinbar kinderfreundlichen Filmen der 1950er Jahre. Denn viele der damaligen Schauspieler kämpften im Zweiten Weltkrieg und haben höchstwahrscheinlich Leute umgebracht; wie James Stewart, der Bomberpilot war.

Würdest du sagen, dass die Figuren in deinen Songs etwas verstecken und ihre Unsicherheit durch Macho­verhalten überdecken?

Auf jeden Fall — und mit gigantischen Arrangements, durch die sie sich selbst in ein gutes Licht rücken wollen. Ich hab ein paar solcher Leute getroffen, doch in meinen Songs kommt immer eine fiktionale Ebene dazu.

Wie ist es dazu gekommen, dass du »The New Sound« teilweise in Brasilien aufgenommen hast?

Ich war dort mit Black Midi auf Tour und hatte ein paar Tage frei. Ur­sprüng­lich wollte ich eine Session mit Latin-Musikern aus London starten, doch dann dachte ich: Ich bin in Brasilien, warum mache ich das nicht hier?! Wir haben recht schnell eine Truppe aus Musikern zusammengetrommelt, und das Aufnehmen hat sich sofort mühelos angefühlt, weil sie echt enthusiastisch und diszipliniert waren. Ich hab beispielsweise nie zuvor einen Drummer getroffen, der so sehr in einem simplen Backbeat aufgegangen ist, fast wie eine Drum Machine. Jedenfalls war es das erste Mal, dass ich etwas in dieser Art ge­macht habe: Mit Menschen arbeiten, die ich vorher nie getroffen habe. Mir wurde klar, wie einfach sowas mög­lich ist — und wie sehr ich diesen Arbeitsprozess dem Aufnehmen mit einer festen Band vorziehe. Mit Black Midi wollten wir immer alles ausreizen: crazy Lyrics und crazy Drums und crazy Bass und crazy Gitarren, alles auf einmal.

Alles muss richtig sein, nichts darf ­kitschig ­klingen: Diese Ein­stellung halte ich für schädlich Geordie Greep

Ich liebe dein Gitarrenspiel auf »The New Sound«. Was ist dein Ansatz, auch im Vergleich zu Black Midi?

Mein Gitarrenspieler ist hier viel offener, fast wie bei Pat Metheny. Es ging mir viel mehr darum, eine neue Atmosphäre zu erschaffen und viele verschiedene Dinge auf der Gitarre auszuprobieren. Außerdem gibt’s einige Gitarrensoli auf dem Album, was bei Black Midi nie der Fall war. Niemand hat heutzutage noch Gitarrensoli in seiner Musik, doch ich liebe ein gutes Solo!

In deiner Musik sind Dinge wie Komplexität und Können häufig so überwältigend, dass die Songs sich dadurch humorvoll anfühlen. Ist das etwas, das du ganz bewusst machst?

Auf jeden Fall, ich mag instrumentale Jokes innerhalb meiner Songs — Momente, die irgendwie komisch oder lächerlich sind. Zu viel Musik ist heutzutage davon besessen, geschmackvoll zu sein: Alles muss richtig sein, nichts darf kitschig klingen. Das halte ich für schädlich, denn viele meiner Lieblingsmusiker haben sich nie dafür interessiert. Stillose Dinge sind häufig cool und haben schlichtweg Swag! Das ist das Zeug, an das man sich erinnern wird.Es gibt so viele Alben, die gute Kritiken bekommen, aber man wird sie schnell wieder vergessen, weil zwar alles daran gut ist, aber nichts Verrücktes darin steckt. Bei der besten Musik aller Zeiten war es meistens so, dass sie auch völlig schlimm hätte werden können. So viel moderne Indie-Musik ist leer, übertrieben schlicht und uninspirierend. Viele Leute haben Angst davor, irgendetwas zu wagen. Geschmackvoll ist langweilig, wohingegen Kitschiges oft cool sein kann. Nur die allerwenigste Rockmusik traut sich noch, kitschig zu sein — dabei ist die beste Musik aller Zeiten immer schon kitschig gewesen!

Mein Lieblingsmoment auf dem Album ist, wenn du in »Holy, Holy« singst: »And I want you to ask the waiter if I really am who I say I am«. Bei dem Wort »am« kommt nämlich ein Akkordwechsel, den man definitiv kitschig nennen kann …

Ja, das ist ganz genau das, was ­ich meine! Es fühlt sich einfach gut an.

Kritiker haben den Song »Holy, Holy« mit Steely Dan verglichen. Was sagst du zu diesem Vergleich?

Das ist in Ordnung. Steely Dan waren eine fantastische Band und sie haben wirklich hart gearbeitet. Komischerweise gelten sie erst seit ein paar Jahren als gut, denn vorher galten sie als so etwas wie die uncoolste Band aller Zeiten. Leute hielten ihre Musik für blödsinnigen Müll, doch jüngerer Generationen haben die Band für sich vereinnahmt. Etwas Ähnliches ist mit Fleetwood Mac passiert …

Die letzte Frage betrifft das Al­bum­cover: Es fühlt sich romantisch, aber auch brutal an. Existiert für dich eine Verbindung ­zwischen Romantik und Gewalt?

Denn in deinen Lyrics scheint das ebenfalls durch … Nicht unbedingt. Aber ich mag Dinge, welche die Grenzen zwischen Schönheit und Perversion überschreiten. Dieses Bild ist irgendwie schrecklich, aber auch wunderschön. Viele meiner Lieblingsautoren sind Leute, die auf schöne Weise über banale, abstoßende Dinge geschrieben haben.

Tonträger: Geordie Greep, »The New Sound« (Rough Trade/Beggars Group/Indigo), ist bereits erschienen