Picknick am Wegesrand: Tovte © Niclas Weber

Bukowinisches Bandgefüge

Tovte graben nicht nach Wurzeln, sondern sind unterwegs auf den musikalischen Routen und Kreuzungen Osteuropas

Tovte — klingt das nicht nach Skandinavien und Astrid Lindgren? Weit gefehlt, wie die Bandmitglieder Tobias Gubesch (33), Leonhard Spies (35) und Silas Eifler (37) im Gespräch aufklären: »Eigentlich basiert der Name auf einem Wortspiel. Wir dachten an dufte oder töfte, also an deutsche Worte jiddischen Ursprungs, die heute etwas altmodisch klingen — wobei sie im Ruhrgebiet noch alltäglich sind — und wollten unsere eigene Version davon schaffen. Und tov, das im Hebräischen gut bedeutet, passte da noch rein.« Fertig war nicht nur die Wortneuschöpfung, sondern auch ein expliziter Hörhinweis: Wo Tovte draufsteht, da ist auch jüdische Volksmusik, ergo Klezmer, mit drin.

Ein erstes Vorbild war ein für seine Klezmer-Interpretationen bekanntes Projekt. »Ich habe recht früh das David Orlowsky-Trio kennengelernt und fand einfach cool, was Orlowsky für Sounds aus der Klarinette geholt hat«, erzählt Tobias Gubesch, der, man ahnt es, selber Klarinettist ist. Während des Studiums an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz lernt Gubesch einige Jahre später den Gitarristen Leonhard Spies kennen, der sich — ­gemeinsam mit der heutigen Violinistin der Band, Anna Neubert — für Tango interessiert. Grunesch und Spies knüpfen eine Bande über ihre gemeinsame Vorliebe für Folklore und Popularmusik. Warum nicht einfach Straßenmusiker werden? Man stellt sich erst in Kölner Parks, wo es von Punks eine Pizza zur Belohnung gibt, und wandert später in die Fußgängerzonen.

Wir sind vom Klezmer inspiriert, aber auch vom Tango, Klassischer Musik, Jazz. Wir begeben uns auf die Suche nach unserer eigenen HandschriftLeonhard Spies

In der Zwischenzeit hat sich Gubesch ein Buch über Klezmer besorgt, dass die beiden von Buch­deckel zu Buchdeckel studierten. »Es ist beschert«, sagt kurze Zeit später eine Fußgängerin nach einem Straßenmusik-Jam auf der Hohe Straße. Die schöne Bescherung lag darin, dass sie gerade auf der Suche nach einer Band für eine jüdische Hochzeit am Folgetag war, was für Gubesch, Spies und die Streicherin Nathalie ­Litzner, die unterdessen das Duo zum Klezmer-Trio vervollständigt ­hatte, ihren ersten offiziellen Gig bedeutete.

Aus heutiger Sicht habe man sich womöglich etwas zu blauäugig auf das Abenteuer eingelassen, sagt Glubesch. Immerhin sei niemand in der Band jüdischen Glaubens, was bei älteren Gemeindemitgliedern zu etwas Ungemach geführt habe. Aber die positive Resonanz überwog. »Es ist für uns ganz wichtig klarzustellen, dass wir da nicht ›Jüdisch-Sein‹ mimen wollen, wir aber die Passion und die Musik des Klezmers einfach super finden«, erklärt Gubesch, und Silas Eifler fügt hinzu, dass man sich natürlich mit dem Thema »Kulturelle Aneignung« auseinandersetze. Eifler selbst stieß als Kontrabassist 2018 unmittelbar nach der Veröffentlichung der ersten LP »Krawalle & Lieder« zur Band; 2019 gewann die schließlich zum Quintett gewachsene Band den Sonderpreis des »Creole NRW Wettbewerb für Weltmusik«.

»Wir sind immer noch vom Klezmer inspiriert, aber auch vom Tango, Klassischer Musik, Jazz«, erklärt Leonhard Spies. »Wir be­geben uns auf die Suche nach unserer eigenen Handschrift.« Das geschieht auf dem neuen, selbst komponierten Album mit dem  Namen »Bukovina« sehr deutlich: Es ist ein Album des Suchens und Findens. Gubeschs Großeltern stammen aus der Region zwischen Rumänien und der Ukraine, die wie kein anderer Landstrich für eine europäische Idee und ­Geschichte des »Gemeinsamen« steht. Hier florierte während der habsburgischen Doppelmonarchie — und auch noch bis zum ­nazi-deutschen Überfall — ein ­Leben, das gleichermaßen von ­Armenier*innen, deutschsprachigen Juden und Jüdinnen, Rumän*­innen, Russ*innen und Ruthenier*innen geprägt wurde. Czernowitz gilt mit Rose Ausländer und Paul Celan als eine Wiege der deutschen Moderne und der Nachkriegslyrik.

Für Tovte stellt die Bukowina einen Sehnsuchtsort dar, wo »man sich nicht den Kopf einschlägt«, sondern miteinander lebt, redet und sich inspiriert. Nicht nur für Gubesch wurde der Titel zu einer Frage der Heimatsuche, auch für Spies, der sich im Lied »Loreley« mit der mythischen Figur und dem romantischen Seeleninventar der Deutschen auseinandersetzt. Diese Bukowina wird zu einem Sinnbild des Musikmachens als Gruppe per se: Jeder bringt was mit, alle spielen gemeinsam und am Ende ist die Welt besser als davor.

Tovte, »Bukovina«
Nussbaumrecords / Rough Trade, gerade erschienen