Südstadt Beats
An einem sommerlich-sonnigen Vormittag trafen wir die zwei Kölner Schlagzeuger-Legenden Jürgen Zöller (BAP) und Klaus Mages (Trio Rio) auf einen Kaffee und das ein oder andere Snare-Kästchen-Geplauder. Wir saßen bei Frau Maher (eigentlich frau maher) am Ubierring, das Poltern der Straßenbahnlinien 15 und 16 bot den Grundbeat für Namedropping der ganz besonderen Art. Zöller, 1947 in Köln geboren, und Klaus Mages, 1959 in Nürnberg, kannten sich vor diesem Interview nicht.
Was ist das Herzstück eines Schlagzeugs?
Zöller: (Ohne mit der Wimper zu zucken) Ganz klar die Snare. Da liegt der Groove. Obwohl es für den Laien wahrscheinlich eher die Bassdrum ist.
Mages: Da gehe ich voll mit. Man könnte auch notfalls allein mit der Snare zusammen mit Kollegen spielen. Mit ihr bekommst du ohne Probleme den Groove hin. Noch ein Becken dazu und schon hast du eine Art Street-Band.
Bitte reagiert spontan auf folgende Zitate: »Als Kind habe ich nie spielen gelernt. Eigentlich bin ich in Bands gekommen, indem ich Leuten beim Spielen zusah und sie kopierte.«
Zöller: (Wie aus der Pistole herausgeschossen) So war es auch bei mir.
Und das zweite: »Ich wusste nicht, was zum Teufel Charlie Parker spielte … Mir gefiel einfach die Art und Weise, wie er spielte.«
Mages: (Ironisch zu Jürgen) Das ist deine Lieblingswelt, nicht wahr?
Zöller: Charlie Parker? Nein. Charlie »Bird« Parker war einer der größten Jazz-Saxofonisten. Aber das war nicht meine Welt. Erst, als ich schon längst Musiker war, habe ich mich mit Jazz befasst.
Mages: Das ist ja interessant.
Zöller: In den 1970ern, na klar, hat man einfach viel Jazz-Rock gespielt. Chick Corea, Herbie Hancock, Frank Zappa und so etwas. Meistens haben wir frei aufgespielt. Das war manchmal toll, aber manchmal leerten sich die Säle schneller, als einem lieb war. (Es wird herzlich gelacht.) Und jetzt, nach 32 Jahren Mainstream Rock’n’Roll, habe ich den Jazz-Rock wieder für mich entdeckt.
Mages: Bei mir war es umgekehrt. Ich komme ursprünglich aus dem Jazz, und je älter ich werde, umso mehr Rock-Musik höre ich. Lazy, Deep Purple und solche Geschichten. Das ist für mich richtig guter melodischer Rock. Früher hat mich das nie interessiert. Als junger Musiker schlug mein Herz eher für Latin-Jazz; da gab es ja hervorragende Sachen, die hier nur Wenige kannten, zum Beispiel das brasilianische Quartett Tamba 4. Das war zur damaligen Zeit eine andere Form von Jazz. Fusion pur. Weit weg vom US-amerikanischen Jazz.
Kurz zurück zum ersten Zitat. Jürgen, darauf hast du spontan reagiert. Wie kam’s?
Zöller: Weil ich mir das Schlagzeugspielen tatsächlich abgeguckt habe. 1962 habe ich meine erste Band live im Storyville in Frankfurt gesehen. Zwischendurch lief noch »Twist And Shout« von den Beatles aus den Musikboxen. Danach war es um mich geschehen. Ich war infiziert vom Rock’n’Roll. Kurze Zeit später durfte ich dann legendäre Bands wie Small Faces mit Steve Mariott oder The Yardbirds mit Jeff Beck und Jimmy Page erleben. Dabei habe ich mir genau angeschaut, wie die Schlagzeuger spielten.
Die Zitate stammen übrigens von jemandem, der heute auch gut in unsere Runde passen würde: Charlie Watts.
Mages: Der Gentleman. Ich mochte seinen Typus sehr gerne.
Zöller: Total. Und sein Satz »Nenne mich nie wieder deinen Schlagzeuger!«, den er mal Mick Jagger an dessen Hoteltür an den Kopf warf, ist der Hammer. Watts’ Angewohnheiten waren schon sehr speziell. Seine Socken zum Beispiel hat er — sauber zusammengefaltet und akkurat sortiert — in einem separaten Koffer transportiert, wenn er auf Tour ging. Ich war aber nie der große Charlie-Watts-Fan, Ringo Starr war eher mein Held.
Mages: Apropos Ringo Starr: Vor kurzem habe ich die Dokumentation »Get Back« über die Beatles gesehen. Da gibt es eine Szene, in der Paul McCartney zu Ringo geht, ihn seines Schlagzeughockers verweist und ihm vorspielt, wie er sich eine bestimmte Stelle vorstellt. Was für ein psychisch belastender Moment muss das für Ringo Starr gewesen sein. Und das nicht nur, weil der Alpha-Mensch McCartney genauso gut Schlagzeug spielen konnte wie er. In dem Moment tat Ringo Starr mir richtig leid, wie er einstecken musste.
Einstecken. Ein Thema auch für euch?
Zöller: Ja, am Anfang bei BAP war es sehr schwierig für mich. Ein richtiger Angestellter war ich erst einmal nicht, und eine wirklich finanzielle Beteiligung beispielsweise gab es für mich zunächst auch nicht. Damit hatte ich schwer zu kämpfen. Trotzdem: Ich hatte totale Lust auf BAP. Währenddessen unterhielten sich die »Alten«, die, die ausstiegen, hinter der Bühne gerne über Versicherungen oder Geldanlagen. Das ging mir gegen den Strich.
Ich bin sowieso nie ein Freund großer Pläne gewesen. Pläne zerstören meist nur den Moment der Spontaneität und die SpielfreudeJürgen Zöller
Das war nicht Rock’n’Roll.
Zöller: Nein, auf eine gewisse Art und Weise ganz und gar nicht. Musikalisch aber schon. Natürlich wurde es grooviger und musikalisch »aufgeräumter«, als sich die Formation Mitte der 90er Jahre veränderte — unter anderem kamen Helmut Krumminga, Michael Nass und Werner Kopal dazu. Und dennoch: Das Energielevel der 80er haben wir um die Jahrtausendwende meiner Meinung nach nie mehr erreicht. Die Band war zu der Zeit zwar teils musikalisch minderbemittelt, aber es war geil. Es hat einfach »gebrannt«. Über den »Major« (Klaus Heuser, langjähriger Gitarrist der Band) kann man sagen, was man will, aber der hat die geilsten Songs geschrieben. In meinem Schlagzeugspiel wurde ich nie von irgendjemandem zurechtgewiesen. Das waren komfortable 27 Jahre mit BAP, die ich sehr geliebt und genossen habe.
Mages: Da ziehe ich meinen Hut vor dir. Ich hätte das vielleicht fünf Jahre durchgehalten. Einmal spielte ich hier in Köln mit Trio Rio im Vorprogramm von Wolf Maahn. Du, Jürgen, warst zu dieser Zeit Schlagzeuger bei ihm. Vielleicht sind wir uns hinter der Bühne kurz begegnet. Als Vorband-Schlagzeuger bekam ich allerdings an jenem Abend vom Toningenieur nur eine Mikrofon-Verstärkung für die Bassdrum und ein Overhead. Das war’s. Das war das Allerletzte und oftmals die bittere Realität für weniger erfolgreiche Bands. Aber der Kreis schließt sich: Kürzlich habe ich für Wolfs Bruder Hans Maahn gespielt. Da gab es vom Toningenieur ein paar Mikrofone mehr.
In welchem Moment wurde euch klar: Das Schlagzeugspiel wird mein Leben?
Zöller: Den einen Moment hat es bei mir nicht gegeben. Eins kam zum anderen. Einen Plan hatte ich damals nicht. Ich bin sowieso nie ein Freund großer Pläne gewesen. Pläne zerstören meist nur den Moment der Spontaneität und die Spielfreude. Grundsätzlich habe ich jedoch nie daran gezweifelt, Schlagzeuger zu werden. Von der reinen Leidenschaft zum Beruf wurde das Schlagzeugspielen bei mir ab 1974, als ich für zwei Jahre zusammen mit einer Coverband durch die harte Schule eines schweizerischen Tanzlokals gegangen bin.
Mages: Da warst du ja ganz schön »rock’n’roll-artig« unterwegs. Bei mir war es ein bisschen anders. Nach meinem Abitur habe ich zunächst begonnen, in Erlangen Latein und Geschichte zu studieren, um dann relativ schnell einzusehen, dass das nicht meine Zukunft ist. Von einem Musikerkollegen bekam ich schließlich den Tipp: Geh doch mal nach Köln an die Musikhochschule und stell dich Jiggs Whigham vor. Ab da an — mit 22 Jahren — habe ich gemerkt: Ich möchte Schlagzeuger werden.
Auf der einen Seite der volksnahe Mythos der Kölschen Südstadt-Rockszene, auf der anderen Seite die Kölner Musikhochschule mit den verkopften Musikstudenten. Zwei Welten…?
Mages: Das waren in der Tat zwei völlig unterschiedliche Welten. Als ich zu Beginn meines Hochschullebens ein paar Mitmusiker auf Rockmusik ansprach, bekam ich von denen nur den Satz »Da bist du hier bei uns falsch. Wir machen nur Jazz« zu hören. Auch Jazz-Rock war kein Thema an der Hochschule.
Zöller: Die Hochschulstudenten haben uns Rocker oft von oben herab behandelt.
Mages: Das stimmt. Während meines Studiums bin ich natürlich zusammen mit anderen Jazzmusikern viel herumgekommen. Wir haben Preise in Europa eingeheimst und sind für Aufnahmen in die USA und nach Kanada gereist, aber: Irgendwann ging mir diese Hybris der Jazzleute einfach nur noch auf den Senkel. Zu der Zeit ging ich oft ins Luxor, schaute mir Rockbands an und dachte: Wie geil ist das denn. Die schaffen es, mit drei Tönen und einem simplen Beat Messages rüberzubringen, von denen wir Jazzer nur träumen können. Das war tausendmal erotischer als ein Jazzkonzert. Theoretisch hätten wir so viel voneinander lernen können.