»Das ist wieder nur Flickerei«
Frau Esper, NRW-Familienministerin Josefine Paul möchte, dass weniger Kitas kurzfristig schließen müssen, wenn erzieherisches Personal fehlt. Eine neue Personalverordnung sieht vor, dass in Einrichtungen mit bis zu 60 Kindern in Ausnahmen nur eine sozialpädagogische Fachkraft anwesend sein muss, unterstützt von Ergänzungskräften wie Kinderpflegerinnen oder auch fachfremdem Personal. Was halten Sie davon?
Ich mache mir Sorgen, dass das ganze Kita-System destabilisiert wird. Das ist wieder nur Flickerei! Das Kernproblem ist der Fachkräftemangel: Die Personalverordnung wird ihn nicht beheben, im Gegenteil. Eine qualitative Verwässerung wird zu einer Überlastung der noch bestehenden Fachkräfte führen, die dann auch das Handtuch werfen. Und neue Fachkräfte rekrutieren wird man auch nicht, indem man den Beruf noch unattraktiver macht.
Was wäre besser?
Die Erzieherausbildung sollte endlich honoriert werden! Die schulische Ausbildung, die mehrwöchige Praktika beinhaltet, dauert mindestens drei Jahre und wird nicht vergütet. Das ist für viele unattraktiv, besonders für ältere Auszubildende. Zudem könnten uns Verwaltungsfachkräfte entlasten. Und wir brauchen dringend eine auskömmliche Finanzierung. Wir sitzen in unserer Kita und überlegen, ob wir uns ein neues Dreirädchen kaufen können. Ich liebe diesen Beruf, aber die Bedingungen schnüren mir manchmal die Luft ab.
Petitionen, die in kürzester Zeit mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt haben, sprechen von Kindeswohl-Gefährdung durch die Personalverordnung. Ist das übertrieben?
Nein! Ich habe erst gestern eine Erfahrung mit einem einjährigen Mädchen gemacht: weil ihre beiden Erzieherinnen krank waren, stand sie mit Leuten aus dem Team da, die sie nicht so gut kannte und hat eine Stunde geweint. Wickeln, Schlafen legen oder auch Essen: Das sind für Kinder sehr bedeutsame und intime Momente. Dafür muss man ausgebildet sein, damit man weiß, wie man mit solchen Dingen professionell umgeht, sonst kann man vieles kaputt machen. Es soll aber eine Notlösung für maximal sechs Wochen sein. Wenn wir qualifizierte Ergänzungskräfte haben, setzen wir sie auch jetzt schon als zweite Kraft neben einer Erzieherin ein. Das ist in Ausnahmefällen okay, weil die Ergänzungskräfte, meist Kinderpflegerinnen, auch pädagogisch geschult sind, aber eben nicht so umfassend wie Erzieher. Das Problem ist aber: Diese Ergänzungskräfte sind auch nicht ausreichend vorhanden, und in Krankheitsphasen erst recht nicht, daran ändert die Personalverordnung überhaupt nichts. Wenn jemand Fachfremdes in Notsituationen richtig in den pädagogischen Alltag mit einsteigen muss, finde ich das gefährlich.
Warum?
Es könnte zu Übergriffigkeiten kommen, einfach weil das fachfremde Personal nicht besser weiß, wie man mit sensiblen Themen umgehen muss: Da kommt vielleicht unbedacht ein »Komm, ich putze dir mal schnell den Popo ab!« — ohne das Kind richtig zu kennen. Wenn das Fachkräfteteam krank ist bis auf eine, wer leitet dann wen an? Wird dann die Praktikantin vom Gärtner geleitet oder die Praktikantin von der Ergänzungskraft? Die Qualität verwässert immer mehr.
Wird frühkindliche Bildung zu wenig ernst genommen?
Schon jetzt ist die Fachkraft-Kind-Relation ungenügend. Dass in der Gruppe mit 20 Kindern zwei Fachkräfte das Minimum sind, geht gar nicht, die Relation müsste bei eins zu sechs liegen. Man kann sich sonst nicht adäquat um die Bedürfnisse aller Kinder kümmern. Zumal sich die Kinder verändern, sie haben z. B. sprachliche Barrieren, immer mehr Fünf- oder Sechsjährige sind nicht schulreif. Wie will man Kinder integrieren oder an ihren Kompetenzen für die Schule arbeiten, wenn man alleine mit zehn oder mehr Kindern ist? Da ist man froh, wenn alle den Nachmittag mehr oder weniger gut gelaunt überlebt haben.
Walli Esper ist Leiterin der Elterninitiative Drachennest in Ehrenfeld