Karneval, selbstgemacht — Emblem des neuen Rutfront Fastelovendsbund e.V., Foto: Marie Schiereck-Goessling

Gendersensibel lustig

Wie der Karneval zeitgemäß wird, indem er sich auf Traditionen beruft

»Mer bruche Jeld för Kultur/ Do sin mer Jeister stur!« Unter dem Motto zieht der Geisterzug am 22. Feb­ruar vom Eigelstein Richtung Kölner Süden. Alles begann 1991 unter dem Motto »Kamelle statt Bomben!« als Protest gegen den Irak­krieg der USA; die Bilder durch den Schnee ziehender Jecken sind legendär. Seither hat es 34 Geisterzüge gegeben — gegen Rassismus, Korruption und Stadtsanierung, für Klimaschutz und die Verkehrswende. Von den Grün­dern ist Erich Hermans, heute Ende 60, noch ­aktiv. Seinerzeit Mitglied im »Anarchistischen Friedensplenum«, brachte Hermans historische Bezüge ein: die Tradition des nächt­li­chen Kölner Geisterzugs wurde 1792 von den französischen Besatzern verboten, unter den Preußen 1823 wieder geduldet und im Ersten Weltkrieg dann erneut verboten.

Das Wiederaufleben erfolgte im Herbst 1991 durch mediale Verstärkung von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnischer Rundschau. »Da saßen damals noch einige 68er, die den ›Weg durch die Institutionen‹ genommen hatten und nun ihren Einfluss geltend machten«, erzählt Hermans. Inzwischen stellt der Generationswechsel viele der aus den Protesten der 80er Jahre entstandenen sozialen Initiativen vor Herausforderungen, auch das Narrenflaggschiff des alternativen Karnevals — die Stunksitzung.

»Im Prinzip kommen jetzt die Jungen zu uns, die als Kinder mit ihren Eltern dabei waren«, sagt dazu Erich Hermans. Die damaligen Themen sind auch die neuen, und Karneval ist der Kitt zwischen den Generationen. Verjüngung bedeutet aber auch Social Media statt Flug­blät­ter, die Kommunikation des Geisterzugs wurde professionalisiert von zwei Neuzugängen.

Vorstandsmitglied Sonja Kling wurde am Rand des Geisterzuges angeworben: »Die Herausforderung liegt weniger darin, junge Jecke zu begeistern, als in der Finanzierung«, sagt sie. Schon mehrmals stand der spendenfinanzierte Zug vor dem Aus. Kosten spart der Veranstalter Ähzebär e.V., seit der Zug als Demo angemeldet eine Woche vor den närrischen Tagen stattfindet und Absperrung und Absicherung von der Stadt übernommen werden. Jetzt werde der Zug nicht mehr wie in Spitzenzeiten (2014 gingen mehr als 100.000 Menschen mit) von schaulustigen »Sauf-Touristen« überrannt, so Hermans, son­dern die Teilnehmenden seien stärker motiviert und besser kostümiert.

Die Herausforderung liegt weniger darin, junge Jecke zu be­­geistern, als in der FinanzierungSonja Kling, GEISTERZUG

Ein Neuzugang im alternativen Karneval ist die »Rutfront«. Deren erster öffentliche Auftritt war 2021 am Neumarkt — gegen ein Treffen rechtslastiger Impfgegner, mit einem Transparent: »Keine Faste­lovend för Nazis!« Wegen der Corona-Pandemie tagte die erste Sitzung aber erst 2023 in der Kneipe Osters Rudi in Nippes, im Jahr darauf dann im Mülheimer Kulturbun­ker, der auch diesmal Sitzungsort sein wird. Jung, zeitgemäß, widerständig ist der Verein gerade durch seine Selbstdeklaration als »traditionalistisch«. »Die traditionellen Prinzipien des Karnevals, so wie es auch in der Satzung steht, sind Inklusion und Antifaschismus —  das sehen wir heute in den großen Gesellschaften nicht mehr flächen­deckend gegeben«, so Gründungsmitglied Meryem Erkus. Doch bei so vielen Selbstverpflichtungen — feministisch, queer, divers, inklusiv, gendersensibel — manövriert man sich da nicht ins humorfreie Abseits? Sieht nicht so aus: Schon die Satzung gendert konsequent das generische Femininum, bei den Sitzungen löst das freundliche Liedchen »Ich sag Hallo!« ­Polonaisen aus, der Interpret »Rheinische Sonne« hält süffige Büttenreden; weitere Nummern sind projizierte Live-Schalten zu »VJ Nora« an den Domplatz, oder direkt ins Jahr 1822 zum Grün­dungs­akt der »Rutfront«. Zum ­Programm gehört auch der »Schwarze-Block-Flötenchor« — natürlich vermummt.

Der Verein pflegt Austausch mit dem Humba e.V. und geht beim Geisterzug mit. Die Sitzung am 23. Februar fällt auf den Wahlsonntag. Das Motto »20,25% — ohje« bezieht sich auf ein dysto­pisches Ergebnis der AfD. Das führt zurück zur Gründungsidee. »AfD-Mitglieder drängen aktiv in den Karneval; Frauen werden ­weiterhin stark belästigt, gleichzeitig sind sie immer noch kaum in Funktionen. Gegen all das treten wir an«, sagt Meryem Erkus. Bei Rutfront sind rund 70 Prozent Frauen aktiv.

Sa 22.2, 18 Uhr, Geisterzug, Eigelstein, geisterzug.de
So 23.2, Rutfront Fastelovendsbund, 16–19 Uhr, Kulturbunker Mülheim,
kulturbunker-muelheim.de