»Ich glaube, das ist so eine Art Antenne, die man hat«
Ein Song kommt, wann er es will. Der jetzt gerade heißt »Just Keep Swimming« und stammt aus der Feder der Leipziger Musikerin Katja Seiffert. Viel bekannter jedoch ist sie unter dem Namen Blush Always. Wer Bock auf Weezer mit Sängerin hat, der ist bei der Newcomerin mit der zerbrechlichen Stimme gut aufgehoben. »Don’t stop believing in yourself when you come closer to a wave« .
Verabredet sind wir an diesem Herbstabend mit dem Produzenten, Sänger und Gitarristen der Kölschen Band Kasalla: Florian »Flo« Peil. Die letzten Besucher:innen verlassen kurz nach acht die älteste ortsfeste Puppenbühne im deutschsprachigen Raum, eines der größten Puppentheater Westeuropas und das wohl bekannteste Puppentheater südlich der Benrather Linie: genau, das Hänneschen Theater. Ein paar stolpern noch in das daneben liegende Kiosk. Ein Wegkölsch muss her. Glücklich sehen sie aus. Allesamt. Gesehen haben sie das Stück »Dat Dörp met K«. In dem bekommen Hänneschen, Bärbelchen und Tünnes Gesellschaft — von Kasalla. In echt und, natürlich, als Puppen, die extra für die Vorführungen angefertigt wurden.
Die Geschichte spielt in zwei Welten. Zum einen in der »echten« Welt, im Proberaum von Kasalla, wo die Bandmitglieder sich selbst darstellen. Die Hauptgeschichte findet in der Puppenwelt in Knollendorf statt. In die gelangen die Musiker durch einen geheimnisvollen Kühlschrank. Dort, als Puppen, müssen sich die Bandmitglieder mit den für das Puppentheater typischen Knollendorfer Problemen herumschlagen: »Schäl«, der fieseste Möpp aller Stockpuppen, treibt sein Unwesen, er möchte der Frontmann der Band Kasalla werden. So weit, so gut.
Eine halbe Stunde später schon steht der Blondschopf, der einst als Frontmann der Teenie-Deutsch-Pop-Band Peilomat 2004 nationale Bekanntheit erlangte, lässig in Trenchcoat vor dem Seiteneingang und scheint zu jeder Schandtat bereit. Wer sich vielleicht nicht mehr richtig erinnern kann: Peilomat spielten 2007 im Vorprogramm von Tokio Hotel und repräsentierten mit dem Song »Jenny« beim Bundesvision Song Contest Rheinland-Pfalz. Jenny, die Hauptprotagonistin in dem Lied, möchte so gerne Popstar sein, ein Shootingstar, Superstar. Über sie und andere Gestalten sang Flo zusammen mit seinen damaligen Gefährten Henning und Sebastian, die es zu dritt sogar einmal bis in die Bravo Super Show schafften. Superstars, Shootingstars Selfmade aus Kölle sozusagen (und ein bisschen auch aus Hamburg!).
Apropos: Das Fotoshooting in den »heiligen Hallen« des Hänneschen Theaters meistert Flo mit links. In den engen Gängen, deren Glasvitrinen mit allen möglichen Kölner-Kultköpfen in Puppenformat ausstaffiert sind, schleicht er zusammen mit Fotograf Thomas um die Ecken. Da, wo es besonders dunkel wird, schauen einen die Puppen-Gesichtchen noch etwas intensiver an, als sie es sowieso schon tun. »Mein Sohn hat hier immer jede Menge Spaß«, erwähnt Flo beiläufig. Was er sonst noch so über die Puppen, Peilomat, Kasalla und Köln zu erzählen hat: voilà.
Auf dem zweiten und letzten Album deiner Band Peilomat — »Icherzähler« — lautet der Titel des letzten Songs »Unsterblich«. In ihm singst du »Schreib’ es auf die Litfaßsäulen der Stadt: Wir sind unsterblich, du und ich, heute Nacht!« Wann hast du dich zum letzten Mal unsterblich gefühlt?
Das ist ein sehr intimer Song. Immer, als ich ihn sang, hatte ich das Gefühl, die ganze Welt draußen lassen zu können. Generell habe ich mit diesem Lied einen Moment besungen, der sich ausschließlich zwischen zwei sich Liebenden abspielt. Wann konkret ich selbst das letzte Mal dieses Gefühl in mir trug, kann ich so spontan gar nicht sagen. Aber ich glaube, in einer guten Partnerschaft hat man solche Momente immer mal wieder. Ein aus der Stadt mit D (Düren!) gebürtiger junger Mann kommt zum ersten Mal in die Stadt mit K … und ist vollkommen überfordert. Zuerst ist man auf die Hohe Straße gegangen und hat sich ein paar Klamotten geholt, danach ging es ohne Umwege direkt in die Große Budengasse. Zu Music Store. Zurück daheim dachte ich: Wie kann man in dieser Stadt nur leben? Ich war ich fix und fertig. Mittlerweile empfinde ich Köln als eine sehr ruhige, kleine und beschauliche Stadt. Aber als Junge vom Dorf ist Köln eben die große, weite Welt.
Hamburg doch auch, oder?
Flo lacht herzlich Mit Hamburg bin ich sehr speziell verbunden. Nach meinem Zivildienst habe ich mich für den Popkurs in der Hansestadt beworben, wurde angenommen und lernte dort dann das erste Mal die beiden Peilomat-Jungs Sebastian und Henning kennen. Hamburg war damals ein sehr wichtiger Schritt für mich.
Was genau war denn damals dein Ziel, als du dich ganz auf dich gestellt für den Pop-Kurs in Hamburg beworben hast?
Mir war immer schon klar: Ich will Musik machen, eigene Songs schreiben. Die Pop- und Rockmusik hat mich, seit ich denken kann, in ihren Bann gezogen. Jazz und Klassik, obwohl man beides in Köln studieren kann, schieden für mich aus. Das war nicht meine Welt. Zu der Zeit kamen Wir sind Helden — durch den Hamburger Popkurs angefixt — groß raus. Also habe ich mich irgendwann einfach ins Auto gesetzt, bin nach Hamburg gedüst, habe dort vorgespielt, bin abends wieder zurückgefahren und kurze Zeit später bekam ich Post: »Der Popkurs möchte Sie gerne aufnehmen.« Direkt am ersten Kurstag stand da so ein Typ herum, sagte über sich, er sei Bassist, der einen Mitstreiter für das Songwriting suche. Das war der Sebi — mit ihm spiele ich übrigens bis heute zusammen bei Kasalla. Später stieß noch Drummer Henning zu uns. Als Trio setzten wir alles auf eine Karte, das war rückblickend ganz schön wahnsinnig.
Wieder daheim dachte ich: Wie kann man in einer Stadt wie Köln nur leben? Flo Peil
Ziemlich mutig, so alles auf eine Karte zu setzen, findest du nicht?
Wir arbeiteten ja alle noch nebenbei. Ich selbst zum Beispiel hatte damals ein paar kleine Studiojobs für einen Musikverlag und war da im Songwriting tätig. Aber klar, irgendwann haben wir uns schon bewusst für die Band entschieden. Wir waren Anfang zwanzig. Da macht man sowas einfach Flo lacht. Meine Klassenkameraden studierten oder gingen in die Ausbildung: Wir hatten die Musik und Peilomat. Einerseits war es eine knüppelharte Zeit, andererseits eine der tollsten Zeiten meines Lebens. Ein bisschen, wie eine fortwährende Klassenfahrt. Ich bin froh, dass wir das erleben konnten.
Dein Bruder Roland gilt als einer der besten deutschen Perkussionisten. War das belastend oder eher motivierend für dich, solch einen erfolgreichen Bruder neben sich zu haben?
Mein Bruder war immer ein Vorbild für mich. Als ich zehn Jahre jung war, war er ja schon Mitte zwanzig und hat professionell Musik gemacht. Als er dann irgendwann für die Fanta 4-Jungs spielte, bin ich vor Stolz beinahe geplatzt. Spätestens in dieser Zeit wurde mir bewusst, dass ich auch Musiker werden möchte. Konkurrenten waren wir nie. Im Gegenteil, Roland gab mir zuhause schon sehr früh Schlagzeugunterricht. Die Bude daheim war immer voller Musik. Er — und auch meine Bandkollegen — sind extrem gute Instrumentalisten. Das bin ich nie gewesen. Ich hatte eine Stunde Gitarrenunterricht in meinem Leben, glaube ich (lacht). Mich hat seit jeher mehr das Songwriting und Texten interessiert. Ich wollte schon immer wissen: Wie schreibt man eigentlich Songs?
Ist das eine Gabe, Songs schreiben zu können?
Ich glaube, das ist so eine Art Antenne, die man hat. Manchmal kommt dann einfach ein Song »angeflogen«. Natürlich kann man diese Antennen auf unterschiedliche Arten schulen. Aber im Gegensatz zu meinem Bruder ging es mir in erster Linie um einen guten Song, eine gute Melodie, einen guten Text — all das zu kreieren und die Menschen vor der Bühne dadurch berühren, packen zu können. Das machte für mich schon immer das Magische von Musik aus. Mein Bruder wollte »einfach nur« der beste Perkussionist werden.
Und du bist jetzt eine Stockpuppe im Hänneschen Theater. Das ist was, oder?
Flo lacht Das erste Mal meine eigene Puppe zu sehen, war ein sehr ergreifender und gleichzeitig auch surrealer Moment. In Köln noch Kölscher als Hänneschen zu sein, ist schwer zu toppen. Dass Kasalla jetzt also Hänneschen-Puppen sind: Mehr geht eigentlich nicht.
Ja, das stimmt. Mehr geht in Köln eigentlich nicht. Ein Song kommt, wann er es will. »Don’t stop believing in yourself when you come closer to a wave«.