Sanfter Größenwahn, milde Melancholie: Annie Bloch, Foto: Sophia Hegewald

Schmerzhaft schön

Annie Bloch kredenzt Indiefolk mit großer Klangfülle

Aaahhh, die Musik von Annie Bloch klingt wie ein entspanntes Bad im See wohl temperierter ­Melancholie. Ihre sachten, mit ­zurückgenommener, aber fester Stimme vorgetragen Folkpop-Songs orchestriert die versierte Musikerin für ihr Projekt I DEPEND mit einem zehnköpfigen Ensemble, das klassische Instrumente wie Flügelhorn, Klarinette und Cello umfasst. Das Ergebnis ist ein ziemlich großer Wurf, der beweist, dass es sich lohnt, auch im Indie-Segment in großen Dimensionen zu denken und das Ding dann auch durchzuziehen. Grund genug, genauer nachzufragen.

Kannst du kurz etwas zu deinem Werdegang sagen? 

Ich komme aus einer niedersächsischen Kleinstadt, in der Musikmachen in der Kirche oder im eigenen Zimmer stattgefunden hat. Eher für mich allein schrieb ich Songs und spielte Orgel. Nach der Schule habe ich vier Jahre in Cork, Irland, gelebt und Musik und englische Literatur studiert. Nebenbei hatte ich eine Position als Organ Scholar an einer Anglikanischen Kirche. 2018 zog es mich nach Köln, weil ich hier eine Band hatte und wusste, dass es viele Orgeln gibt.

In Zeiten der Laptop-Produktion gibt es ja immer weniger große Band-Projekte. Du hast dir für dein neues Album gleich mal ein zehnköpfiges Streicher- und Bläserensemble angelacht. Steckt da womöglich Größenwahn dahinter? 

Ja, der Größenwahn ist mir auf jeden Fall von der Orgel bekannt. Mich begeistern große akustische Klänge. Klar, ökonomisch ist es sehr viel sinnvoller, mit dem Laptop, statt mit zehn Leuten auf der Bühne zu stehen. Aber das Gefühl, mit dem ich nach der ersten Probe mit I DEPEND nach Hause gefahren bin, war so schön wohlig intensiv, dass ich mich nicht mehr fragen muss, ob es Sinn macht. Tatsächlich war es die Corona-Zeit, die mir strukturell den nötigen Raum dafür gab, I DEPEND zu konzipieren. Ich hatte Zeit und Ressourcen und habe erstmal nicht über das erste Konzert hinaus geplant.

Wie aufwändig ist es, das auf die Bühne zu bringen? 

Das geht wahrscheinlich nur mit Förderung, oder? Mit I DEPEND zu performen fühlt sich für mich oft an wie Geburtstag zu feiern. Zehn nette Leute um sich zu scharen und etwas zusammen zu zelebrieren, mit dem Bestreben, dass sich alle wohlfühlen, das ist ein großer logistischer und organisatorischer Aufwand — genau, weil wir bisher auch auf Förderungen direkt oder indirekt angewiesen waren —, aber es ist immer etwas Besonderes. Corona hat mich auch gelehrt, für alles dankbar zu sein, was gelingt. Es grenzte schon an ein Wunder, dass bei dem ersten Konzert zehn Leute gesund waren.

Wie sind die Songs dann entstanden? 

Tatsächlich sind fast alle Songs an der Gitarre entstanden. Die meisten waren aber noch unfertig oder skizzenhaft, diese haben mich besonders gereizt zu arrangieren, weil ich mich dann mehr von den Instrumenten ­leiten lassen konnte. Meistens kamen die Ideen für die Arrangements, wenn ich im Bett lag und mir einfach vorgestellt habe, wie es klingen könnte. Bei Tag habe ich dann versucht, meine kruden nächtlichen Skizzen umzusetzen. »Mildly Depressed« und »Car« hat übrigens zur Hälfte Sam Clague arrangiert. Das war für mich besonders reizvoll: Seine Perspektive auf meine Songs nachzuvollziehen und Motive in anderen Songs wieder aufzugreifen.

Meistens kamen die Ideen für die Arrangements, wenn ich im Bett lag und mir einfach vorgestellt habe, wie
es klingen könnte

Mit klassischen Instrumenten orchestrierte, kammermusikalische Popmusik — gab es da Vorbilder? 

Mir fällt direkt Mark Hollis/späte Talk Talk ein … Meine großen Vorbilder waren Sigur Ros, Sufjan Stevens und die Beatles. Im Gegensatz zu einem eher produzierten, gelayerten Album, sehe ich da vor meinem inneren Auge direkt eine Menge Leute mit Instrumenten in der Hand — das ist irgendwie ein romantisches Bild, aber auch so ein kraftvolles. Wie sich jedes dieser Ins­trumente einen Platz in diesem Song sucht und es trotzdem nicht so hierarchisch wird wie in einem Orchester.

Auf dem Album singst du durchweg mit sehr zurückgenommener, sachter Stimme … 

Das hat sich eher intuitiv entwickelt. Ich habe über die Jahre gefunden, was für meine Stimme gut funktioniert. Ich mag sie in tieferen Lagen lieber und kratze nicht so gern am oberen Ende. Und ich möchte sehr verständlich sein.

Wie ist das mit den Texten? Gab es da ein Leitmotiv?

In den Songs geht es inhaltlich um zwischenmenschliche Beziehungen und vor allem um ihre Ambivalenzen. Oft sagen die Songs, was man in den Beziehungen zurückhält, aber vielleicht gern sagen würde. Irgendwie entstanden wohl alle Texte in diesem Gefühl, das Schmerzhafte und das Schöne gleichsam festhalten zu wollen.

Tonträger: Annie Bloch, »Dates (I DEPEND Version)«, ist auf Papercup Records erschienen

 

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