Minimale Musik, extreme Präsenz: Ellen Arkbro

»Ich fühle mich von dem Klang der strömenden Luft angezogen«

Die schwedische Komponistin und Klang­künstlerin Ellen Arkbro im Gespräch: Wie arbeitet man mit Musik, in der Weniges so viel ausmacht?

Nach vier Alben erscheint nun »Clouds for Three Tubas«, eine Komposition, die Ellen Arkbro ­Anfang Februar auf dem Berliner CTM Festivals zusammen mit dem Tuba-Trio Microtub (Robin Hayward, Martin Taxt, und Peder Simonsen) uraufführte. Ruhige, beharrliche, strömende Musik.
Arkbro ist ohnehin bekannt für ihre sehr fein gearbeiteten Produktionen, bei denen sie mit reinen und mitteltönigen Stimmungen arbeitet. Natürlich wollten wir wissen, was genau sich hinter ­diesem Klang-Konzept verbirgt.

Ellen, ich habe gelesen, dass du schon 24mal umgezogen bist in deinem Leben. Stimmt das wirklich? 

Die Zahl ist nicht mehr aktuell. Vor allem in meinen frühen Zwanzigern bin ich sehr viel umgezogen, weil es so schwierig war, in Stockholm eine Wohnung zu finden. Also blieb ich drei Monate hier, sechs Monate dort. Ich habe inzwischen aufgehört zu zählen. Ich reise beruflich so viel, dass ich manchmal das Gefühl habe, nirgendwo und überall zu leben, was anstrengend sein kann, aber es zwingt mich auch dazu, extrem präsent zu sein, wo immer ich bin.

Lass uns über dein neues Werk »Clouds for Three Tubas« sprechen. Wie kam es zu dem poetischen Titel, der mir wie das Album sehr gut gefällt? 

Die Musik entwickelt sich durch die Harmonie langsam auf eine Weise, die sich wie die Bewegung von Wolken anfühlt. Wenn man den Himmel beobachtet und sieht, wie die Wolken langsam vorbeiziehen und neue Landschaften erschaffen — so fühlt sich die Musik für mich an. Sie hat etwas stimmungsvolles, Bluesiges, eine gewisse Melancholie.

Während andere oft an einem bestimmten Sound-Paradigma festhalten, erkundest du immer wieder neue Horizonte. Warum ist das so? Weil dir schnell langweilig wird? Oder du extrem neugierig bist und den ehrgeizigeren Weg wählst? 

Einige der Künstler, die ich am meisten bewundere, sind sehr vielschichtig. Sie machen viele verschiedene Dinge und lassen sich unmöglich festlegen. Das hat mich schon immer fasziniert. Denn so sollten das Leben und die Menschen doch sein! Bevor 2022 ich das Album »I Get Along Without You Very Well« aufnahm, fühlte ich mich kreativ ein wenig festgefahren. Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Arbeit nur in eine Richtung bewegte und ich nicht sehen konnte, wie sie sich weiterentwickeln würde. Also musste ich etwas ganz anderes tun, um mich zu stimulieren — und so kehrte ich zu dem zurück, was mich ursprünglich zum Musik­machen inspiriert hatte: dem Schreiben von Songs. Daraus wurde eine wunderbare Produktion, an der viele der Musiker:innen beteiligt waren, mit denen ich in meiner Jugend gespielt habe. Es war eine Art Rückbesinnung auf meine frühe musikalische Neugierde.

Hat es auch damit zu tun, die eigene Stimme wieder einzubringen? 

Ehrlich gesagt, fällt es mir schwer, meine eigene Stimme zu hören. Ich mag die Erfahrung des Singens, und ich schreibe gerne Lieder, aber in gewisser Weise wünschte ich, alle meine Musik wäre instrumental. Manchmal bedaure ich, dass ich ein Song-Album gemacht habe, weil es an einem Ort steht, an dem die Ästhetik für mich etwas unklar ist.

Hat das wirklich mit dem Klang deiner Stimme zu tun, oder ist es nicht eher so, dass das Hinzufügen von Worten die Erzählung offensichtlich verändert? 

Ja. Es ist nicht wirklich die Stimme, es sind die Worte und die Tatsache, dass ich tatsächlich etwas in Worten ausdrücke, womit ich ein Problem habe. Wenn ich in einer Sprache singen würde, die niemand versteht, mich selbst eingeschlossen, würde es sich anders anfühlen.

Mit deinen Kompositionen bewegst du dich auf dem Feld der sogenannten präzisen Harmonielehre. Du arbeitest mit reinen und mitteltönigen Stimmungen. Kannst du das jemandem erklären, der nicht Musik studiert hat? 

Im Grunde genommen sind es zwei verschiedene Stimmsysteme, also Arten, Instrumente zu stimmen oder ein Instrument zu intonieren. Bei der mitteltönigen Stimmung handelt es sich um eine historische Stimmung, bei der man verstimmte Terzen bevorzugt (schmaler als bei einem heutigen Klavier) und daher die Quinten etwas verengt, um reine Terzen zu erzeugen. Reine Stimmung ist ein Stimm­system, das auf der harmonischen Reihe basiert, bei dem alle Intervalle rationale — ganzzahlige — Beziehungen haben. 

Ehrlich gesagt, fällt es mir schwer, meine eigene Stimme zu hören. In gewisser Weise wünschte ich, alle meine Musik wäre instrumental

Wie muss ich mir das vorstellen, was es bedeutet, eine traditionelle Renaissance-Stimmung auf eine nicht-traditionelle Weise zu verwenden? Was du ja auch gerne machst.

Das bezieht sich auf meine Veröffentlichung »For Organ and Brass«, ein Stück, das ich für eine mitteltönig gestimmte Orgel und ein Brasstrio geschrieben habe. Ich habe die Mittelton-Stimmung auf eine Art und Weise verwendet, die ursprünglich nicht vorgesehen war, indem ich zwischen den verschiedenen septimal klingenden Intervallen modulierte.  Das ganze Stück wurde nur mit einer Reihe von Intervallen komponiert, die einen sehr bluesigen Klang haben, sie klingen tief und ein bisschen schwer. Die Intervalle schlagen ein wenig, sie sind also nicht ganz stimmig, sie sind etwas leichter und haben einen verwirrenderen Sog als ein stimmiges Septimalintervall in reiner Intonation, aber sie haben immer noch dieselbe Qualität, wenn auch etwas anders. Es ist die gleiche Art von Intervallen, die man in La Monte Youngs »The Well-Tuned Piano« hören kann, ein Stück, das ich sehr bewundere.

Mich interessiert besonders, wie du deine Instrumente auswählst. Du arbeitest ja vor allem mit Pfeifenorgeln, Renaissance-Orgeln, Posaunen, mikrotonale Tuben. 

Ich fühle mich von dem Klang der strömenden Luft angezogen. Da ich sehr langsame Musik schreibe, die etwas statisch wirken kann, verleiht die Luft den Akkorden eine Lebendigkeit, die sich sonst etwas tot anfühlen könnte. Ich liebe also Blasinstrumente und interessiere mich für die Texturen, die man erhält, wenn man mit präzise gestimmter Harmonie im unteren Register arbeitet, daher fühle ich mich zu tiefen Instrumenten wie Tuba, Kontrabass, Posaune, Cello und Fagott hingezogen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stimmbarkeit. Ich arbeite in reiner Intonation, daher interessiert mich ein Instrument mit einer festen Stimmung nicht so sehr. Aus verschiedenen Gründen arbeite ich fast nie mit Klavieren — ich mag vor allem den Klang nicht, und ein Klavier umzustimmen ist mühsam. Bei Blechblasinstrumenten gibt es eine natürliche Obertonreihe, die sich mit dem Instrument ergibt. Ähnlich wie beim Gesang, Chöre neigen dazu, die Terzen von Natur aus tiefer zu stimmen — wie in der harmonischen Reihe —, so verschmilzt man miteinander.

Du arbeitest eher langsam, zumindest betonst du das gerne. 

Ich lasse den Dingen sehr viel Zeit zu ruhen. Teilweise bin ich langsam, weil ich während des Prozesses viel Zeit damit verbringe, nicht zu arbeiten (lacht). Es dauert eine Weile, bis ich verstehe, was an einer Idee interessant ist. Oder ich habe eine Idee, bin mir aber nicht zu 100 Prozent sicher, dass sie in der Welt existieren muss, oder wie sie in der Welt existieren sollte. Es kann einige Zeit dauern, bis ich sie richtig verstanden habe. Bei dem Tuba-Trio hat es einige Jahre gedauert, es zu spielen, aufzunehmen und zu verstehen.

Okay, du arbeitest also nicht wirklich langsam, sondern probierst nur viel aus — gerade auch im Wechsel zwischen Instrumenten und digitalen Produktionsformen, beispielsweise der Programmierung mit SuperCollider. 

Das ist ein Teil davon. Ich würde nicht bei einem Werkzeug oder einem Instrument bleiben wollen. Das Wechseln der Perspektive bringt mich zurück zum Zentrum meiner Praxis, die darin besteht, Harmonie und die Verschmelzung von Raum und Harmonie sowie von Geist und Klang zu erforschen. Ich möchte, dass sich meine gesamte Musik notwendig anfühlt. Ich möchte nichts in die Welt setzen, das nicht das Gefühl hat, dass es in der Welt sein muss, sei es, weil es für mich eine Bedeutung hat, sei es, weil es die Musik noch nicht gibt, sei es, weil sie eine interessante Perspektive auf etwas bringt.