Sommer 1974: Niebuhr, Schlagzeuger Dierk Düchting und Schmitz (von links), Foto: Schmitz & Niebuhr

Schicksalsjahre einer Stadt am Rhein

Schmitz & Niebuhr feiern das unabhängige Porz

Um es direkt zu sagen: Es dürfte dieses Jahr kein anderes Album geben, das sich seinem Gegenstand mit soviel Liebe zum Detail, derartig umfangreicher Recherche-Arbeit, so viel Hingabe und dabei — Überraschung! — so wenig Pathos widmet wie »Porz 1975«. Schmitz & Niebuhr, das sind mein Kollege Bernd Wilberg und Marco Trovatello. Beide kennen sich seit vierzig Jahren, solange teilen sie schon ihre Liebe für komplexe, größenwahnsinnige und aber auch glücklich-bescheuerte Popmusik. »Porz 1975«, eine opulente Doppel-LP von 90-minütiger Spieldauer, ist die Summe ihres musikalischen Dialogs.

Verstehen wir uns nicht falsch: Jede mittelprächtige Pop-Produkton dürfte rein technisch aufwändiger sein als »Porz 1975«, für das die Musiker kein Budget hatten und dessen Realisierung nur möglich war, weil sie auf ein Netzwerk engagierter Freundinnen und Freunde zurückgreifen konnten, die mit Studiozeit aushalfen, Instrumentalstimmen beisteuerten und Geschichten aus ihrer Biographie — auf die kam es besonders an, aber dazu später.

Nein, von dem üblichen Aufwand, zeitgenössische Pop-Musik zu produzieren, ist hier nicht die Rede. »Porz 1975« ist das schier irrwitzige Unterfangen, das, wovon das Album handelt — der Albumtitel ist Programm —, damit in Übereinstimmung zu bringen, wie sich darüber erzählen lässt. Ist es Schmitz & Niebuhr gelungen? Durchaus. Aber was genau ist ihnen gelungen?

Dafür muss man nach Porz. Bernd nimmt mich auf eine Reise mit, und es ist wirklich eine Reise. Wir fahren mit der Linie 7 nach Porz. Bernd ist hier geboren, hat über 30 Jahre in Porz gelebt, seine Eltern sind Porzer, seine Tochter ist in Porz geboren. Ab der Haltestelle »Westhoven, Kölner Straße« kennt er jeden Strauch, jedes Haus, alles ist Geschichte. Wir steigen »Porz Markt« aus, eine der eigenartigsten Haltestellen im KVB-Netz, weil sie komplett von einem Parkhaus überwölbt ist. Marco, der nach Jahren in Italien und Paris wieder nach Porz zurückgezogen ist, erwartet uns bereits. Das Parkhaus ist viel zu groß für die überschaubare Porzer City und ist somit zu einem grotesken Wahrzeichen dieser Stadt geworden. Marco weist den Weg zum Rhein. Das weitläufige Rheinufer ist hier die größte Attraktion.

Aber Moment... Stadt? Stadt Porz?! Richtig gelesen. Porz ist seit dem 1. Januar 1975 zwar nicht mehr eigenständig und Köln eingemeindet worden, aber zu Köln mag dieser Bezirk — mit fast 80 Quadratkilometern Fläche übrigens der größte — bis heute nicht so recht gehören. Köln scheint nicht viel mit Porz anfangen zu wollen, und die Porzer sagen immer noch, wenn es Richtung Dom geht: »Wir fahren nach Köln«.

Davon handelt »Porz 1975«: von einer durch und durch unspektakulären Welt, von 16 Stadtteilen, im Kern zumeist beschauliche Dörfern, die »uns«, den Innenstädtern, bereits als Provinz gelten und die durch die Eingemeindung um eine eigenständige Entwicklung gebracht wurden. Was aus ihnen hätte werden können, lässt sich vielleicht nur noch musikalisch beantworten. Die Porzer Stadtteile gelten als abgehängt — aufgrund politischer Fehlentscheidungen, wie Bernd betont. Denn etwa die Gewerbesteuer, die die Stadt Köln in Porz generiert, fließt kaum in den Bezirk zurück.

Das alles arbeiten Schmitz & Niebuhr auf. Nicht mittels Programm-Musik, sondern durch 16 jeweils einem Stadtteil gewidmete utopische Entwürfe. Sie evozieren eine sonnige, ein wenig verschlafene, von tiefer Melancholie durchzogene Landschaft zwischen dem großen Fluß und der weiten Heide. Die Musik ist komplex arrangierter Prog-Rock, mit Anklängen an Yes, den frühen ­Genesis, King Crimson und — im Kontrast dazu — an Tangerine Dream oder die Organic Beats von Neu!. Marco spricht davon, Dinge, die eigentlich nicht zusammenpassen, so zu arrangieren, dass sie schließlich doch zusammenpassen. Den Stücken geben Schmitz & Niebuhr deshalb viel Raum. Es ist die Musik der Mittleren 1970er, aber es ist keine Musik aus Porz.  
Bernd erzählt von der lebendigen Beat-Szene im Porz der späten 60er — aber diese Bands zu zitieren, darum geht es Schmitz & Niebuhr gerade nicht. Sie übersetzen diese Landschaft, die ja immer auch eine erinnerte ist, in Musik, die sie wiederum zurückversetzen in die Vergangenheit, als, sinniert Bernd, der Optimismus der 1960er und frühen 70er Jahre brach und sich der Zynismus des Neoliberalismus durchsetzte.

Das Medium — vielmehr der Katalysator — dieser Stücke sind die vielen biographischen Zeugnisse, die das liebevoll gestaltete Beiheft versammelt und die auch auf einigen Stücken der weitgehend instrumental gehaltenen Platten zu hören sind. Die Biographien sind der Mittler zwischen Musik und »Porz«. Sie machen die an und für sich profane Gegend zu dieser erinnerungsgesättigten Landschaft.

Wer genau hinhört (Spoiler!), wird entdecken, dass »Porz 1975« eigentlich vom Sommer 1974 ­handelt. Zwischen Feierabendbier und Sonntagsbraten wissen die Leute noch gar nicht, dass die schöne Gewöhnlichkeit, in der sie leben, bald vorbei sein wird. »Porz 1975« — das ist auch ein langer Abschied.

Tonträger: Schmitz & Niebuhr, »Porz 1975« (Trillerfisch Records / Cargo), bereits erschienen.
Erhältlich bei a-Musik, Kleiner Griechenmarkt 28–30, a-musik.com oder porz1975.de