»Völlig schutzlos«
Am 7. Mai 2025, kurz nach sechs Uhr morgens, klopfen Beamt:innen an der Tür einer Flüchtlingsunterkunft in Köln. Die Familie Hoxha schläft noch — Izabela Hoxha (Name geändert), von jahrelanger häuslicher Gewalt gezeichnet, und ihre vier minderjährigen Kinder. Ohne die Möglichkeit, persönliche Sachen zu packen, wird die Familie zur »Rückführung« nach Albanien abgeholt. Sechs Stunden später sitzt sie im Sammelflieger.
So schildert Izabela Hoxha den Hergang anschließend der Beratungsstelle Agisra, die sie und ihre Familie seit einem halben Jahr begleitet. Sie und ihre Kinder sind nun wieder in jenem Land, in das der gewalttätige Ehemann drei Monate zuvor von der Kölner Ausländerbehörde abgeschoben worden war — ein wegen Körperverletzung verurteilter Mann, der nicht nur gegen seine Frau, sondern auch gegen alle vier Kinder Gewalt angewandt hatte. Unter anderem schlug er mit einem Handy auf das damals vier Monate alte Baby ein. Mehrfach drohte er, Frau und Kinder umzubringen — dokumentiert in Akten von Polizei und Jugendamt.
Nach einer Eskalation im Herbst 2024 wurde der Mann verhaftet, im Januar verurteilt und im Februar abgeschoben. Nach Jahren der Gewalterfahrungen begann die Familie, sich vorsichtig zu stabilisieren: Die älteste Tochter, die gegenüber dem Jugendamt mehrfach Suizidgedanken geäußert hatte, startete eine Traumatherapie, für die kleineren Kinder wurden Erstgespräche mit Therapeuten vereinbart. Ein ärztliches Attest bescheinigte der ältesten Tochter eine posttraumatische Belastungsstörung und erklärte sie für reiseunfähig. Das Attest lag der Ausländerbehörde vor.
Sophia Çora von Agisra ist entsetzt: Menschen- und kinderschutzrechtliche Standards seien missachtet worden, internationale Abkommen ebenso wie die Kölner »Leitlinie Kindesschutzwohl«, die seit 2023 in Kraft ist. Sie sieht vor, dass bei Abschiebungen von Familien das Jugendamt und medizinische Fachstellen einbezogen werden und eine individuelle Zumutbarkeitsprüfung stattfindet. Auch gibt es genaue Vorgaben, wie die Abschiebung ablaufen soll, sofern es dazu kommt, um zusätzliche Traumatisierungen zu verhindern. »Gegen all diese Vorgaben wurde verstoßen«, sagt Çora. »Die Familie lebt jetzt in Todesangst.«
Auch die Anwältin Saskia Piotrowski, die Izabela Hoxha seit Februar vertritt, erfuhr erst am gleichen Tag durch die Leitung der Geflüchtetenunterkunft von der Abschiebung. Sie hatte etwa eine halbe Stunde Zeit, um einen Eilantrag mit sechs Anlagen einzureichen. Der Antrag wurde abgelehnt, auch weil das offizielle ärztliche Gutachten, das von der Anwältin in Auftrag gegeben wurde, aufgrund der Komplexität des Falls noch nicht vorlag.
Die Familie lebt in TodesangstAgisra, Beratungsstelle für geflüchtete Frauen
Grundlegende Rechte seien missachtet worden, so die Anwältin. Das Handy wurde Izabela Hoxha in der Unterkunft abgenommen, noch bevor sie Kontakt zur Anwältin oder zu Schutzorganisationen im Herkunftsland aufnehmen konnte. »Es ist in den Leitlinien aber vorgesehen, dass Kinder und Jugendliche vor der Abschiebung Angehörige oder Unterstützungsnetzwerke im Herkunftsland kontaktieren dürfen«, so Piotrowski. Auch internationale Verpflichtungen seien missachtet worden: »Deutschland ist an die Istanbul-Konvention und die UN-Kinderrechtskonvention gebunden, völkerrechtliche Verträge mit Gesetzesrang. Die Abschiebung hätte nicht erfolgen dürfen, weil aktenkundig war, dass der Mutter ein Femizid und den Kindern Gewalt droht.« Zudem müssen bei jeder Abschiebung das Kindeswohl und der Gesundheitszustand berücksichtigt werden.
Der Bundespolizei wurde zwar ein Vermerk übergeben, dass die Familie in Albanien an eine Schutzorganisation übergeben werden sollte. Doch diese Übergabe erfolgte laut Piotrowski nicht. »Ob die Informationen an die albanische Polizei weitergegeben wurde, blieb auch auf Nachfrage unklar. Es hieß nur: die Zuständigkeit der Bundespolizei habe geendet.« Schon kurz nach der Ankunft wurde die Familie vom Ehemann wieder aufgespürt. »Er hat sie erneut angegriffen in Anwesenheit der Kinder«, berichtet Agisra-Mitarbeiterin Adrijane Mehmetaj-Bassfeld, die albanisch spricht und mit der Familie in Kontakt steht. »Jetzt muss die Familie noch schlimmeres Leid ertragen, weil sie in Albanien völlig schutzlos sind.«
Die Stadt Köln weist die Vorwürfe zurück: »Kindeswohlaspekte unter Berücksichtigung der Kindeswohlleitlinie wurden im gesamten Prozess durchgängig betrachtet und beachtet«, so ein Stadtsprecher. So sei die Familie nicht vor 6 Uhr morgens aufgesucht worden, man habe Dolmetscher und eine Ärztin hinzugezogen »als auch zusätzlich Mitarbeiterinnen eingesetzt, die das Kindeswohl während der gesamten Maßnahmen sicherstellten«.
Inzwischen hat der Fall Hoxha die Landespolitik erreicht. Behörden müssten stärker für Kinderrechte und den Schutz von Frauen vor Gewalt sensibilisiert werden, sagt die Kölner SPD-Abgeordnete Carolin Kirsch.
Ausländerbehörden seien überlastet, zuständige Ämter stimmten sich nicht ausreichend ab. Der Petitionsausschuss des Landes prüft nun, ob die Abschiebung rechtlich korrekt war. »Es kommt mir so vor, als ob staatliche Handlungsfähigkeit demonstriert werden soll. Das trifft aber leider den falschen Fall«, so Kirsch.