Die verbuddelten Millionen
Die Kölner Nord-Süd-Stadtbahn gilt bereits jetzt als die teuerste U-Bahn Deutschlands. 550 Millionen Euro sollte der vier Kilometer lange Neubau ursprünglich kosten, inzwischen ist die Summe auf 1,1 Milliarden Euro angewachsen – eine Teuerung um satte hundert Prozent. Ob der Fehlkalkulation damit ein Ende gesetzt ist, ist mehr als fraglich, denn an der Trasse zwischen Hauptbahnhof und Kölner Südstadt soll laut Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) bis voraussichtlich 2010 gearbeitet werden. Und teurer geht immer.
Finanziert wird das Milliardenprojekt aus verschiedenen Töpfen: Sechzig Prozent trägt der Bund, dreißig Prozent das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Köln schießt zehn Prozent hinzu. Im Mai 2000 stellte die Stadt einen Finanzierungsantrag, die Förderzusage folgte im August 2002. Für Kritiker war von Anfang an klar, dass die von der Stadt kalkulierten Baukosten beschönigt wurden, um die Sponsoren von Bund und Land nicht zu vergraulen. Weder die überschuldete Stadt noch die seit Jahren defizitär arbeitenden Kölner Verkehrs-Betriebe waren in der Lage, das ehrgeizige Prestigeobjekt zu stemmen. Die Verantwortlichen bei Stadt und KVB weisen den Vorwurf entschieden zurück. »Ich gehe sicher davon aus, dass die Leute, die das seinerzeit gemacht haben, nicht Strategien entwickelt haben, um bestimmte Kosten weg zu lassen oder nett zu rechnen«, sagt Baudezernent Bernd Streitberger dem ARD-Magazin Monitor.
Trotzdem fallen Ungereimtheiten ins Auge. So stand bereits bei der europaweiten Ausschreibung des Projekts im Jahr 2003 fest, dass keine Baufirma mit den von der Stadt angesetzten 550 Millionen Euro auskommen kann. Ein internes Schreiben der KVB besagt, »dass das günstigste Angebot erheblich über der Verwaltungskalkulation der Stadt lag und die Finanzierung des Gesamtprojektes nicht mehr gesichert war«. Das heißt im Klartext: Bereits vor Baubeginn liefen die Kosten aus dem Ruder.
Rechnung mit völlig veralteten Kosten
Die Stadt stellte Nachforderungen an Bund und Land von achtzig Millionen Euro und trieb das Budget damit auf 630 Millionen. Doch wie konnte das sein? Ein Blick in die Kalkulation der Stadt offenbart Erstaunliches: Bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung wurde mit völlig veralteten Kosten gerechnet. »Bei der Preisfindung für die Rohbaugewerke wurde – soweit verwendbar – auf die tatsächlichen Baukosten der U-Bahn Mülheim zurückgegriffen, also auf ein Preisgefüge von Mitte der neunziger Jahre«, heißt es in einem Schreiben des KVB-Vorstands. Hinzu kam, dass in der städtischen Kalkulation weder eine Preissteigerung für Löhne noch für Material enthalten war – bei einer Planungs- und Bauzeit von mehr als zehn Jahren. Die logische Konsequenz: Auch die neue Kalkulation war bald überholt, die Kosten schnellten immer weiter in die Höhe. Bislang wurden 490 Einzelnachträge gestellt.
Alles unvorhersehbar, wie Stadt und KVB wiederholt versichern? Ein Vergleich der ursprünglichen Kalkulation mit den tatsächlich entstandenen Kosten lässt da Zweifel aufkommen. So ist beispielsweise bei den archäologischen Ausgrabungen einiges schief gelaufen. Im Kölner Untergrund, das sollte man in Stadt- und KVB-Kreisen als bekannt voraussetzen, ruhen eine Vielzahl historischer Funde, deren Bergung Zusatzkosten verursachen. Die archäologischen Ausgrabungen in Köln zählen mit einer Fläche von 20.000 Quadratmetern zu den größten und bedeutendsten in Europa.
Seit dem Beginn der Bauarbeiten wurden bislang zwei Millionen Fundstücke aus der Römerzeit ans Tageslicht befördert. Kein Wunder, dass man mit den veranschlagten 675.000 Euro nicht weit kam, derzeit liegen die Kosten bei rund zwanzig Millionen Euro – das entspricht dem 30-fachen des eigentlichen Werts. NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke hat für diesen immensen Kostenschub kein Verständnis. »Man weiß, insbesondere wenn man im historischen Stadtkern von Köln gräbt, dass man auf römische, merowingische oder karolingische Funde stößt. Das kann eigentlich nicht überraschend gewesen sein.«
Auch die Personal- und Nebenkosten für das Amt für Brücken- und Stadtbahnbau waren offenbar äußerst unrealistisch angesetzt. Die Stadt veranschlagte 230.000 Euro, tatsächlich belaufen sich die Kosten derzeit auf sieben Millionen Euro. Gar nicht berücksichtigt, sozusagen übersehen, wurden die Nebenkosten unter anderem für Gutachter, Statiker und Bauüberwachung. Mittlerweile beläuft sich allein dieser Posten auf mehr als 100 Millionen Euro.
Bund und Land überprüfen die Kostenexplosion
Einen Verantwortlichen für die Fehlplanungen zu finden, ist schwierig. Die KVB weist jede Schuld von sich und betont, dass nicht sie, sondern die Stadtverwaltung für die Kalkulation verantwortlich sei. Die Stadt wiederum beruft sich auf die geltenden Förderrichtlinien. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz schreibe genau vor, was Grundlage einer solchen Kalkulation sei und daran habe man sich gehalten, sagt Baudezernent Streitberger. Die Landesregierung sieht das anders. Oliver Wittke: »Wir haben eine Kostenexplosion, die untersucht werden muss. Wir wollen sicherstellen, dass die Kostensteigerungen möglichst gering bleiben und dass so etwas künftig an anderen Stellen im Land nicht mehr möglich ist.« Bund und Land überprüfen deshalb aktuell, in welchem Umfang sie die Mehrkosten bei der Kölner U-Bahn noch mittragen. Für die Stadt Köln könnte eine mögliche Ablehnung zum finanziellen Desaster führen. Denn bereits jetzt summiert sich der städtische Anteil an den Baukosten auf 272 Millionen Euro, zuzüglich der Finanzierungskosten für die Kreditaufnahme sogar auf 640 Millionen Euro.
In einem Schreiben der KVB an das städtische Rechnungsprüfungsamt wird darauf hingewiesen, dass man davon ausgehe, »dass die Mehrkosten zu fünfzig Prozent aus Bundes- und Landesmitteln gefördert werden«. Damit würde die Stadt auf der Hälfte der Mehrkosten sitzen bleiben. Nicht nur Preissteigerungen, auch Sonderwünsche von Stadt und KVB verursachten weitere Kosten. So wurden zum Beispiel die einzelnen Haltestellen nachträglich um rund 22 Prozent vergrößert. Experten gehen davon aus, dass auch die von der Stadt ursprünglich kalkulierten Preise für den jetzt anstehenden Innenausbau, also die Ausstattung der Haltestellen und der Bau der Gleis- und Signalanlagen, nicht haltbar sind.
Allerdings schreibt das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vor, dass öffentliche Projekte nur unter »Beachtung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit« gefördert werden. Konkret bedeutet das, dass beim Bau von Schienenwegen für jeden investierten Euro mindestens ein Nutzen von einem Euro herauskommen muss. Zur Berechnung der Effizienz sind besonders die prognostizierten Fahrgastzahlen ausschlaggebend. Bisher lagen diese nach KVB-Angaben für die neue Strecke bei täglich 60.000 Fahrgästen. Doch jetzt wird neu gerechnet, immer mehr Kunden sollen in die neue U-Bahn einsteigen – laut Schätzungen bis zu 77.000. Sind die Kosten zu hoch, muss der Nutzen entsprechend steigen, hoffen die Verantwortlichen. Mit Hilfe dieser kreativen Idee soll die weitere Finanzierung durch Bund und Land gesichert werden. Sicher ist allerdings nur eins: Die Rechnung für das Milliardenprojekt zahlt der Steuerzahler.
Georg Wellmann ist Autor des ARD-Magazins »Monitor« und hat gemeinsam mit Jan Schmitt den Beitrag »Kölner U-Bahn: Teurer als der Transrapid« realisiert
Nord-Süd-Stadtbahn Die 4,2 Kilometer lange Bahntrasse verläuft
vom Breslauer Platz in den Kölner Süden. Sieben Haltestellen (Breslauer Platz, Rathaus, Heumarkt, Severinstraße, Kartäuserhof, Chlodwigplatz, Bonner Wall) sind im Untergrund, ein Ausstieg ist überirdisch (Marktstraße).