600.000 Müll-Tonnen
»An Dezernate 54 und 55, im Hause. Telefonat mit OStD Ruschmeier 22.07.1992. Um das für nächstes Jahr vorgesehene Planfeststellungsverfahren für die MVA zu beschleunigen, habe ich ihm geraten, ... besonders die Firma Steinmüller aus Gummersbach zu berücksichtigen. Diese könne beispielsweise mit der Deutschen Babcock eine Arbeitsgemeinschaft bilden (Babcock macht die Aachener MVA). Herr Ruschmeier wird Herrn Eisermann (Geschäftsführer der AVG) entsprechend informieren. gez. Dr. A.«
Die Quelle: eine Kurznotiz des Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes, die sein Telefonat mit dem Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln mbH(AVG), zusammenfasste.
Die Gründung der AVG
Am 14.5.1992 wurde zwischen der Stadt Köln, der Trienekens Entsorgung GmbH und der Stadtwerke Köln GmbH der Gesellschaftervertrag der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln mbH (AVG) unterzeichnet. Die Stadt legte 1.002.000 Mark auf den Tisch, also 50,1 Prozent Gesellschafteranteile, Trienekens 502.000 Mark, also 25,1 Prozent, die Stadtwerke 496.000 Mark, also 24,8 Prozent. Die AVG sollte im Zuge des Zeitgeists, dem die Mehrheit des Rates freudig folgte - »Privatisierung macht kommunale Leistungen billiger und flexibler« - künftig die Abfallentsorgung der Stadt übernehmen. Am folgenden Tag trafen sich die selben Herren noch einmal und schlossen den Konsortialvertrag zwischen der Stadt Köln und der AVG ab. Darin konnte man lesen: »Die Stadt Köln verpflichtet sich, der AVG zur Finanzierung der Planungs- und Investitionskosten für die MVA kommunalverbürgte Darlehen zu verschaffen.« Und weiter: »Eine angemessene Eigenkapitalverzinsung ist sicherzustellen.« Am 15.5. traf man sich gleich noch einmal, zur Gesellschafterversammlung der AVG, und genehmigte den Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer Eisermann.
Am 27.5.92 schließlich trafen sich dieselben Herren ein weiteres Mal und unterzeichneten den Entsorgungsvertrag. Damit beauftragt die Stadt Köln die AVG mit der Abfallentsorgung zunächst bis zum Jahre 2025: »Die AVG erhält von der Stadt Köln für ihre Leistungen Entgelte. Dabei sind in angemessener Weise Eigenkapitalverzinsung, Gewinn und Risikovergütung berücksichtigt.« (_ 10) Im Aufsichtsrat der AVG sitzen Mitglieder des Rates und der Stadtverwaltung, Vertreter von Trienekens und RWE (Trienekens gehört zu RWE). Lothar Ruschmeier ist Vorsitzender, Hellmut Trienekens Stellvertreter. In der Folgezeit gründet die AVG Tochtergesellschaften: die Kompostierungs- und Verwertungs-Gesellschaft Köln mbH (KVK), die Gewerbeabfallsortier- und Verwertungs-Gesellschaft Köln mbH (GVG), die Baustellenmischabfall-Verwertungs-Gesellschaft mbH (BMV). Außerdem werden der AVG per Ratsbeschluss weitere Aufgaben übertragen - ohne die vorgeschriebene öffentliche europaweite Ausschreibung: so die Entsorgung der Öl- und Fettabscheider im Stadtgebiet sowie den täglichen Transport der »Klärwerksnebenstoffe« aus dem Klärwerk Stammheim nach Thüringen.
Die Ausschreibung der MVA
Hauptprojekt der AVG ist die Müllverbrennungsanlage. Sie soll zur Begrüßung des neuen Jahrtausends den Betrieb aufnehmen und, Infrastrukturmaßnahmen eingerechnet, 912 Millionen Mark kosten. Ein Jahr nach dem Telefonat zwischen Antwerpes und Ruschmeier verschickt die AVG die Ausschreibungsunterlagen an ausgesuchte Firmen - die öffentliche europaweite Ausschreibung unterblieb auch hier. ABB, Babcock, Noell, Roll und Steinmüller legen Angebote vor. Sie müssen verglichen und bewertet werden. Das tut weder die AVG noch die Stadtverwaltung, sondern die private Planungsfirma UTG. UTG ist eine 100-prozentige Tochter des AVG-Gesellschafters Trienekens.
Außerdem im Trienekens/RWE-Imperium: die Firma Steinmüller, die der Baufirma Holzmann AG gehört, welche wiederum wie Trienekens von der RWE beherrscht wird. Trienekens betreibt mit Holzmann die Holzmann & Trienekens GmbH zur Regelung gemeinsamer Beteiligungen. UTG kommt zu dem Schluss, dass Steinmüller eindeutig das beste Angebot abgegeben habe, obwohl dieses beispielsweise eine veraltete Technik umfasst: die Trommel-Rostfeuerung. Steinmüller erhält im Januar 1994 einen Generalunternehmervertrag und soll in Zusammenarbeit mit anderen Firmen - zum Preis von 792 Millionen Mark - die MVA schlüsselfertig liefern. Obwohl die Baugenehmigung noch nicht vorliegt, wird vereinbart: Wenn die MVA nicht gebaut wird, hat die AVG an Steinmüller die 792 Millionen Mark abzüglich der ersparten Aufwendungen zuzüglich Schadensersatz zu zahlen.
Ressource Müll
Im Jahre 1988, als es noch nicht einmal die Verpackungs-Verordnung, das Duale System Deutschland (DSD), das Vermeidungsgebot im Abfallgesetz und auch nicht die Biotonne gab (jedenfalls nicht in Köln) und schon gar nicht das Kreislaufwirtschaftsgesetz (es gilt ab 1996), beschloss die Ratsmehrheit das Abfallwirtschaftskonzept (AWK). Die jährliche Müllmenge in Köln wurde auf 421.000 Tonnen festgelegt. Zu deren Verbrennung sollte die MVA gebaut werden. Die Menge war einerseits schon überholt, denn das Bonner Umweltministerium stellte damals fest: Die Müllmengen gehen zurück. Andererseits war die Menge unbotmäßig niedrig, hatte doch regierungspräsident Antwerpes, der sogeannte »Kurfürst von Köln«, eine MVA für 600.000 Tonnen jährlichen Mülls gefordert. Antwerpes, der seine Untergebenen den Müll in den Diensträumen mit »brav sortieren« lässt, zählt zu den großen Stützen der nordrhein-westfälischen Verbrennungslobby. Andere bereits gebaute Müllverbrennungsanlagen in Düsseldorf, Bonn und Leverkusen verfügen mittlerweile über freie Kapazitäten. Im Juli 1995 bietet letztere der Stadt Köln sogar an, jährlich 100.000 Tonnen Müll zu übernehmen. Im Juni 95 musste Antwerpes selbst bekannt geben, dass die Müllmenge im Regierungsbezirk von 1992 bis 1994 »entgegen jeder Prognose« um 500.000 Tonnen von 1,9 auf 1,4 Millionen Tonnen gesunken sei.
Antwerpes geht bei seinem verbissenen Einsatz für die MVA ziemlich eigenwillig mit Recht und Gesetz um. Umweltverträglichkeits-Gesetz und EU-Richtlinie enthalten das Vermeidungsgebot. Das Abfallgesetz verbietet Überkapazitäten, da sie das Vermeidungsgebot unterlaufen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung wurde umgangen. Die wichtigste Begründung für die MVA war seit Mitte der 80er Jahre: »Die Deponie Vereinigte Ville ist spätestens im Jahre 2001 voll.« Dies ist falsch und jeder kann es wissen: Anfang 1995 betrug das Volumen der Deponie noch 7.928.000 Kubikmeter. Im Jahre 1994 verringerte sich das Volumen um 312.000 Kubikmeter. Nehmen wir diese Menge als konstant an (in Wirklichkeit wird sie fallen), dann reicht die Deponie noch 25,4 Jahre, also bis zum Jahre 2020. Dazu gibt es noch das Angebot der benachbarten Rheinbraun AG auf eine Deponie-Optionsfläche für 10.000.000 Kubikmeter, und noch ein Angebot der Hoechst AG (deren Müll wird auch weniger).
Die Genehmigung
Die Region Köln hat weltweit die größte Dichte an Hals-, Nasen- und Ohrenärzten pro Einwohner. Das hat nichts mit dem Klüngelgestank aus dem Rathaus zu tun, der medizinisch ungefährlich ist. Es hat vielmehr mit der weltweit größten Dichte an Chemiebetrieben zwischen Dormagen und Wesseling zu tun. Innerhalb der Region ist der Kölner Norden mit den Stadtteilen Niehl, Merkenich und Seeberg besonders belastet: Bayer Leverkusen grüßt und stinkt über den Rhein, zahlreiche Chemie- und Mineralölbetriebe sind hier angesiedelt. Genau hier soll auch die MVA gebaut werden: eine bestechende Logik. Gleichzeitig werden hier weitere Entsorgungsanlagen gebaut.
Der Verbrennungslobby war klar: Die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutz-Gesetz wird problematisch. Antwerpes schlug folgende Lösung vor: Durchpauken. Am 5.10. 1993 teilte Lothar Ruschmeier als Vorsitzender des AVG-Aufsichtsrates seinen Kollegen mit, die gerade über dem Vertrag mit Steinmüller brüteten: »Im übrigen will Herr Dr. A. binnen Zweijahresfrist für eine entsprechende Genehmigung der MVA Sorge tragen.« Außerdem sorgte Dr. A. noch fürs Weggucken. Die Vorbelastung der Luft am Standort Niehl hätte im Zusammenhang mit Smogbildung, Inversionswetterlagen und Hauptwindrichtungen über einen längeren Zeitraum gemessen werden müssen, um die Zusatzbelastung durch die MVA beurteilen zu können. Das würde Zeit und Geld kosten. Auch hier durfte Ruschmeier in der selben Sitzung seinen Kollegen die kurfürstliche Botschaft überbringen: »... dass sich die Genehmigungsbehörde RP nicht eindeutig festlegt hinsichtlich der Erfordernisse von Emissionsprognosen und Vorbelastungsmessungen ... und mit Bezug auf die Mehrkosten kein Vertreter der Genehmigungsbehörde eindeutig Position bezieht.« Deshalb enthielten dann die Genehmigungsunterlagen für die MVA ein geflickschustertes Gutachten mit »vergleichbaren« Daten aus Köln-Wahn, Essen und Hannover _ aber nicht aus Köln-Niehl.
Die Panne mit dem Schornstein
Nach dem Gesetz müsste der Schornstein der MVA 67,5 Meter hoch sein. Die AVG will ihn 100 Meter hoch bauen. Eine solche Ausnahme muss konkret begründet werden. Stattdessen bietet die AVG wolkige Versprechungen: »... aus Vorsorgegründen über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende Höhe zum Schutze der Umwelt.« Die AVG nennt in ihrem Genehmigungsantrag für die MVA sehr niedrige Grenzwerte bei den über die Luft ausgestoßenen Schadstoffen. Nehmen wir an, dass diese bisher auf der Welt von keiner Anlage eingehaltenen Werte in Köln eingehalten würden, kämen selbst bei optimalem und störungsfreiem Betrieb (den es bei einer Erstanlage nicht gibt) jährlich 35 Tonnen schadstoffbelastete Feinstäube aus dem Schornstein. Bei 100 Meter Höhe werden die natürlich menschenfreundlich über eine größere Fläche verstreut als bei 67,5 Meter. Durch ihre Menschen- und Umweltfreundlichkeit stellt sich die AVG ein Bein. Nach Gesetz müssen die Genehmigungsunterlagen in einem Umkreis ausgelegt werden, der sich aus der Multiplikation von Schornsteinhöhe mal 30 ergibt: 100m x30 = 3.000m. In diesem Fall gehört Leverkusen zum Einzugsgebiet. Dort aber hat Antwerpes die Unterlagen nicht ausgelegen lassen.
Die so genannte Erörterung
Seit einem Jahrzehnt kämpfen Bürgerinitiativen im Kölner Norden gegen die MVA. Die KIMM (Kölner Interessengemeinschaft Müllvermeidung statt Müllverbrennung) hat im August 1995 54.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen das Abfallwirtschaftskonzept gesammelt. Entweder nimmt der Rat seinen Beschluss von 1988 zurück oder es muss ein Bürgerentscheid eingeleitet werden. Die KIMM hat gleichzeitig die Einwendungen gegen den im März 95 ausgelegten MVA-Genehmigungsantrag koordiniert. Gegen die von Antwerpes angesetzte Erörterung ab 28.8.95 erhebt die KIMM Einspruch bei der Aufsichtsbehörde, weil der Antrag nicht in Leverkusen ausgelegt war. NRW-Umweltministerin Höhn hat dem stattgegegeben und den Regierungspräsidenten angewiesen, die Erörterung zu verschieben.
Gegen die Verschiebung wiederum klagt die AVG vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Dieses beugt sich der eidesstattlichen Versicherung, eine Verschiebung um sechs Monate würde die Stadt Köln Schadensersatz in Höhe von 65 Millionen Mark kosten. Die Erörterung muss also stattfinden. Die KIMM stellt Anträge auf Befangenheit des Regierungspräsidenten und seiner Behörde: »Die Einhaltung von Recht und Gesetz ist unter solchem Druck unmöglich.« Danach ziehen die Einwender aus dem Erörterungstermin aus. In den folgenden Großanzeigen der AVG im Kölner Stadt-Anzeiger und auch im Kommentar der Lokalchefin wurde als einzige Begründung der KIMM für ihren Auszug unterstellt, die »Notausgänge der Veranstaltungshalle seien nicht breit genug gewesen«.
Die Gebühren
Mit der privaten AVG befreit sich die Stadtverwaltung aus dem Kommunalabgabengesetz, das verbietet die Gebühren über die Kostendeckung hinaus zu erhöhen. Der AVG sind »angemessene Eigenkapitalverzinsung, Gewinn und Risikovergütung« garantiert. Ein Bankenkonsortium aus WestLB, Kreis- und Stadtsparkasse Köln gibt der AVG 1,125 Miliarden Mark Kredit. Wollen wir einmal allein die Zinsen dafür ausrechnen, die ab dem Jahre 2000 auf die Abfallgebühren aufgeschlagen würden? Wir würden dabei bedenken, dass, was die Banken freut, die Zinsen für privatwirtschaftliche Kredite höher sind als für kommunale. Darüber hinaus zahlt die Stadt der AVG aus den schon jetzt erhöhten Müllgebühren »Vorlaufkosten«, bisher 45 Millionen Mark. Nicht genug: Die Freunde der Privatisierung haben der Lösung zugestimmt, dass die Stadt eine Ausfallbürgschaft für die 1,125 Mrd. Mark Kredit übernimmt.
Das Bürgerbegehren
Die Verbrennungslobby suggeriert: Verbrennung schafft den Müll endgültig und sicher weg. Das ist falsch: Im Niehler Ofen würden von den 421.000 Tonnen verbranntem Müll 120.000 Tonnen jährlich als schadstoffbelastete Schlacken, Gipse und Filterstäube übrigbleiben. Die AVG behauptet öffentlich: Sie werden zu Baustoffen. Wieder falsch: Sie werden - so steht es im Genehmigungsantrag der AVG - im Straßenunterbau verbuddelt und in Bergwerksstollen deponiert.
Die Deponierung des Mülls kann auf Dauer nicht weitergehen, das ist klar. Aber die diffuse Verteilung der Schad- und Reststoffe der MVA ist ebenfalls keine Lösung. Die Verbrennungs- und Verwertungstechnologie und das genaue Sortieren befinden sich noch in einer Experimentierphase (Thermoselect, Biologisch-Mechanische Rotte, Kompostierung u.a.). Mit der Vermeidung wird - insbesondere in der Industrie - gerade erst begonnen. Jetzt eine vorgestrige Technik für 25 Jahre hinzubauen, ist teure Verantwortungslosigkeit. Die neue Regierungskoalition von NRW hat vereinbart keine neuen MVA mehr zu bauen. Doch eine Koalitionsvereinbarung kann in Sachen Müllverbrennung nur gemeinsam mit den Kommunen umgesetzt werden. Der wichtigste nächste Schritt in Köln ist deshalb das Bürgerbegehren.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der AVG und Oberstadtdirektor von Köln, Lothar Ruschmeier, droht im Mai 95 dem Rat: »Im Falle der Kündigung in Sachen MVA haftet die Stadt Köln gegenüber der AVG mit 540 Millionen Mark«.