... auf den größten Haufen
Im Übrigen stimmte der Kölner Rat am 16. Juli 2002 einstimmig dafür, dass der verwaltungstechnische Ablauf im Zusammenhang mit dem Bau der Müllverbrennungsanlage rekonstruiert und alle Vorgänge einschließlich der Kapazitätsausweitung im Jahre 2000 auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersucht werden sollen.
Die Ergebnisse der Untersuchung hätten eigentlich bereits Gegenstand der von CDU, FDP und Grünen zu besagter Ratssitzung beantragten Aktuellen Stunde zu den Themen >Bau der MVA< bzw. >Kapazitäten der MVA und ihre Folgen< sein müssen, handelte es sich doch immerhin um die letzte Ratssitzung vor der Sommerpause. Doch auch Karthago wurde nicht an einem Tag besiegt und in der Wüste der Administration reitet immer noch der Teufel die Details zur Tränke, wie der bemüht kafkaesk dreinblickende Wirtschaftsdezernent Klaus-Otto Fruhner vorführte.
Fruhner präsentierte alte Beteiligungsberichte der Stadt an der AVG, worin aus Sicht der Verwaltung schon die Erhöhung des MVA-Durchsatzes vorhergesagt worden sei - ohne im Rat auf Widerstand zu stoßen, woraus sich weiterhin durch simple Rollerückwärts schließen lasse, dass eigentlich nie jemand von einer begrenzten Verbrennungstonnage ausgegangen ist, sondern immer schon ein ominöser >Heizwert< zu Grunde lag. Außerdem, so Fruhner, wisse doch jeder, dass für einen Anlagendurchsatz von 421.000 Jahrestonnen, der im Kölner Abfallwirtschaftskonzept von 1996 festgelegt worden ist, eine Anlage für 569.000 Tonnen gebaut werden musste: könne ja mal was kaputt gehen. Durch hohe Wirtschaftlichkeit von 95 Prozent schaffe die MVA aber noch mehr als diese Höchstmenge - was unlogisch ist, aber technisch klingt.
Wundersame Vermehrung
618.000 Tonnen Verbrennungsmüll waren es im Jahre 2001, davon stammte fast ein Viertel nicht aus dem Regierungsbezirk Köln, Tendenz steigend und Ende offen. Bis zu 800.000 Jahrestonnen sollen bei der Kölner MVA verbrannt werden können, womit die Anlage de facto Europas größte MVA ist. Und das bei einer vom Rat beschlossenen und auch schon als zu hoch kritisierten Kapazitätenbegrenzung auf 421.000 Jahrestonnen. Das von der Stadt Köln beauftragte Institut für Energie und Umweltforschung (Ifeu) in Heidelberg war 1988 zu dem Schluss gekommen, eine Anlage von 235.000 Tonnen sei bei flächendeckender Biotonnen-Einführung ausreichend - obwohl man damals von steigenden und nicht von fallenden Müllmengen ausging. So offensichtlich viele Ratsmitglieder die Beteiligungsberichte der Stadt nicht gelesen haben, so offensichtlich scheinen die >Überkapazitäten< der MVA gewollt und gewollt verschleiert worden zu sein.
Das Engagement der AVG, die Tonnage nach oben zu treiben, ist einfach zu erklären: Ein größeres Volumen bringt größeren Gewinn, indem über den städtischen Müll hinaus auch Fremdmüll angenommen werden kann, wenn auch oft zu geringeren Preisen. Das rechnet sich allemal, denn für die immensen Kosten der eigentlich redundanten vierten Ofenlinie der MVA kamen schließlich die Kölner Bürgerinnen und Bürger auf, nicht die Betreiber. Aus diesem Grund hat die Bürgerinitiative Umwelt und Wohnen Strafanzeige gegen die AVG gestellt: unter anderem liege Betrugsverdacht vor, sagt BI-Sprecher Rainer Zinkel, weil die Gebührenzahler für die überflüssigen Kapazitäten aufzukommen haben. Zudem nehme durch erhöhte Verbrennung natürlich auch die Emissionsbelastung im Kölner Norden weiter zu.
Die aufgeflogene Kapazitätenüberschreitung wäre unter anderen Umständen wohl nicht sonderlich diskutiert, vielleicht sogar – wie jetzt von der SPD-Ratsfrau Ulrike Loida – als kluges Wirtschaften zum Nutzen der Stadt verteidigt worden. Zurzeit aber ist diese Entdeckung aus zwei Gründen brisant. Zum einen ist Wahlkampfzeit und deshalb geraten die verantwortlichen Stellen in Verwaltung und Politik wegen der geduldeten Veränderung des Ratsbeschlusses unter Druck. Zum anderen ist immer öfter die Vermutung zu hören, die Überdimensionierung, die baulich ja von Beginn an eingeplant war, könnte ebenfalls das Ergebnis gekaufter Entscheidungen gewesen sein. Die Kölner CDU vermeidet jedenfalls auffällig diese zweite Diskussion, sie stützt sich auf die juristisch-genehmigungsrechtliche Diskussion.
Einhellige Widersprüche
Am 20. September 2000 setzte der Kölner Regierungspräsident auf Antrag der AVG und unter Umgehung des Rates – nach eigener Aussage – die Begrenzung der Kapazität auf 569.000 Tonnen pro Jahr herauf. Die AVG wiederum dementiert diese Darstellung und betont, man habe sich nur auf eine bestimmte Wärmemenge pro Jahr geeinigt. Als Begründung hält ein Absinken des Brennwerts durch größere Feuchtigkeit her. Dies hänge, so die AVG, nicht zuletzt mit dem Scheitern der Biotonne in Köln zusammen, da habe man eben die zulässige Menge erhöhen müssen. Warum man das – wenn nicht allein zum ökonomischen Wohl der AVG, die immerhin zur Hälfte der Firma Trienekens gehört – überhaupt tat und musste, beantwortet niemand. Bedarf an mehr Verbrennungskapazität bestand jedenfalls nicht, im Gegenteil, es musste zusätzlicher Müll herbeigeschafft werden.
Die Stadtverwaltung, die in der Kritik steht, weil weder das Umwelt- noch das Wirtschaftsdezernat den Rat über die Kapazitätsüberschreitung informiert haben, nimmt die Vorlage der AVG allerdings gerne auf. Eine solche Heizwert-Messungsgrundlage wäre für alle an der Anlage Beteiligten sehr vorteilhaft: die Müllmenge selbst würde dadurch variabel, zumal auch die ins Spiel gebrachten 569.000 Tonnen schon wieder um 50.000 Tonnen überschritten wurden.
Doch innerhalb des MVA-Befürworterkreises finden sich Widersprüche: Wirtschaftsdezernent Fruhner behauptet, anders als die AVG, man sei immer schon vom Heizwert, nicht von der Tonnage ausgegangen – womit auch die vagen Argumente für eine Neuregelung im Jahre 2000 hinfällig wären. Der Rat der Stadt Köln geht offiziell bis heute von einer Tonnage-Kapazität aus, ohne Heizwert-Regelung kommt die AVG aber sogleich in die Bredouille. Bei der Bezirksregierung heißt es wiederum, man habe mit der Genehmigung von 2000 nur die Selbstbeschränkung der Stadt auf 421.000 Tonnen aufgehoben, was im Stadtrat als vorlaute Einmischung gewertet wird. Um die Verwirrung komplett zu machen, findet sich im Abfallwirtschaftsplan des Regierungsbezirks Köln, dem Pendant zum städtischen Abfallwirtschaftskonzept, nach wie vor die Tonnage-Begrenzung: in diesem Fall sogar noch auf 421.000 Tonnen.
Ob die Entscheidung des RP, die Gesamtmenge zu erhöhen – Heizwert hin oder her –, unrechtmäßig war, ist offen und wird nun untersucht. Durch den Entsorgungsvertrag ist die AVG an das Abfallwirtschaftskonzept von 1996 gebunden: die eigenmächtig beim RP beantragte Änderung der Berechnungsgrundlage sowie deren Genehmigung könnten also durchaus gegen geltendes Recht verstoßen haben. Andererseits saßen auch im fraglichen Zeitraum Aufsichtsratsmitglieder der AVG im Kölner Rat, die ihn zumindest inoffiziell hätten informieren können: unter anderem Harald Junge von den Grünen, der von sich behauptet, bis auf die fragliche Kapazitätserhöhung – in diesem Fall als einziger Abweichler – alle Entscheidungen des AVG-Aufsichtsrates mitgetragen zu haben.
Geheime Gremien
Von weitaus größerer Dimension als alle Genehmigungsfragen ist die jetzt in der Presse, aber auch bei PDS und Grünen kursierende Vermutung: Wenn schon im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe Schmiergelder die Entscheidungen vereinfacht haben sollen, dann eventuell auch hinsichtlich des Auftragsvolumens. Technisch jedenfalls hat man unwiderlegbar eine zu große MVA erbaut, die fast das Doppelte der anvisierten Müllmenge verarbeiten kann. Der ehemalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes, der durch seine Feststellung des „Müllnotstands“ im Sommer 1986 die von vielen Seiten kritisierte MVA überhaupt erst erzwang, favorisierte schon früh eine Anlage für mindestens 600.000 Jahrestonnen: genau das also, was letztlich auch errichtet wurde. Damals war in öffentlichen Stellungnahmen übrigens niemals von Heizwerten die Rede. Die im städtischen Auftrag ergangene Begrenzung der Tonnage ist von den Befürwortern der MVA offenbar als nach und nach aufzuhebende Übergangslösung angesehen worden. Ob die geflossenen Millionenbeträge oder andere Deals diesen auch in der Politik beheimateten Willen zur Größe bekräftigt haben, bleibt zu untersuchen. Die Innenrevision des Innenministerium von Düsseldorf ist mit der Prüfung beauftragt worden.
Über die wirklichen Kapazitäten der MVA muss nicht nur das AVG-Management und spätestens ab 2000 auch der Aufsichttsrat, sondern könnten auch vorher schon zumindest Teile des Aufsichtsrats muss informiert gewesen sein. Die Grüne Petra May, MVA-Gegnerin und von 1994 bis 1996 AVG-Aufsichtsratsmitglied, vermutet Absprachen hinter den Kulissen. Innerhalb des Aufsichtsrates sei Mitte der neunziger Jahre ein hochrangig besetzter Unterausschuss gebildet worden, dessen Entscheidungen jedoch weder schriftlich festgehalten, noch im Aufsichtsrat vorgetragen wurden.
Diesem Geheimgremium mit dem Titel >Ausschuss des Aufsichtsrates für Finanz- und Personalangelegenheiten< gehörten gemäß der stillschweigenden Großen Koalition je drei der SPD (Lothar Ruschmeier, Fritz Gautier, Ludger Oelgeklaus) und drei der CDU (Hellmut Trienekens, Burkhard von der Mühlen, Ulrich Schröder) nahe stehende Aufsichtsratsmitglieder an. Mit Ruschmeier und Trienekens kamen hier also ganz offiziell, aber abseits der protokollierten Sitzung, zwei Hauptfiguren des MVA-Krimis zusammen, um über >Finanzangelegenheiten< zu sprechen. Da wüsste man gerne mehr.
In seiner Aussage vor der >Einsatzgruppe Niehl< legte auch Antwerpes, auf den nun vieles zurückzufallen scheint, nahe, sich in diesem Zusammenhang mit der Rolle des ehemaligen Oberstadtdirektors Ruschmeier zu befassen. Aber den CDU-Fraktionschef Rolf Bietmann dürfe man ebenfalls nicht vergessen, bekräftigte Antwerpes suggestiv.
Scheinheilige Aufklärungen
Just Bietmann aber schwingt sich gegenwärtig zum Chefankläger auf: eine beispiellose Rüge erging von ihm in der Ratssitzung am 16. Juli an die Adresse der Stadtverwaltung, die den Rat bewusst hintergangen habe. Die CDU sei zudem immer gegen die vierte Ofenlinie gewesen. Petra May kann darüber nur lachen: >Hätte man das damals ernsthaft gewollt, wären auch nur drei Öfen gebaut worden.< Dass die MVA also ein Sprössling aus den Tagen der stillen großen Koalition ist, dass auch CDU-Mitglieder in der fraglichen Zeit in der Verwaltung tätig waren, dass CDU und FDP noch in der Ratssitzung am 20. Juni 2002 den Antrag ablehnten, die Anlagenkonzeption der MVA zu überprüfen – all das lässt Bietmanns >J’accuse< in einem etwas anderem Licht erscheinen: dem des Wahlkampfs. Angriff, könnte man aber auch vermuten, ist die beste Verteidigung.
Den Kölner Sozialdemokraten geht es in der Tat ungleich schlechter, da der Spenden-, der Korruptions- und der Überkapazitätenskandal in erster Linie (und im buchstäblichen Sinn) auf ihr Konto gehen. Mit Blick auf die Bundestagswahl möchte die CDU diesen Eindruck verständlicherweise noch verstärken. Ob aber nach dem 22. September mit demselben Einsatz nach Schuldigen gesucht und ob bis dahin der Korruptionsvorwurf aufgeklärt sein wird, ist zumindest fraglich.
Im Fall von Hellmut Trienekens, der vorgibt, 1994 aus dem Bestechungskartell ausgestiegen zu sein, ist der Hauptvorwurf – die >Unrechtsvereinbarung< mit Ulrich Eisermann und Sigfrid Michelfelder von 1993, in der die Schmiergeld-Zahlungsmodalitäten geregelt wurden – bereits verjährt. Die Firma Steinmüller wiederum, welche die MVA als Generalunternehmer erbaute, gehörte seit 1987 mehrheitlich zum Frankfurter Holzmann-Konzern, seit dessen Schieflage im Jahr 2000 zum mittlerweile insolventen Babcock-Konzern. Das Unternehmen monetär noch zur Verantwortung zu ziehen, scheint nicht einfach zu sein.
Auch manche anderen Beteiligten spekulieren möglicherweise auf die bürokratische Gnade der Verschleppung. Dass auch Ratsgremien meist langsamer arbeiten als reden, erlebte schließlich schon der alte Cato: Zeit seines Lebens wurde Karthago nicht zerstört, auch wenn er es in jeder Sitzung forderte. Vielleicht wird auch das Müllkartell erst eines fernen Tages zerschlagen. Wenn es niemanden mehr schmerzt.