Böses Blut

In Deutschland herrscht ein bedrohlicher Mangel an Blutkonserven.

Dennoch werden Homosexuelle bei der Blutspende aussortiert —

weil sie als HIV-Risikogruppe gelten. Ein Verein kämpft dagegen an

Nicht einmal hüfthoch ist das Schild, das auf den Blutspendetermin im Kölner Gesundheitsamt aufmerksam machen soll. Es wirkt lieblos zusammengeschustert. Frederik S. trägt lila Jeans mit Nietengürtel. Er ist schwul und auf dem Weg zur Blutspende, aber Frederik darf nicht spenden.

 

Dass sein Blut als potenziell verseucht gilt, möchte er mit eigenen Ohren hören. »Die Richtlinien sind mir bekannt«, sagt er. »Ich hab zum ersten Mal davon gehört, als ich meinen Erste-Hilfe-Schein gemacht habe. Mein Lehrer meinte, dass ich lieber lügen sollte, anstatt nicht hinzugehen.«

 

Schwachpunkt »diagnostisches Fenster«

 

Es ist eine offizielle Richtlinie, die Schwulen das Blutspenden verbietet. Verfasst wurde sie vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) unter Beteiligung der Bundesärztekammer und des Robert-Koch-Instituts (RKI). Der Grund für den Ausschluss von der Blutspende liegt laut PEI »in der hohen Zahl der Sexualkontakte mit verschiedenen Partnern und im spezifischen Sexualverhalten«.

 

Hintergrund: Eine HIV-Infektion kann innerhalb der ersten vier Wochen nicht nachgewiesen werden. Das sogenannte »diagnostische Fenster« ist damit der Schwachpunkt in der Kette der Herstellung von einwandfreien Blutkonserven. Da rund siebzig Prozent der HIV-Neuinfektionen auf sogenannte MSM zurückzuführen sind, werden sie als Risikogruppe von der Blutspende ausgeschlossen. MSM steht für Männer, die mit Männern Sex haben. Das Kürzel soll konkreter und weniger diskriminierend sein.

 

Immerhin werden Schwule neuerdings nicht mehr — wie bis vor kurzem — in einem Atemzug mit Prostituierten, Drogenabhängigen und Häftlingen genannt, die ebenfalls von der Blutspende ausgeschlossen sind. Zumindest eine Änderung, über die sich Lars Hauke-Martens freuen kann.

 

Lars-Hauke Martens ist Sprecher des Vereins Schwules Blut. Er verschwieg seine Homosexualität, um Knochenmark spenden zu dürfen. Die Spende rettete einem Familienvater das Leben. Bei der deutschen Knochenmarkspenderdatei hatte er sich registrieren lassen, als ihm noch nicht bewusst war, dass er schwul ist.

 

Wer spenden will, muss lügen

 

Im Laufe der Untersuchungen erfuhr er, dass Homosexuelle nicht spenden dürfen. Martens spendete trotzdem — weil er nachweislich kein HIV hatte. »Viele Freunde von mir waren vor den Kopf gestoßen, als sie von der Regelung hörten«, erinnert er sich. Zusammen wollen sie für mehr Aufklärung sorgen. »Das war im Prinzip die Geburtsstunde von Schwules Blut.«

 

Seitdem kämpft der kleine Verein aus Bielefeld, der mittlerweisle mehr als 600 Mitglieder hat, gegen den Generalverdacht. Seine Entscheidung zu lügen, hat Lars-Hauke Martens noch keinen Tag bereut. »Ich würde es jederzeit wieder tun«, sagt er.

 

Im Flur des Kölner Gesundsheitsamts wird Frederik von einer Spendehelferin begrüßt. Ihre Augen strahlen, als sie ihn sieht. Der menschenleere Flur deutet darauf hin, dass er momentan der einzige Blutspender ist. Flink studiert sie Frederiks Personalausweis, drückt ihm eine Informationsbroschüre in die Hand.

 

Frederik liest Satz für Satz, erfährt, dass der Puls zwischen 50 und 110 Schlägen pro Minute liegen muss, und die Körpertemperatur nicht über 37 Grad liegen darf. Wen man lieben darf, steht nirgendwo. 19 Fragen muss er beantworten. Bei der vorletzten Frage hält er inne. Es geht um Personen mit erhöhtem Aids-Risiko. Ob er homosexuell sei, wird gefragt. Frederik macht ein Kreuz.

 

Fragwürdige Richtlinien

 

Da die Richtlinien so leicht zu umgehen sind, stellen viele deren Existenz in Frage. »Das ist meiner Meinung nach so sinnvoll wie die Frage, ob man Terrorist ist, wenn man in die USA einreisen möchte«, äußert sich ein Homosexueller.

 

Das RKI liefert Zahlen. Ende 2011 leben laut institutseigener Schätzung 450 HIV-Infizierte beziehungsweise Aidskranke in Deutschland, die sich über eine Bluttransfusion angesteckt haben. Aus der Schätzung geht jedoch nicht hervor, ob und wie viele dieser Spenden von Schwulen stammt. Ingesamt geht man von 73.000 Erkrankten aus. Bis auf Ausnahmen gehen laut RKI die Infektionen auf Blutkonserven zurück, die vor 1986 hergestellt wurde.

 

Hintergrund: Seit Oktober 1985 werden Blutkonserven flächendeckend auf das 1984 entdeckte HI-Virus untersucht. Dennoch sind Schwule für das RKI eine Risikogruppe. Unter anderem, weil rund 46.500 der circa 73.000 hierzulande HIV-Infizierten schwul sind. Das sind geschätzt aber nur 3,8 Prozent aller homo- oder bisexuellen Männer in Deutschland, denen also 96,2 Prozent Nicht-Infizifierte gegenüberstehen. Laut einer Umfrage des Vereins Schwules Blut fehlen durch die Richtlinien so ganze sechs Millionen Blutspenden. Wenn sich nichts ändert, wird es in spätestens in vier Jahren zu ernsten Versorgunglücken kommen.

 

Strafrechtliche Verfolgung schwuler Spender

 

Erkrankt jemand durch eine Blutspende, die unter Vorgabe falscher Tatsachen zu Stande kam, kann dies strafrechtliche Konsequenzen haben. Der Kanadier Kyle Freeman spendete 18-mal Blut, bevor entdeckt wurde, dass er mit Syphilis infiziert war. Freeman war schwul und hatte das verschwiegen. Von seiner Infektion wusste er nichts. Als er auf Nachfrage einräumte, homosexuell zu sein, wurde er verklagt.

 

Auch in Schottland prangern Homosexuelle die Missstände an. Dort wurde einem schwulen Mann verboten, seiner an Leukämie erkrankten Mutter dringend benötigtes Blut zu spenden. Selbst einen Bluttest lehnte die Klinik ab. Die Frau verstarb. Das Blut ihres schwulen Sohnes hätte sie retten können.

 

Claudia W. ist die verantwortliche Ärztin an diesem Nachmittag im Gesundheitsamt. Sie bittet Frederik herein, gemeinsam gehen sie den Fragebogen durch. Es dauert nicht lange, bis Claudia W. zum Punkt kommt: »Ich muss ihnen leider mitteilen, dass sie nicht spenden dürfen«, sagt die Medizinerin. »Warum?«, fragt Frederik.

 

Claudia W. braucht einen Moment, bis sie eine Antwort parat hat. »Das ist nicht meine persönliche Meinung«, betont sie. Dennoch: »Oh je, oh je« habe sie schon gedacht, als sie von manchen Praktiken unter Homosexuellen gehört habe. Dass es auch Heterosexuelle gibt, die es mit der Verhütung nicht so genau nehmen, erwähnt sie nur beiläufig.

 

»Wir könnten Leben retten«

 

Weil nicht überprüft werden kann, welche Art von Sex jeder einzelne bevorzugt, wird eine ganze Bevölkerungsgruppe kategorisch ausgeschlossen — unabhängig davon, ob die Betroffenen ungeschützten Sex oder wechselnde Partner haben. Dies sollte aber das eigentliche Kriterium sein, nicht das Geschlecht des Partners.

 

Der Verein Schwules Blut hat daher eine klare Forderung: »In einem neuen allgemeingültigen Fragebogen sollte künftig bei jedem Spender das individuelle Risikoverhalten abgefragt werden. Wer als schwuler oder bisexueller Mann einen gesunden und risikoarmen Lebenswandel hat, sollte Blutspenden dürfen, genauso wie Heterosexuelle, die jede Woche wechselnde Geschlechtspartner haben und sich nicht schützen, ausgeschlossen werden müssen.«

 

Zudem sollte, so Martens, vor jeder Blutspende ein ärztliches Gespräch mit dem Spender stehen, weil vor allem junge Menschen häufig nicht mehr wüssten, was ungeschützter Sex bedeutet. Der Verein hofft nun  auf eine Neuregelung auf europäischer Ebene. »Wir könnten Leben retten, wenn homo- oder bisexuelle Männer zur Blut- oder Knochenmarkspende zugelassen wären.«