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Schreiben ist Macht, nicht schreiben macht auch nichts

Warum DuMont die taz verklagt – und was die StadtRevue damit zu tun hat

Wenn sich eine kleine Zeitung mit den Großen anlegt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sie bekommt einen Preis oder einen Prozess. Der Kölner Stadt-Anzeiger bekam im Mai den renommierten »Wächterpreis der Tagespresse« (vgl. SR 6/03) – für seine Berichterstattung über den Kölner Müllskandal. Die Berliner taz bekommt nun einen Prozess – weil sie geschrieben hat, dass der Stadt-Anzeiger diesen Preis eigentlich gar nicht verdient.

Ignorierte Hinweise

»Den Wächterpreis hat der Kölner Stadt-Anzeiger ausgerechnet für die Aufdeckung eines Skandals bekommen, den er jahrelang verschwiegen hat« – das ist der Hauptvorwurf in dem Artikel von Sebastian Sedlmayr, der am 20. Mai auf der taz-Medienseite erschien. Der Stadt-Anzeiger habe immer wieder Hinweise ignoriert, dass durch den Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) nicht nur viel Abfall, sondern auch große Mengen schmutziges Geld zwischen Politik und Wirtschaft in Bewegung gesetzt wurden. Erst im März 2002, als immer mehr Details über den Korruptionsskandal an die Öffentlichkeit gerieten, sei auch der Stadt-Anzeiger auf eine kritische Linie umgeschwenkt.
Die Reaktion auf diesen taz-Text fiel weniger zurückhaltend aus: Der M. DuMont Schauberg Verlag (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express) beauftragte prompt eine Anwaltskanzlei, die beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung erwirkte: Die taz darf den Artikel vorerst nicht weiter verbreiten. Außerdem verlangt DuMont, dass die taz sich verpflichtet, die Vorwürfe nicht zu wiederholen. Die taz lehnt das ab – und so wird es wohl zum Prozess kommen.

»Konsequent« oder »aufdeckend«?

Die DuMont-Anwälte bemängeln unter anderem, die Berichterstattung des Stadt-Anzeiger habe nicht erst, wie die taz behauptet, im März, sondern tatsächlich schon am 23. Februar 2002 begonnen. Außerdem sei dem Stadt-Anzeiger der Wächterpreis gar nicht für die »Aufdeckung« des Müllskandals verliehen worden, sondern nur für die »konsequente Berichterstattung« – obwohl der Verband Hessischer Zeitungsverleger, der den Preis vergibt, selbst die »konsequente und aufdeckende Berichterstattung über den sogen. Kölner Müllskandal« als Grund angibt.
Wirklich spannend wird der Zeitungsstreit jedoch erst jenseits solcher Kleinigkeiten – nämlich mit der Frage, ob der Stadt-Anzeiger tatsächlich jahrelang Hinweise auf den Skandal verschwiegen hat. Ein Blick zum Beispiel ins StadtRevue-Archiv erleichtert hier die Rechtsfindung: Im Oktober 1995 erschien unter dem Titel »60.000 Müll-Tonnen« ein vierseitiger Artikel des Kölner Journalisten Werner Rügemer. Dort zitiert er aus einer Notiz des damaligen Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes (SPD) von 1992 über ein Telefonat mit Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier (SPD): »Um das für nächstes Jahr vorgesehene Planfeststellungsverfahren für die MVA zu beschleunigen, habe ich ihm geraten, ... besonders die Firma Steinmüller aus Gummersbach zu berücksichtigen. Er wird Herrn Eisermann entsprechend informieren. gez. Dr. Antwerpes« Der Anlagenbauer Steinmüller und Ulrich Eisermann, Geschäftsführer der Kölner Abfallverwertungsgesellschaft (AVG), gelangten im Jahre 2002 zu einiger Berühmtheit – als Angeklagte im Müllskandal.

Sechseinhalb Jahre aktuell

Schon in dem Artikel von 1995 hatte Rügemer geschrieben, dass die politisch gewollte MVA zu groß und technisch veraltet sei, eine öffentliche Ausschreibung für ihren Bau unterblieben war und AVG-Gesellschafter Trienekens mit dem MVA-Bauer Steinmüller wirtschaftlich verknüpft seien. Der Text blieb stolze sechseinhalb Jahre lang aktuell: Als auch die überregionalen Medien sich für den Kölner Müll zu interessieren begannen, druckte die Frankfurter Rundschau ihn in nur leicht aktualisierter Fassung nach – am 8. März 2002.
In Köln waren zuvor allerdings weitere Texte über die Merkwürdigkeiten bei Planung und Bau der teuren MVA erschienen – zum Beispiel in der StadtRevue im Mai 1996, im September 1997 und im Januar 1999, aber auch in der taz und in der inzwischen eingestellten Kölner Woche. Nur Großverleger Alfred Neven DuMont, Fast-Monopolist der Kölner Presselandschaft und vormaliger Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer, hielt zu dieser Zeit noch wenig von Kritik: Als eine Bürgerinitiative eine bezahlte Anzeige gegen die Müllverbrennungsanlage in den Stadt-Anzeiger bringen wollte, fordert er von der Initiative das Geld für eine eventuelle Gegendarstellung gleich mit auf den Tisch zu legen.

Ungewohnte Konkurrenz

Die Vorwürfe der taz treffen also einen wunden Punkt. Doch die heftige Reaktion des Verlags DuMont Schauberg mag einen weiteren Grund haben: Die taz plant, ab Ende des Jahres mit einem täglichen Köln-Teil zu erscheinen (vgl. SR 6/03) – als ungewohnte Konkurrenz des DuMont-Verlags auf dem Kölner Tageszeitungsmarkt, auch beim Umgang mit den nächsten Skandalen.
Dass im Müllskandal ein wenig eigene Recherche nicht geschadet hätte, erkannte übrigens die NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) schon im Mai 1996 im StadtRevue-Interview: »Höhn: Es gibt hier ein Dilemma: Mehrere Leute haben sich völlig festgelegt auf den Bau dieser Anlage... StadtRevue: Wieso eigentlich? Höhn: Das weiß ich nicht, man müsste die mal fragen.«